Archiv

Zum Tode von Wladyslaw Bartoszewski
Mit religiös fundiertem Fatalismus für eine gute Nachbarschaft

Er hat die Diktaturen erlebt und die deutsche Besatzung und war ein großer Kenner der Kultur des anderen Deutschland, an das er glaubte, dessen Freund er wieder wurde und blieb: Im Alter von 93 Jahren ist gestern der polnische Publizist und Politiker Wladyslaw Bartoszewski gestorben.

Von Martin Sander |
    "Die Beziehung der Polen zur langjährigen Besatzungsmacht Deutschland ist besser, glaube ich, psychologisch, als die Beziehung der Iren zu den Engländern, so im Alltag - unter den Menschen, nicht offiziell in der großen Politik. Aber in der Gesinnung der Menschen im Alltag. Das ist die Gesinnung der Völker, was man beim Biertisch miteinander redet, was man auf der Straße hört, was man auf Versammlungen hört. Also, so schlimm ist es nicht."
    Unter den Vordenkern der deutsch-polnischen Verständigung zeichnete sich Władysław Bartoszewski nicht nur durch Geduld und Zähigkeit aus. Er besaß auch die Gabe einer schonungslosen und lautstarken Kritik an beiden Gesellschaften. Mitunter konnte er sogar richtig wütend werden, zum Beispiel übe Erika Steinbach vom Bund der Vertriebenen. Zugleich war er wie kaum ein anderer bemüht, bei seinen Landsleuten Verständnis für die deutsche Seite der Weltkriegstragödie, für Bombenkrieg und Vertreibung zu wecken. Bartoszewskis Zuneigung zur deutschen Kultur schien oft gar unerschütterlich. Sie gründete nicht zuletzt in Bildungserlebnissen, die ihm der Deutschunterricht seines Warschauer Gymnasiums vermittelte, das er kurz vor Kriegsausbruch abgeschlossen hatte. Dann stellte Deutschland diese Zuneigung auf eine harte Probe.
    Der junge polnische Katholik wird bald nach Hitlers Überfall von der SS verhaftet und ins KZ Auschwitz verschleppt. Ein halbes Jahr darauf kommt er wieder frei und übernimmt Aufgaben im polnischen Untergrundkampf, der sich sowohl gegen die deutsche als auch gegen die sowjetische Besatzung des Landes richtet. Bartoszewski ist einer der Aktivisten des 1942 ins Leben gerufenen "Żegota"-Komitees, das sich bemüht, möglichst viele Juden zu retten und zu verstecken. 1944 kämpft er im Warschauer Aufstand.
    Nach Kriegsende wird Bartoszewski Journalist und beteiligt sich an der Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen. Bald gerät er als bürgerlicher Demokrat wieder ins Visier der Machthaber - diesmal der des kommunistischen Polen. Mit Unterbrechungen verbringt er sechs Jahre im Gefängnis. Ab 1955 betätigt er sich als Historiker und Publizist, vorwiegend in den Institutionen der katholischen Kirche. Hinzu kommt konspirative Arbeit für das polnische Exil. Eine "gewöhnliche" berufliche Karriere ist für Bartoszewski bis 1989 undenkbar.
    Mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet
    "Ich habe eine langjährige Praxis am Anfang mit Hitler und dann mit Stalin absolviert - und nach Stalins Tod mit seinen lieben Nachfolgern, Breschnew und anderen. Und natürlich bis zur Wende in Mittelosteuropa, bis zu den Veränderungen in Warschau, in Prag und in Budapest, bis zum Fall der Berliner Mauer, habe ich gelebt Mehrheit meines Lebens als Untertan."
    Bemerkenswert, was Władysław Bartoszewski unter kommunistischer Herrschaft gleichwohl leisten konnte. Seit den 60er-Jahren meldete er sich immer wieder mit Beiträgen zur Geschichte des Warschauer Ghettos und zum Holocaust zu Wort, auch als dieses Thema unter Kommunisten wie unter Katholiken unerwünscht war. Bartoszewskis Bücher über seine Erfahrungen als Auschwitz-Häftling und Untergrundkämpfer im Zweiten Weltkrieg machten ihn auch in Deutschland bekannt. Wegen seines Engagements für die Solidarność wurde er 1981 erneut verhaftet. In der zweiten Hälfte der 80er Jahre durfte er ausreisen und lehrte unter anderem als Gastprofessor an verschiedenen bayerischen Universitäten. Für sein historisches Werk wurde er 1986 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
    Es stand kaum zu erwarten, dass dieser scharfzüngige Intellektuelle nach der Wende eine diplomatische Karriere absolvieren und im neuen demokratischen Polen mehrfach die Außenpolitik bestimmen würde. Doch es kam so. Bartoszewski positionierte sich in der liberal-konservativen Mitte und fällte harte Urteile über die nationalkonservative Rechte seines Landes. Auch neue nationalistische Töne aus dem wiedervereinigten Deutschland nahm er aufs Korn, ohne diplomatische Rücksicht, besonders wenn es um Erika Steinbach ging.
    Von allen übrigen Verdiensten einmal abgesehen: Nur wenige Polen haben so viel für eine gute Nachbarschaft mit Deutschland getan wie Władysław Bartoszewski. Geholfen hat ihm dabei wohl auch eine gehörige Portion an religiös fundiertem Fatalismus.
    "Ich glaube, wenn der Herrgott gewollt hat, dass an dieser Stelle Europas zwischen Rhein und - sagen wir - byzantinischen Kulturkreis die Deutschen und die Polen leben, ja dann bedeutet das etwas, und wir werden es nicht ändern können."