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Zum Welt-Aids-Tag: Die Vorsicht lässt nach

1. Dezember, Weltaidstag. Ein willkürlich gewählter Tag, an dem jedes Jahr neue Horrormeldungen über die AIDS-Katastrophe in der Dritten Welt die Erste Welt erschrecken. Vergangene Woche fasste der jüngste Welt-AIDS-Bericht der Vereinten Nationen - UNAIDS und WHO - das Elend in Zahlen:

Von Dorothee von Canstein |
    "Über 40 Millionen Menschen weltweit sind mit dem HIV-Virus infiziert, allein in diesem Jahr haben sich knapp fünf Millionen neu angesteckt. Über drei Millionen Menschen sind an AIDS gestorben, darunter 500.000 Kinder. "
    In Deutschland leben knapp 50.000 registrierte HIV-Infizierte. Eine Infektion bedeutet hierzulande kein unmittelbares Todesurteil mehr. Ärzte können sie seit 1996 mit der Kombinationstherapie meist gut in den Griff kriegen – und die AIDS-Erkrankung um etwa 10, 20 Jahre hinauszögern.
    Doch den Weltaidstag 2005 bestimmen schlechte Nachrichten aus Deutschland. Die Zahl der HIV-Infektionen ist laut Robert-Koch-Institut dramatisch gestiegen: vom ersten Halbjahr 2004 zum ersten Halbjahr 2005 um 20 Prozent. Die meisten Neuinfektionen gibt es unter schwulen Männern. Ausgerechnet also in der Risikogruppe, die sich in den Achtzigern zum Vorkämpfer der Safer-Sex-Bewegung gemacht hat! Warum?

    "Männer sind irgendwie alle gleich. Ob die jetzt mit HIV aufgewachsen sind oder so alt sind wie ich – wenn es um Sex geht, sind sie alle gleich blöd. Ein Mann im Testosteron-Rausch vergisst alles. Meistens. Wenn's dann vorbei ist, kommt der große Jammer. "

    Michael muss es wissen. Er ist jetzt 43 Jahre alt. Er war Anfang 20, als AIDS in der Schwulenszene Panik auslöste.

    "Die Zeit damals war eigentlich ziemlich schwierig, weil man hat schon mitbekommen, dass es diese Krankheit gibt. Und hat sich natürlich vorgenommen, man ist jetzt dann der supertolle schwule Mann, der jetzt dann ganz sicher Safe Sex macht, damit ja nichts passiert. Aber natürlich gab es immer wieder Situationen, die kommen sehr schnell, wo man auf diesen Gummi verzichtet. Drum ist es ja auch passiert. Wie ich dann positiv war, war das dann irgendwann mal so eine direkte Entscheidung, dass man sich eben auch einen positiven Partner auch sucht. Das ist natürlich nicht so ganz einfach, denn es rennt ja keiner mit einem Schild um den Hals durch die Szene, wo drauf steht, ich bin positiv, ich such einen Positiven. Das ist dann ein Abenteuer für sich. "
    Inzwischen hilft das Internet nach. In Chatrooms und auf einschlägigen Websites geht es direkt zur Sache. Dort suchen Positive Positive und Negative Negative – ganz so wie es in Hetero-Kontakt-Anzeigen heißt: "Ich, Nichtraucher, katholisch und begeisterter Bergsteiger, suche weibliches Pendant." Freilich geht es auf den schwulen Websites nicht ums Wandern. Engelbert, 45 Jahre alt und seit 19 Jahren HIV-positiv, hat dort auch ein so genanntes "Profil".

    "Da hat man sein Foto drin und eine Beschreibung von sich. Also bei mir steht dann zum Beispiel explizit dann dort: Bin positiv und suche positiven Partner. Das ist also eine klare Aussage und es ist dann auch so ein weißes Plus, erscheint dann also dort in dem Profil. Und da halten sich die Leute eigentlich auch dran. Im Prinzip ist das Internet, oder diese Internet-Portale nichts anderes als was abends in der Kneipe auch passiert. "
    Auf solchen Websites werden auch Bareback-Parties angekündigt. Bareback – das heißt im Rodeo "Reiten ohne Sattel" und bedeutet ganz einfach: Sex ohne Schutz. Die Welle kommt – wie die meisten Moden – aus den USA. Vor drei bis vier Jahren erreichte sie Deutschland. Und jetzt werden vor allem in Berlin und Köln solche Partys gefeiert, mitunter auch in Hamburg oder München.

