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Zum Weltgipfel in Johannesburg: Das Grüne Gold

Eine Schule am Rande der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba; der helle Klinkerbau liegt an einer sandigen Piste hinter einem großen Eisentor. Hier, an der Berufsschule "High 12", lernen die Schüler nicht nur die üblichen Fächer. Sie beschäftigen sich auch intensiv mit Naturkunde und Umweltschutz. Shualemma Amare, der Vorsitzende des Umweltclubs der High 12, erzählt:

Birgit Morgenrath |
    Wir gehen in Gruppen raus aufs Land, in die Dörfer. Dort sammeln wir Pflanzen. Wir ordnen sie, kleben sie auf Plakate und zeigen sie den Leuten hier in der Stadt. Wir nehmen die Pflanzen mit und fragen dann die Wissenschaftler, die uns bei dem Projekt helfen, nach den lateinischen Namen. So lernen wir sie.

    60 Schüler und acht Lehrer engagieren sich so in ihrer Freizeit: Sie lernen viel über ökologischen Gartenbau, umweltfreundliche Abfallverwertung und die Artenvielfalt des Landes. Für den "Environmental Club" hat die Schule sogar einen Klassenraum zur Verfügung gestellt. Lehrer Assefa Mitiku zeigt stolz auf die Plakate mit den gesammelten Pflanzen und Erkenntnissen, die rundum an den Wänden hängen. Die Schüler klassifizieren jedes Exemplar und beschreiben seine Merkmale - in Handschrift, mit bunten Stiften.

    Das hier ist der amharische Name eines einheimischen Baumes, Cortabe, wir kennen noch keinen wissenschaftlichen Namen. Und dann tragen wir hier die Fundstelle ein und die Bodenbeschaffenheit, das Klima, wozu die Pflanze genutzt wird und wie man sie zu Medizin verarbeitet.

    "Jeder ländliche Haushalt ist eine Schule" - nach diesem Prinzip arbeitet der Umweltclub. Die jungen Leute besuchen die Bauern in der Umgebung und sammeln einheimische Kräuter, Pflanzen und das Laub verschiedener Bäume. Die Alten in den Dörfern wissen noch um die Nähr- und Heilkraft der einheimischen Flora. So wird traditionelles Wissen aktiviert und weitergegeben. Das Schulprojekt erfunden hat Million Belay. Er arbeitet am "Institut für nachhaltige Entwicklung", einer engagierten Umweltorganisation in Addis Abeba:

    Äthiopien hat eine große Artenvielfalt. Und unsere Kultur ist relativ unberührt, weil wir nicht kolonisiert wurden. Wir wollen unserer städtischen Jugend die alte Kultur wieder nahe bringen. Wir nennen das Projekt: "Achtung vor der kulturellen Artenvielfalt". Die Schüler gehen in die Dörfer, reden mit den Ältesten und den Frauen und dokumentieren diese Gespräche. Die zehn besten Berichte werden wir als Buch zum "Rio plus 10 Gipfel" herausbringen - die Schönheit der Artenvielfalt. Denn Globalisierung bedeutet Uniformität und die ist hässlich.

    Wie in vielen Ländern des Südens haben auch die Äthiopier nach dem Umweltgipfel von Rio vor zehn Jahren der Ökologie einen größeren Stellenwert eingeräumt. Das zeigen die zahlreichen Projekte, in denen die Wasserknappheit, der Ressourcenverbrauch oder die Artenvielfalt des Landes diskutiert und Alternativen erprobt werden. Der Umweltclub der Berufsschule High 12 ist ein Beispiel dafür. Im Schulgarten werden typisch äthiopische Getreidearten angebaut, zum Beispiel "Tef", das äthiopische Hauptnahrungsmittel. Daraus werden die säuerlichen injera-Fladen gebacken, die zu allen Speisen als Beilage gereicht werden. Außerdem züchten die Schüler einheimische Bäume und schenken sie den Menschen in der Nachbarschaft der Schule. Solomon Haile Mariam, ebenfalls vom "Institut für Nachhaltige Entwicklung", begleitet das Projekt als Wissenschaftler:

    Das hier ist Juniperus procera, ein einheimischer Baum, und das hier Hagenia abyssinica. Hier an dieser Stelle stehen die Setzlinge speziell für einheimische Bäume. Die Nachbarn sollen die Bäume gegen die Erosion pflanzen und auch als Baumaterial und Brennstoff nutzen, damit sie ihr eigenes Holz haben.

