Quartett op.1,1 - Presto
So soll er geklungen haben, der Anfang von der Geschichte des Streichquartetts. Das erste Kapitel dieser im weiteren Verlauf so bedeutsamen Gattung wäre dann in etwa um 1755 oder 60 geschrieben worden, von einem damals nicht mehr ganz unbekannten, aber längst noch nicht berühmten Komponisten namens Joseph Haydn. Die Opuszahl 1, die auf der Partitur steht, scheint den Eindruck des ganz und gar Neuen bekräftigen zu wollen. Vor der 1 kommt halt nichts.
Jedoch wohnt, wie wir wissen, jedem Anfang nicht nur ein Zauber, sondern fast immer auch ein Trug inne oder zumindest ein bisschen Willkür. Strenggenommen haben natürlich auch vor 1760 schon kleine Kammerensembles aus zwei Geigen, einer Bratsche und einem Cello sich zum gemeinsamen Spiel zusammengefunden und damit, rein materiell, eben ein Streichquartett gebildet. Das wäre der eine Einwand. Der zweite wäre, dass Joseph Haydn selbst diesen Anfang auch musikalisch zunächst nicht als einen solchen bewertet hat: seine vermeintlich ersten Streichquartette nannte er nämlich bescheiden "Divertimentos". Und so klingen sie dann auch, auch in der Einspielung des Auryn-Quartetts - leicht, unterhaltsam, zerstreuend, vergnüglich:
Quartett op.1,1 - Minuet I
Im Rückblick ist man versucht, so hörbar einfach gebaute Werke wie Haydns op.1 "konventionell" zu finden, doch das wäre in diesem Fall mehr als ungerecht: denn was hier so vertraut klingt, klingt nicht deshalb so vertraut, weil es alten Vorbildern folgt, sondern, weil es selbst zum Vorbild wird. Konventionell ist allenfalls die noch fünfteilige Satzfolge mit zumeist schnellen Ecksätzen, dazwischen zwei Menuette und in deren Mitte wiederum ein langsamer Satz. Doch was Haydn mit den vier Streichinstrumenten im Innern der Sätze anstellte, das war für die Zeitgenossen schlichtweg unerhört: hier wurden Stile gemischt, das Heitere ohne Vorwarnung an das Melancholische geheftet, hier wurde musiziert, als würde man einfach miteinander plaudern, hier wurden des schönen, lichten Klangs wegen ständig die Stimmen verdoppelt: die Geigen spielen meist zusammen und so tun es auch Bratsche und Cello - eine kleine Revolution, die wachsamen Zeitgenossen wie dem Kritiker Ernst Ludwig Gerber nicht entgehen konnte. 1790 schrieb der in seinem Lexikon des Tonkünstler: "Schon Haydns erste Quatros machten allgemeine Sensation. Man lachte und vergnügte sich auf der einen Seite an der außerordentlichen Naivetät und Munterkeit und in anderen Gegenden schrie man über die Herabwürdigung der Musik zu komischen Tändeleyen und unerhörten Oktaven."
Quartett op.1,3 - Menuett II
Am liebsten möchte man diese wunderbaren Divertimentos gewissermaßen in ihrer historischen Schwebe lassen: irgendwo auf dem Weg zum klassischen Streichquartett, aber noch nicht ganz dort angekommen. Wenn man sich aber unbedingt entscheiden müsste, dann würde man es vermutlich so wie das Auryn-Quartett halten: In seinem auf 14 Folgen angelegten Projekt einer Gesamteinspielung aller Haydn-Quartette, auf dem Cover der Doppel-CD selbstbewusst "Auryns Haydn" genannt, in diesem Projekt steht als Erstes die Sammlung Opus 1 auf der Agenda. Von hier ausgehend mag der Hörer die weiteren Wege selbst nachvollziehen - bis hin zur beispielhaften Ausformung und späten Überhöhung dieser Gattung ebenfalls durch Haydn.
In über 25 Jahren - ohne personellen Wechsel- hat sich das Ensemble längst zu einer eigenen, international beachteten Marke entwickelt. Charakteristisch der Einfallsreichtum und die Experimentierfreude der Auryns beim Aufbau des Repertoires bis weit hinein in die Gegenwart, dazu der Ehrgeiz zu vollständigen Werkschauen, von Beethoven etwa, von Schumann, Schubert und Brahms, jetzt eben von Haydn. Charakteristisch aber auch das Spiel selbst, das ganz dem Ideal eines großes, modernen Streichquartetts nachkommt: in der Präzision der Ausarbeitung, der Ausgewogenheit im Klang, in der Durchhörbarkeit der Stimmen, in der sehr fein abgestuften, sehr genau kontrollierten Dynamik - und natürlich in der dialogischen, gesprächsähnlichen Zusammenarbeit.