    "Da gibt's diverse Seiten wo so was mit drauf steht, da schreibt man dann hin, dann bekommt man eine Einladung und die Adresse dazu. Ja. Dann geht man hin, zahlt einen kleinen Obolus, reißt sich die Kleider vom Leib, gibt die ab. Und dann steht man erst mal blöd rum, klammert sich krampfhaft an sein Fläschchen Bier. Läuft hin und her und schaut und macht und irgendeiner lacht einen dann schon mal an, dann passiert vielleicht was. Also, unberührt kam ich noch nie heim von einer Party."
    Zwischen zehn und 20 Euro Unkostenbeitrag kostet der Spaß, inklusive Buffet.

    "Das ist meistens in Bars, die an irgendwelchen speziellen Terminen dann für so was geschlossen sind. Separées sind da eher selten, das ist dann schon sehr öffentlich. Halt innerhalb dieser Gruppe. Das sind dann halt so Gruppen zwischen 30 und 100 Mann. "
    Auf Normalbürger und auch auf die meisten Schwulen wirkt allein die Vorstellung, gelinde gesagt, befremdend. Aber in einem freien Land hat schließlich jeder das Recht, seine Bedürfnisse frei auszuleben, solange er damit andere nicht schädigt.
    "Bareback" ist eine Erfindung von HIV-positiven Männern, die sich irgendwann sagten: wir sind eh positiv, wovor sollten wir uns jetzt noch schützen, warum mit lästigen Kondomen herumhantieren? Daraufhin sagten sich auch einige Negative: wenn wir von uns gegenseitig wissen, dass wir negativ sind, dann brauchen wir uns auch nicht zu schützen! Engelbert kann da nur den Kopf schütteln.

    "Gut, diese Leute müssen ein ziemliches Gottvertrauen haben, weil wenn jemand auf Sex-Partys geht, der hat viel Sex, man kann ja nicht wissen, ob er sich nicht in den letzten drei Monaten einen Virus eingefangen hat. Weil nämlich genau die Anfangszeit der HIV-Infektion, also wenn man sich ansteckt, die nächsten sechs bis zwölf Wochen, sind ja auch die infektiösesten Wochen. Das heißt, die Leute, die meinen, sie sind noch negativ, sind gleichzeitig die Infektiösesten. Und da passieren die meisten Infektionen in der Zeit. Und deshalb sind eigentlich diese Negativ-zu-Negativ Partys eigentlich die gefährlichsten, weil alle meinen sie sind sicher. "
    Psychologisch ein höchst spannendes Phänomen: alle wissen, was passieren kann, wie man’s vermeiden kann und trotzdem vermeiden sie es nicht! Ist Bareback ein modernes Russisch-Roulette, wie S-Bahn-Surfen oder Geisterfahren? Warum gefährden sich viele schwule Männer wider besseres Wissen?
    Der Internist und Infektiologe Dr. Werner Becker, der in München eine der größten Schwulen-Praxen Deutschlands leitet, beobachtet seit ungefähr einem Jahr, dass immer mehr Männer mit Neuinfektionen zu ihm kommen – der Grund: Bareback.

    "Diese Gefährdung, dieser Tanz auf dem Vulkan ist noch wieder ein eigener Kick. Und ich kenne durchaus Menschen, die sagen ich brauche dieses Tun von etwas, was ich eigentlich nicht darf. Ich bin so brav erzogen worden, ich durfte nie irgendwas, was man nicht macht. Und der Kick, jetzt etwas zu machen, der turnt mich enorm an. "
    Aber diese Männer sind in der Minderheit. Die meisten verdrängen einfach die Gefahr. Ganz besonders die Jungen, die gerade ihr Coming Out hinter sich haben. Das beobachtet Christopher Knoll, Psychologe bei der Münchner AIDS-Hilfe.

    "Für die ist HIV einfach kein Thema. Weil der Typ, den sie kennen lernen gerade und der auf der anderen Seite der Bar steht, der ist 22. Sieht super gesund aus, ganz süß und wirkt nicht wie ne Schlampe. Da sagen die sich: Der hat todsicher kein HIV. Woher soll er’s denn haben! Es gibt so Bilder, wo junge Schwule dann denken: HIV-positiv sind Männer ab 35, gestanden, tragen gern mal ne Lederjacke und Bart und alle Partner, die nicht diesem Klischee entsprechen, da muss man sich um HIV keine Sorgen machen. Das ist die Schwierigkeit. Der Wunsch, das Problem auszuklammern. Das hat gar nichts mit irgendwelchen ritualisierten Bareback-Geschichten zu tun, sprich mit Partys, wo ganz bewusst und lustvoll auf den Schutz verzichtet wird. Das ist noch viel weiter! HIV ist da gar kein Thema! "
    Das Gros der älteren Schwulen dagegen geht sehr bewusst mit der Gefahr um. Viele seien inzwischen aber einfach "Kondom-müde", sagt Knoll. Und dadurch entstehe in der Schwulenbewegung so etwas wie ein Generationenkonflikt.