    Äthiopien leidet, wie viele Länder der Dritten Welt, unter Entwaldung und in der Folge Erosion. Waren einst über 30 Prozent des Landes mit artenreichen Waldflächen bedeckt, so sind es heute nur noch drei Prozent. Die Wälder wurden durch Brände gerodet oder abgeholzt, um Teeplantagen anzulegen, und weil immer mehr Menschen immer mehr Brennholz brauchen. Das Projekt "Achtung vor der Artenvielfalt" versucht, den jungen Äthiopiern den nachhaltigen Umgang mit diesen Ressourcen bewusst zu machen.

    Mehr als in jeder anderen Region der Welt bilden biologische Ressourcen in Afrika die Grundlage für Wirtschaft und Wohlstand. Über 700 Millionen Afrikaner sind direkt auf die einheimische Flora angewiesen - für Nahrung, Energie, Medikamente und Baumaterialien. Die Bewahrung der biologischen Vielfalt ist darum ein zentrales Anliegen der afrikanischen Nichtregierungsorganisationen, das sie auf dem Umweltgipfel in Johannesburg vertreten.

    Die Artenvielfalt sei nicht nur durch Entwaldung und Erosion gefährdet, sagen afrikanische Umweltschützer, sondern auch, weil die Konzerne des Nordens die Ressourcen des Südens ausbeuten. "Wir wachen erst auf, wenn der Dieb schon wieder weg ist", lautet ein geflügeltes Wort. Der Dieb kommt allerdings immer wieder. Ein zweiter Wettlauf um Afrikas Ressourcen hat begonnen. Die Kolonialherren plünderten Gold und Elfenbein. Die Global Players der Pharma- und Agroindustrie und des Gartenbaus konkurrieren um die Biorohstoffe der Welt. Bio-Prospecting nennt sich die Suche nach marktfähigem biologischem Material. Da es dafür in kaum einem afrikanischen Land gesetzliche Regeln gibt, werden Pflanzen im rechtsfreien Raum gewildert. Von den 1,7 Millionen beschriebenen Pflanzenarten der Welt wächst ein Viertel in Afrika. Negusu Aklilu von der "Biologischen Gesellschaft Äthiopiens" nennt Beispiele:

    Heutzutage geraten viele Pflanzen ins Visier der Leute aus dem Norden, vor allem der pharmazeutischen und der Ernährungsindustrie. Sie kommen meistens nach Afrika und in andere tropische Regionen. Ein Beispiel: Die namibische Pflanze "Devils Glow", Teufelsglut, kann Arthritis behandeln. Der Exportpreis vor Ort in Namibia liegt bei drei US-Dollar für ein Kilo Wirkstoff. Aber wenn es die USA erreicht hat, ist der Preis schon auf 702 US-Dollar pro Kilo Wirkstoff angestiegen. Sie können sich die Gewinne ausrechnen.

    Zwar gibt es seit dem Umweltgipfel in Rio 1992 eine völkerrechtlich verbindliche Konvention zur Erhaltung der Biodiversität. Aber als es im April in Den Haag darum ging, diese Konvention genauer zu fassen, wurden für den Zugang zu genetischen Rohstoffen und für die Gewinnbeteiligung der betroffenen Länder doch nur freiwillige Regeln beschlossen. (CBD press 19.04.) Ein Beispiel für den Konflikt um das "Grüne Gold" ist der Streit um die Patente der internationalen Saatgut-Konzerne: Die holen Getreide-Arten aus Afrika in ihre Labors, verändern sie gentechnisch und lassen sie sich patentieren. Schon jetzt sind die Bauern in den Entwicklungsländern deshalb weitgehend vom Saatgut internationaler Multis abhängig. Sue Edwards, die Leiterin des "Instituts für Nachhaltige Entwicklung" in Addis Abeba, schreibt dazu in einem Kommentar:

    Die Länder des Nordens sind im allgemeinen arm an Artenvielfalt, die des Südens reich. Aber die Länder des Nordens haben die Gentechnik entwickelt und darin sehen sie die führende Technologie, um ihre Hegemonie über alle biologischen Ressourcen auch in Zukunft zu sichern. Darum sind es vor allem ihre nationalem und internationalen Konzerne, die gerne "freien Zugang" zu den biologischen Rohstoffen, auch den menschlichen, des Südens hätten. Sie denken, dass sie auf diese Weise ihr wirtschaftliche Herrschaft über die Länder des Südens behalten können.

    Was vor Jahren als sogenannte grüne Revolution begann - die Einführung neuer Sorten Mais, Weizen oder Reis in Dritte-Welt-Ländern, plus chemischem Dünger und Pflanzenschutzmitteln - tritt nun in eine zweite Phase: Genetisch veränderte Pflanzen sollen schneller wachsen, widerstandsfähiger gegen Schädlinge und Krankheiten sein und die Erträge erhöhen. Die biologischen Ressourcen in Afrika sind also dreifach bedroht: Durch Entwaldung und Erosion, durch ihre ökonomische Ausnutzung und durch ihre gentechnische Veränderung.