Quartett op.1,4 - Adagio
Vom Ideal eines modernen Streichquartetts, eines Quartettensembles, ist viel verwirklicht in dieser neuen Einspielung: die Auryns musizieren mit leichter Hand und mit gespitzten Ohren, schattieren den Klang zwar durch bis in tiefe Grundtöne, drücken der feinen Musik aber keine Lasten auf: das Ensemble bewegt sich federnd wie auf Zehenspitzen, bringt in den zentralen Mittelsätzen die oft ariosen Melodien mit langem Atem mühelos zum Singen und verleiht auch den schlichtesten Begleitfiguren eine natürliche Lebendigkeit. Gleichwohl überrascht, dass sich ein so innovatives Ensemble nicht weiter auf die Konsequenzen einer sogenannten historischen Aufführungspraxis einlässt: Zwar werden Wiederholungen in langsamen Sätzen hin und wieder mit Verzierungen garniert, das Vibrato ist, was es sein sollte, ein subtiler Effekt, keine Dauerzustand, und auch die Phrasierung ist kleingliedriger, als sie bei einem vergleichsweise guten Ensemble vor 30 oder 40 Jahren noch gewesen wäre. Doch der generelle Gestus ist eben der eines großen, modernen Quartetts, das hier halt eine etwas klein geratene Musik spielt.
Auch die Aufnahmetechnik ist entsprechend: mit erheblichem Erfolg auf Brillanz und Räumlichkeit zielend, aber ganz geleitet von der Akustik des heutigen Konzertsaals, nicht von der Vision, wie diese Musik vor 250 Jahren - geschrieben als Hausmusik für Laien - geklungen haben mag: sicher intimer, zarter und um einiges näher am Hörer. So wird das Streichquartett, "diese höchste Instrumentalgattung im privaten Bereich", wie sie der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher einmal genannt hat, so wird diese Gattung von den Auryns und ihrem Tonmeister Andreas Spreer schon in dieser frühen Geburtsstunde fit gemacht für jene große "musikalische Öffentlichkeit", die sich jedoch erst viel später, am Ende von Haydns Leben, langsam zu etablieren beginnt.
Quartett op.1,4 - Presto
Das Auryn-Quartett mit Matthias Lingenfeld und Jens Oppermann, Violine, Stewart Eaton, Viola, und Andreas Arndt, Violoncello, spielt alle Streichquartette von Joseph Haydn. Die erste Folge der Gesamtaufnahme mit den Divertimenti op.1 ist als Doppel-CD beim Label Tacet erschienen und wurde Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.
So soll er geklungen haben, der Anfang von der Geschichte des Streichquartetts. Das erste Kapitel dieser im weiteren Verlauf so bedeutsamen Gattung wäre dann in etwa um 1755 oder 60 geschrieben worden, von einem damals nicht mehr ganz unbekannten, aber längst noch nicht berühmten Komponisten namens Joseph Haydn. Die Opuszahl 1, die auf der Partitur steht, scheint den Eindruck des ganz und gar Neuen bekräftigen zu wollen. Vor der 1 kommt halt nichts.
Jedoch wohnt, wie wir wissen, jedem Anfang nicht nur ein Zauber, sondern fast immer auch ein Trug inne oder zumindest ein bisschen Willkür. Strenggenommen haben natürlich auch vor 1760 schon kleine Kammerensembles aus zwei Geigen, einer Bratsche und einem Cello sich zum gemeinsamen Spiel zusammengefunden und damit, rein materiell, eben ein Streichquartett gebildet. Das wäre der eine Einwand. Der zweite wäre, dass Joseph Haydn selbst diesen Anfang auch musikalisch zunächst nicht als einen solchen bewertet hat: seine vermeintlich ersten Streichquartette nannte er nämlich bescheiden "Divertimentos". Und so klingen sie dann auch, auch in der Einspielung des Auryn-Quartetts - leicht, unterhaltsam, zerstreuend, vergnüglich:
Quartett op.1,1 - Minuet I
Im Rückblick ist man versucht, so hörbar einfach gebaute Werke wie Haydns op.1 "konventionell" zu finden, doch das wäre in diesem Fall mehr als ungerecht: denn was hier so vertraut klingt, klingt nicht deshalb so vertraut, weil es alten Vorbildern folgt, sondern, weil es selbst zum Vorbild wird. Konventionell ist allenfalls die noch fünfteilige Satzfolge mit zumeist schnellen Ecksätzen, dazwischen zwei Menuette und in deren Mitte wiederum ein langsamer Satz. Doch was Haydn mit den vier Streichinstrumenten im Innern der Sätze anstellte, das war für die Zeitgenossen schlichtweg unerhört: hier wurden Stile gemischt, das Heitere ohne Vorwarnung an das Melancholische geheftet, hier wurde musiziert, als würde man einfach miteinander plaudern, hier wurden des schönen, lichten Klangs wegen ständig die Stimmen verdoppelt: die Geigen spielen meist zusammen und so tun es auch Bratsche und Cello - eine kleine Revolution, die wachsamen Zeitgenossen wie dem Kritiker Ernst Ludwig Gerber nicht entgehen konnte. 1790 schrieb der in seinem Lexikon des Tonkünstler: "Schon Haydns erste Quatros machten allgemeine Sensation. Man lachte und vergnügte sich auf der einen Seite an der außerordentlichen Naivetät und Munterkeit und in anderen Gegenden schrie man über die Herabwürdigung der Musik zu komischen Tändeleyen und unerhörten Oktaven."