    "Diejenigen, die immer schon Safer Sex gemacht haben, die seit 20 Jahren Safer Sex machen, und die immer diszipliniert waren, die sind natürlich vielleicht frustriert. Weil jetzt im Grunde genommen eine Generation nachkommt, die unvernünftig ist, die nicht auf uns Ältere hört. Und wir machen jetzt verstärkt auch Kampagnen die die, die negativ sind, weil sie bewusst so gelebt haben, dass wir die mehr stützen wollen und sagen: "Genauso läuft’s und ihr habt das bisher richtig gemacht und es hat sich gelohnt, dass ihr es so gemacht habt." Es lohnt sich nun wirklich. Auch wenn manche Leute denken, dass der Preis dann doch so hoch wäre, weil man im Sex immer natürlich eine gesundheitshygienische Vorsorge treffen muss, was manchmal schon recht abtörnend ist. Und viele Leute schaffen es nicht, dass sich das Schutzverhalten so routinisiert, dass sie es nicht mehr merken. "
    Regelmäßig kommen Männer in die Praxis von Dr. Becker mit der Sorge, sie könnten sich angesteckt haben. Becker versucht, es dann nicht beim HIV-Test zu belassen, sondern mit den Patienten zu sprechen – und zwar ohne ihnen dabei eine Beratung "überzustülpen". Darauf legt er Wert. Sonst erreiche er die Menschen nicht, sagt er.

    "Und ich versuche eher die Menschen zu fragen, in welchen Situationen fühlen sie sich gefährdet, kein Kondom zu nehmen. Weil es ihnen peinlich ist, das überhaupt ins Spiel zu bringen, weil sie sich nicht trauen, oder weil sie kein Kondom dabei haben, oder weil sie damit signalisieren könnten, sie fürchten, der andere sei HIV-infiziert, oder weil sie damit signalisieren könnten, dass sie dem anderen sagen könnten, ich bin aber HIV-infiziert. Also die Symbolkraft des Kondoms in der sexuellen Kommunikation ist hoch und vieldeutig und wir müssen bei jedem Einzelnen verstehen, was das für ihn bedeutet und warum er es nicht benutzt in manchen Situationen. "

    Für jeden, der es - aus welchem Grund auch immer - verweigert, grundsätzlich und immer ein Kondom zu verwenden, wird Sex zum Drahtseilakt. Manche verzetteln sich in einer persönlichen Risikokalkulation. Heißt: sie betreiben nicht Safer Sex, versuchen aber, hoch riskante Praktiken zu meiden.

    "Das ist natürlich ein Spiel, was bei vielen funktioniert, aber auch bei einigen richtig schief geht, indem sie nur versuchen, ihr Risiko zu minimieren, aber dann am Schluss mit einer HIV-Infektion dasitzen. Und das ist das Problem. Dass es nicht um Alles oder Nichts geht. Wir reden nicht von vernünftigen Leuten, die immer Safer Sex betreiben und von den Hasardeuren, die sich einfach nur lustvoll in die Gefahr stürzen und darin rumwühlen, bis sie am Schluss krank wieder rauskommen. Das ist ein falsches Bild. Es gibt einfach Leute, die versuchen, ihre Sexualität ein wenig von diesen Krankheitsüberlegungen freizuhalten. Sie versuchen etwas weniger "kondomisiert" Sex zu machen. "
    Aber ist das nicht ohnehin überflüssig, wenn sich zwei Positive miteinander einlassen? Von wegen, sagt Dr. Helmut Liess, Internist in der Infektionsambulanz an der medizinischen Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität in München.

    "Aus medizinischer Sicht muss man ganz einfach sagen, gibt es gewisse Risiken, nämlich das der Übertragung von sexuell übertragbaren Erkrankungen. Zum Beispiel Genitalwarzen, zum Beispiel Virus-Hepatitiden, Hepatitis B, Hepatitis C, zum Beispiel Syphilis, das hätte ich wahrscheinlich schon viel eher nennen sollen, zum Beispiel Clamydien, die zu ganz furchtbaren Geschwüren führen können... "

    Darüber hinaus besteht auch das Risiko einer Super-Infektion.