    Zu den Schätzen im sogenannten "Armenhaus" der Welt Afrika gehört auch die kulturelle Vielfalt. Diesen Schatz versuchen die Afrikaner an neugierige Reisende aus aller Welt zu verkaufen: Tourismus gilt als einer der wenigen Wachstumssektoren auf dem Kontinent. Die UNO hat das Jahr 2002 zum internationalen Jahr des Ökotourismus ausgerufen. Darum haben jetzt viele Länder Mittel in Entwicklungsprojekte gesteckt, die drei Ziele von Rio miteinander verknüpfen sollen: Zum ersten die Erhaltung biologischer Vielfalt, zum zweiten die Bewahrung kultureller Vielfalt und schließlich eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung.

    Sehen Sie die drei Gipfel da drüben? Das sind die "Drei Schwestern". Wir bauen ein Gästehaus genau unterhalb der "Drei Schwestern", und da ist es überwältigend schön. Leider ist die Straße sehr, sehr schlecht, aber wir haben jetzt ein kleines Projekt begonnen, bei dem die Leute aus dem Dorf die Straße selbst reparieren, das heißt die Arbeitskräfte kommen aus der Dorfgemeinschaft.

    Szenenwechsel. An der Südspitze des Kontinents, in Südafrika lenkt Sissie Matela den Jeep über einen vom Regen ausgewaschenen Weg. Die energiegeladene Frau ist Managerin des "Environmental and Development Agency Trust", EDA, einer südafrikanischen Nichtregierungs-Organisation, die sich der Entwicklung auf dem Land verschrieben hat. Sissie Matela ist verantwortlich für die Projekte in der Region rund um die Kleinstadt Matatiele. Das verschlafene Nest liegt am Fuße der blauen Berge von Lesotho, an der Grenze zu dem kleinen Inselstaat mitten in südafrikanischem Staatsgebiet. Hier soll die Infrastruktur für ein touristisches Projekt geschaffen werden.

    Am Ende des Weges stehen wir auf einer grünen Wiese. Ein Mann führt uns zu einer großen Rundhütte. Das sogenannte Rondavel ist mit dekorativen afrikanischen Mustern bemalt.

    Wir betreten den Rohbau, der mit Mauern in verschiedene Bereiche unterteilt ist. Esszimmer, Küche, Damen- und Herrentoilette, Badezimmer, erklärt Simon Dlamini. Er hat von Anfang das Gästehaus mitgebaut, wie viele seiner Nachbarn aus Matschikong und den umliegenden Dörfern.

    Einer hat mit seinen Helfern das Grasdach hergestellt, die anderen Arbeiten haben Leute aus den Dörfern gemacht. Damit alle zeitweise was zu tun hatten. Einige haben die Fundamente gegossen, andere die Mauern hochgezogen und wieder andere haben verputzt. Es ist gut für uns alle, wenn Touristen hierher kommen. Wir haben die schönen Berge und als Attraktion die alten Höhlen der Buschleute. Das Dorf soll davon profitieren: Wir wollen Gemüse, Eier und Fleisch liefern und uns so das Überleben sichern.

    Die beiden Gästehäuser von Matschikong sind nach traditionellen Methoden erbaut; sie sind Teil eines Projektes für nachhaltigen Tourismus. Der "Maluti Wander- und Reitweg" soll Touristen vier Tage lang am Fuße der Drakensberge entlang durch fast unberührte Natur führen, in Begleitung ausgebildeter Fremdenführer. In fünf Dörfern übernachten die Gäste und werden von Einheimischen bewirtet. So können sie aus erster Hand Eindrücke gewinnen. Die Dorfbewohner wollen sich neue Einkommensquellen erschließen, weil sie nicht länger von der Vieh- und Landwirtschaft leben können. Denn der Boden ist ausgelaugt.

    Hauptsächlich wegen der Überweidung. Der Boden hat nicht genug Zeit sich zu regenerieren und wird immer schlechter und schlechter. Das ist der Hauptgrund. Und auch die Bevölkerungsdichte ist sehr hoch. Die meisten Menschen wurden hier während der Apartheid zwangsweise angesiedelt, um für die Weißen Platz zu machen, und man hat sie hier zusammengedrängt. Das war noch nie eine gute Gegend für Landwirtschaft. Aber die Leute mussten ja überleben!

    Das Projekt des Maluti Wanderweges war eine Idee der Einheimischen. Sie wählten den Tourismus als neuen lokalen Wirtschaftszweig. Sissie Matelas Organisation half ihnen, ein Konzept zu entwickeln, sich untereinander abzustimmen und Geld aufzutreiben. Die Bewohner haben das Projekt von Anfang mit geplant und ausgeführt. Nun sehen auch sie den Wert ihrer Umwelt mit anderen Augen.

