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Zum vierten Mal

Zum vierten Mal seit seinem EU-Beitritt 1986 wird Spanien die Präsidentschaft der Europäischen Union übernehmen. Nach dem Europa-Enthusiasten Felipe González, dem konservativen Europa-Skeptiker José María Aznar, der sogar die europäische Verfassung blockieren wollte, hat das Land mit dem Sozialisten José Luis Rodríguez Zapatero zu einer europafreundlicheren Haltung zurück gefunden.

Von Hans-Günter Kellner |
    Grundsätzlich sind sich die Spanier einig: Mehr als 90 Prozent sind nach wie vor die Mitgliedschaft ihres Landes in der Europäischen Union - aus der für die Modernisierung Spaniens ja auch ein großer Strom von EU-Hilfsfonds geflossen ist. Diese Gelder fließen jetzt verstärkt nach Osteuropa, was an der Europafreundlichkeit der Spanier jedoch nichts ändert, sagt Alfonso Egea, der für die "Fundación Alternativas" eine Studie über die Spanier und die Union erstellt hat:

    "Das Interesse an Europa nimmt sogar zu. Das wird künftig auch eine der Aufgaben der rotierenden EU-Präsidentschaften sein: Europa bei den Bürgern präsenter zu machen. Die Union wird hier in den nächsten sechs Monaten eines der großen Themen sein. Die Haltung gegenüber Europa hängt bei den Spaniern auch nicht von den EU-Fonds ab. Immerhin hatten sie im Gegensatz zu anderen in der Union die Verfassung für die EU ja in einem Referendum ratifiziert. Diese Einstellung hat historische Gründe in der Franco-Diktatur. Europa galt hier immer als ein Leitbild für die politische Umgestaltung."

    Doch gerade die Spanier sind derzeit mit ganz grundlegenden Problemen beschäftigt: Das Land hat eine Arbeitslosenquote von fast 20 Prozent, die Staatsschulden steigen rasant. Diesem Problem will die Regierung mit mehr Ausgaben in Forschung und Bildung begegnen. Auf EU-Ebene will sie an die vor zehn Jahren beschlossene so genannte "Lissabon-Strategie" anknüpfen. Das neue Zukunftsprogramm soll Europa 2020 heißen, erklärt Diego López-Garrido, Spaniens Staatssekretär für Europafragen:

    "Die Ziele der Lissabon-Strategie wurden verfehlt. Aber es waren die richtigen Ziele. Die nationalen Regierungen waren haben sie jedoch nicht umgesetzt. Wir müssen die nationale Wirtschaftspolitik in Europa darum besser koordinieren. Die Ziele von der Wissensgesellschaft, der Informationstechnologie, dem Kampf gegen den Klimawandel und eine "grüne Wirtschaft" müssen Teile einer gemeinsamen Wachstumsstrategie werden. Und wir müssen überwachen, dass die Vorgaben auch erfüllt werden. Das ist die große Herausforderung, vor der die EU steht. Deutschland könnte dabei eine Vorbildfunktion haben."

    Schon seit Jahren versucht Spanien zudem, ein weiteres Thema auf die Tagesordnung der EU zu setzen: In Spanien bekommen von Partnern oder Ex-Partern bedrohte Frauen Polizeischutz, es gibt ein Gesetz zum Schutz von Frauen gegen Gewalt, darauf geschulte Polizisten, Staatsanwälte und Richter. Dennoch wurden 2008 70 Frauen durch ihre Männer getötet. In zahlreichen anderen EU-Staaten sind diese Zahlen noch viel höher, doch auf europäischer Ebene wird diese Art von Gewalt nicht einmal untersucht. Staatssekretär López-Garrido:

    "Das soll ein zentrales Thema unserer Präsidentschaft sein. Wir brauchen einen europäischen Aktionsplan zum Schutz gegen die Gewalt in der Familie. Es sind vermutlich Millionen Frauen in Europa, die darunter leiden. Wir möchten ein europäisches Observatorium dazu einrichten. Außerdem soll es parallel zum europäischen Haftbefehl einen europäischen Polizeischutz geben."

    Außenpolitisch will Spanien seine Präsidentschaft nutzen, um sich als Anwalt lateinamerikanischer Interessen in Europa zu engagieren. Spanien plädiert für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zudem hat Spanien aufgrund seiner geografischen Lage ein großes Interesse an der Entwicklung des Mittelmeerraums. Doch der außenpolitische Einfluss Spaniens wird begrenzt sein: Erstmals vertritt dabei Catherine Ashton als "Hohe Außenbeauftragte" die Union. Neben dem neuen Ratspräsidenten Herman van Rompuy fällt auch die Rolle des gastgebenden Ministerpräsidenten bescheidener aus als bisher bei den Präsidentschaften. Trotzdem wünscht man sich in Spanien von den neuen Repräsentanten der Europäischen Union eine profiliertes politisches Auftreten. Politikwissenschaftler Alfonso Egea meint:

    "Es hängt immer alles von den nationalen Regierungen ab. Es gibt zwar diese politische Verpflichtung einer gemeinsamen Politik, aber bis es dazu kommt, wird es dauern. Das frustriert auch die Menschen auf der Straße. In Europa wird immer viel vom Gleichgewicht der Institutionen und Länder oder vom Ausgleich gesprochen, aber wenig von Politik. Der neue EU-Präsident sollte mehr über Politik reden, was will er machen, setzt er auf die Innovation, eine europäische Sozialpolitik oder auf die freien Märkte. Solche inhaltliche Debatten fehlen. In Europa gibt es bisher keine wirklichen politischen Alternativen."