    "Also ich bin ein Patient, habe ein HIV-Virus, das ist auf alle Medikamente empfindlich, ich muss aber behandelt werden, weil mein Immunstatus das vorgibt. Ich nehme eine Therapie ein, wo ich zwei Pillen 1x am Tag einnehme. Das lässt sich gut in den Tagesablauf integrieren, ich vertrage die Medikamente gut und das ist alles ganz prima. Jetzt gehe ich auf eine Bareback-Party, habe Kontakt mit einem Menschen, der eine hohe Virusbelastung hat, der nimmt Medikamente ein, die wirken aber nicht mehr so gut. Der hat ein Virus, das auf viele Medikamente schon überhaupt nicht mehr reagiert. Dieses Virus bekomme ich, dieses Virus lacht über die Medikamente, die ich einnehme, weil es dagegen nicht mehr empfindlich ist und vermehrt sich fleißig, während die anderen schon längst unter der Nachweisgrenze und nicht mehr nachweisbar sind. Und ich als Patient bin angeschmiert, weil meine Therapie, die ich bis jetzt genommen habe, plötzlich nicht mehr wirkt. Die Viren steigen im Blut, und der Immunstatus wird schlechter und ich habe große Probleme, eine Therapie zu finden, die mir hilft und ich kann dieses Virus eventuell auch noch weiter geben. "
    Die Superinfektion ist also keine Infektion mit besonders starken Symptomen, sondern eine Zweit-Infektion. Noch gibt es sie selten. Aber die Zahl der Resistenzen, sagt Liess, nehme deutlich zu.
    Und dann gab es da im vergangenen Herbst noch den berüchtigten Fall des "Patient Zero" genannten Mannes, der sich auf zahllosen Viagra- und "Chrystal-Meth"-getuneten Barebackpartys ein multiresistentes Virus eingefangen hatte und nach ungewöhnlich kurzer Zeit an AIDS erkrankte. Die Presse sprach von einem "Supervirus", das ein neues AIDS-Zeitalter anbrechen lasse. Dr. Liess sieht das etwas gelassener.

    "Letztendlich hat sich das mit dem Supervirus nicht so bewahrheitet, man sollte es nicht... Es ist im Grunde so eine Art Sensationsmache, so wurde es auch gedeutet. Und ich denke mal, diejenigen, die das in die Welt gesetzt haben sie wollten im Grunde genommen, die Leute so ein bisschen wachrütteln und haben sich so ein bisschen erschreckt, was das für eine Resonanz gefunden hat und haben dann hinterher doch einräumen müssen, dass diese Bösartigkeit so in der Weise nicht unbedingt gegeben war. "
    Sexualität auszuleben ist zweifellos einer der stärksten menschlichen Triebe. Wäre die Menschheit rationaler veranlagt, käme es nicht zu so vielen ungewollten Schwangerschaften. Es ist allerdings schon verwunderlich, dass nicht einmal die Bedrohung durch HIV stark genug ist, um erwachsene Menschen zu bedingungslosem Selbstschutz zu bringen. Seit Jahren, das beobachtet Knoll, nimmt die Angst vor AIDS stetig ab – freilich auch weil die Behandlungsmöglichkeiten seit 1996 besser geworden sind.

    "Als ich in den Achtzigern und Anfang der Neunziger Jahre in der Schwulenszene beispielsweise war, da hat man viel Leid gesehen. Dann hat man auch jedes Wochenende wirklich gehört, dass der und der nicht mehr da ist, weil er die Woche über gestorben ist. Das war eine andere Geschichte, das gibt’s nicht mehr. "

    Auch die Zeiten, in der Schwule der Gefahr mit farbenfrohen AIDS-Awareness Aktionen die Stirn boten, sind vorbei. Stattdessen - herrscht das große Schweigen.