    Dies ist öko-kultureller Tourismus im Gegensatz zu Massentourismus. Wir wollen nicht diese Raser in ihren Jeeps mit lauter Musik. Wir möchten Menschen, die Frieden und Ruhe suchen, die sich anpassen wollen an die Kultur dieses Ortes und sich an der Natur und den Menschen hier erfreuen. Wir wollen nicht, dass sie den Kindern Geld oder Süßigkeiten schenken oder die Schönheit dieser Landschaft ruinieren. Sie soll so bleiben, wie sie ist.

    In Masakela wurde das erste Gästehaus im vergangenen Jahr eröffnet, ein großes Rondavel, ähnlich aufgeteilt wie das in Matschikong. Drei Frauen haben das Abendessen vorbereitet: Reis mit schmackhafter, scharfer Soße und Hühnerfleisch. Gegessen wird bei Kerzenlicht. Der Strom ist ausgefallen. Auf den Betten liegen wollene Tagesdecken, jede anders bestickt, nach Art der Sothos, der Xhosas oder der Griquas....

    Schon morgens um sieben wärmt die Sonne; aber noch haben die Menschen Decken um die Schultern geschlagen. Frauen tragen Wassereimer auf den Köpfen herbei, Hunde streifen durchs Gras. Masakela erwacht.

    In der nahen Senke schimmert es grün - die vormals ausgetrockneten Feuchtgebiete kommen langsam wieder zum Vorschein. Dahinter liegen die runden, braun-gelben Hügel vor den 2000 Meter hohen Bergen. Robert Mnika arbeitet im Entwicklungsprojekt mit:

    Zur Zeit spricht der ganze Kontinent über die "Afrikanische Renaissance". Ich glaube, Ökotourismus wird uns helfen, unsere Wurzeln wiederzufinden und wieder da zu beginnen, wo wir vorher waren. Wenn man sich auf die Tradition besinnt, werden die Probleme weniger. Zur Zeit ist zum Beispiel alles sehr teuer - wenn man dagegen sein eigenes Gemüse anbaut, dann wird es billiger. Ökotourismus ermutigt uns, über solche Dinge nachzudenken.

    Von Beginn an war die Bevölkerung in diese Entscheidungen eingebunden. Die fünf Dörfer mussten sich untereinander vernetzen. Dafür schufen die Bewohner eigens neue demokratische Gremien, kein einfaches Unterfangen. Schließlich ging es auch um die Frage, wer darf bei dem Projekt mitarbeiten und Geld verdienen? Als Köchin, Putzfrau, beim Kehren des Hofes und beim Einkauf. Die, die sich eingesetzt haben, als es noch um den Aufbau ging, lautet die Antwort der Beteiligten. Die, die zuverlässig sind.

    Darunter sind viele Frauen. Zum Beispiel jene, die die Dekorationen der Rundhütte herstellen. Grasmatten, Sonnenhüte, Perlenschmuck, Tontöpfe, Matten aus Plastiktüten. Nothulami Beauty Sizani erklärt in ihrer Sprache Xhosa:

    Wir sind Teil des Projektes. Wir bringen unsere Sachen hier ins Gästehaus und verkaufen sie. Die Touristen kaufen das ein und helfen uns damit beim Überleben. Denn wir haben keine Arbeit.

    Auch die zehn Frauen, die eine kleine Hühnerzucht aufgebaut haben, hoffen auf Touristen. Sie wollen das Gästehaus mit Eiern und Fleisch beliefern. Und einen Kilometer weiter hat eine andere Frauengruppe eine Bäckerei eröffnet. Sich selbst die Existenz langfristig sichern und den Respekt der Touristen aus dem Norden gewinnen, das ist möglicherweise der wichtigste Aspekt biologischer und kultureller Vielfalt. Sissie Matela bringt es auf den Punkt:

    Die Menschen hier haben ihre Gründe, warum sie Vieh besitzen wollen. Wir sind nicht wie Ihr aus dem Westen - Ihr wollt zum Beispiel nur zwei Kinder und wir wollen 15! Und wir haben unsere Gründe dafür! Unsere Kinder sind unser Wohlstand, und das sollte keiner in Frage stellen. Und unsere fetten Frauen - wir lieben dicke Frauen! Während ihr aus dem Westen die dünnen mögt. Das sind die Unterschiede, die diese Welt zu einem interessanten Ort machen! Und wir sollten nicht alle gleich sein!

    Link: Weitere Sendungen und viele Links zum Umweltgipfel in Johannesburg