Quartett op.1,3 - Menuett II
Am liebsten möchte man diese wunderbaren Divertimentos gewissermaßen in ihrer historischen Schwebe lassen: irgendwo auf dem Weg zum klassischen Streichquartett, aber noch nicht ganz dort angekommen. Wenn man sich aber unbedingt entscheiden müsste, dann würde man es vermutlich so wie das Auryn-Quartett halten: In seinem auf 14 Folgen angelegten Projekt einer Gesamteinspielung aller Haydn-Quartette, auf dem Cover der Doppel-CD selbstbewusst "Auryns Haydn" genannt, in diesem Projekt steht als Erstes die Sammlung Opus 1 auf der Agenda. Von hier ausgehend mag der Hörer die weiteren Wege selbst nachvollziehen - bis hin zur beispielhaften Ausformung und späten Überhöhung dieser Gattung ebenfalls durch Haydn.
In über 25 Jahren - ohne personellen Wechsel- hat sich das Ensemble längst zu einer eigenen, international beachteten Marke entwickelt. Charakteristisch der Einfallsreichtum und die Experimentierfreude der Auryns beim Aufbau des Repertoires bis weit hinein in die Gegenwart, dazu der Ehrgeiz zu vollständigen Werkschauen, von Beethoven etwa, von Schumann, Schubert und Brahms, jetzt eben von Haydn. Charakteristisch aber auch das Spiel selbst, das ganz dem Ideal eines großes, modernen Streichquartetts nachkommt: in der Präzision der Ausarbeitung, der Ausgewogenheit im Klang, in der Durchhörbarkeit der Stimmen, in der sehr fein abgestuften, sehr genau kontrollierten Dynamik - und natürlich in der dialogischen, gesprächsähnlichen Zusammenarbeit.
Quartett op.1,4 - Adagio
Vom Ideal eines modernen Streichquartetts, eines Quartettensembles, ist viel verwirklicht in dieser neuen Einspielung: die Auryns musizieren mit leichter Hand und mit gespitzten Ohren, schattieren den Klang zwar durch bis in tiefe Grundtöne, drücken der feinen Musik aber keine Lasten auf: das Ensemble bewegt sich federnd wie auf Zehenspitzen, bringt in den zentralen Mittelsätzen die oft ariosen Melodien mit langem Atem mühelos zum Singen und verleiht auch den schlichtesten Begleitfiguren eine natürliche Lebendigkeit. Gleichwohl überrascht, dass sich ein so innovatives Ensemble nicht weiter auf die Konsequenzen einer sogenannten historischen Aufführungspraxis einlässt: Zwar werden Wiederholungen in langsamen Sätzen hin und wieder mit Verzierungen garniert, das Vibrato ist, was es sein sollte, ein subtiler Effekt, keine Dauerzustand, und auch die Phrasierung ist kleingliedriger, als sie bei einem vergleichsweise guten Ensemble vor 30 oder 40 Jahren noch gewesen wäre. Doch der generelle Gestus ist eben der eines großen, modernen Quartetts, das hier halt eine etwas klein geratene Musik spielt.
Auch die Aufnahmetechnik ist entsprechend: mit erheblichem Erfolg auf Brillanz und Räumlichkeit zielend, aber ganz geleitet von der Akustik des heutigen Konzertsaals, nicht von der Vision, wie diese Musik vor 250 Jahren - geschrieben als Hausmusik für Laien - geklungen haben mag: sicher intimer, zarter und um einiges näher am Hörer. So wird das Streichquartett, "diese höchste Instrumentalgattung im privaten Bereich", wie sie der Musikwissenschaftler Ludwig Finscher einmal genannt hat, so wird diese Gattung von den Auryns und ihrem Tonmeister Andreas Spreer schon in dieser frühen Geburtsstunde fit gemacht für jene große "musikalische Öffentlichkeit", die sich jedoch erst viel später, am Ende von Haydns Leben, langsam zu etablieren beginnt.
Quartett op.1,4 - Presto
Das Auryn-Quartett mit Matthias Lingenfeld und Jens Oppermann, Violine, Stewart Eaton, Viola, und Andreas Arndt, Violoncello, spielt alle Streichquartette von Joseph Haydn. Die erste Folge der Gesamtaufnahme mit den Divertimenti op.1 ist als Doppel-CD beim Label Tacet erschienen und wurde Ihnen vorgestellt von Raoul Mörchen.