    "Die ganzen 20-jährigen, die hier zum Beispiel, bei mir in Therapie dann sitzen, die würden nicht mal ihren besten Freunden sagen, dass sie positiv sind, weil sie dann das Gefühl haben, keiner will mehr was mit ihnen zu tun haben, weil das ist eine Szene in der HIV ausgeklammert ist. Und wenn sie HIV-positiv sind, werden sie auch ausgeklammert. "
    Gleichzeitig werden die Versprechungen der Pharmaindustrie immer rosaroter. Die "Message" heißt: auch mit HIV bleibt das Leben unbeschwert – dank unserer Präparate. Ein Medikamentenhersteller ließ einen HIV-Positiven in einer Werbung sogar behaupten:

    "Mein Leben hat eine Schärfe bekommen, die sich ein Normalsterblicher gar nicht vorstellen kann. "
    Keine gute Ausgangslage für Aufklärungsarbeit, wo doch die Infektionsgefahr massiv wächst.
    Zudem leidet die AIDS-Prävention unter den Sparzwängen im Bundeshaushalt. 25 Millionen Euro jährlich konnte die Bundesregierung Ende der Achtziger Jahre noch in Aufklärung investieren. Das Budget ist inzwischen deutlich geschrumpft: auf ganze 9,2 Millionen pro Jahr. Die Botschaft "Gib AIDS keine Chance" hat selbst kaum mehr eine Chance, gehört oder gelesen zu werden. Repression hält Gesundheitsministerin Ulla Schmidt allerdings für keine Alternative zu der bisherigen Politik, sie setzt weiter auf klare Botschaften.
    In einer Stellungnahme schreibt sie:

    "Jeder muss wissen, dass Aids trotz der medizinischen Fortschritte eine unheilbare Krankheit ist, Aufklärung und Information sind die wirksamste Strategie gegen die Ausbreitung des Virus. "
    Auch Dr. Georg Walzel vom Bayerischen Gesundheitsministerium ist erstaunt über die fehlenden Selbstschutz-Mechanismen. Im vergangenen Jahr hat die Landesregierung ein 50.000 Euro teures Projekt mit der AIDS-Hilfe München finanziert. In den Dark Rooms, in den Saunen und an anderen Orten, an denen riskante Kontakte entstehen, klärten schwule Berater die Gefährdeten auf, bevor sie sich auf ein Risiko einließen.

    "Ich bin mir bewusst, dass das keine Lösung auf Dauer ist, es geht vielmehr um eine generelle Verhaltensänderung und eine Einstellungsänderung bei den betroffenen Menschen und wir müssen uns da wirklich auch überlegen, ob wir nicht generell andere Präventionsbotschaften finden und generieren müssen. "
    Irgendeine Lösung gebe es immer, sagt er zuversichtlich. In Schweden sind inzwischen Gesetze erlassen worden, die HIV-Positive verpflichten, ihren Sexualpartner über die eigene Infektion zu informieren. Tun sie das nicht, kann ein Gericht sie für sechs Monate unter Quarantäne stellen oder ins Gefängnis schicken. Diese Art von Abschreckung will Walzel in Deutschland aber nicht sehen.

    "Vor 18 Jahren ist das ernstlich überlegt worden, infizierte Menschen also abzusondern. Das ist aufgrund der Dauer der Krankheit nicht möglich, aufgrund der Zahl der Betroffenen nicht möglich und ich glaube, es wäre auch wirklich die falsche Botschaft. Man kann letztlich keine kranken Menschen in dieser Weise strafähnlich oder strafgleich behandeln. Also, das wär aus meiner Sicht die Bankrotterklärung der staatlichen AIDS-Politik. "
    Aus der Verantwortung ziehen darf sich die Regierung allerdings auch nicht, denn sie hat einen so genannten "seuchenpräventiven Auftrag". Und nicht zuletzt wird das unverantwortliche Handeln Einzelner auch irgendwann zum Problem für die Allgemeinheit. Viele HIV-Positive sind nicht arbeitsfähig und beziehen daher eine staatliche Rente, die medizinische Behandlung eines HIV-Erkrankten verschlingt 15 bis 20.000 Euro im Jahr.
    Michael lebt jetzt seit 14 Jahren mit dem Virus, noch ist er nicht an AIDS erkrankt, dank wirksamer Medikamente und der im internationalen Vergleich umfassenden Krankenversorgung hat er ein ganz gutes Leben. Seit acht Jahren ist der gelernte Dekorateur verrentet und bezieht neben der staatlichen Unterstützung Zahlungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Um die Rate der Neuinfektionen zu senken, würde er dafür plädieren, dass möglichst viele schwule Männer für den regelmäßigen HIV-Test gewonnen werden. Michael weiß warum: er selbst wollte so lange wie möglich verdrängen, dass er sich infiziert haben könnte. Ob oder wie viele Männer er damals angesteckt hat, weiß er nicht.

    Es ist immer noch besser, es zu wissen dass man positiv ist und medizinisch damit umzugehen, als so als Virenbombe durch die Szene zu laufen und so eine Krankheit weiter zu verteilen.