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Zunahme der Raubmöwen gefährdet andere Seevögel

Die heute erscheinende Fachzeitschrift "Nature" hat die Skua zum Thema, die Riesenraubmöve, deren Bestände bedrohlich wachsen, zu Lasten der kleinen Seevögel. Offenbar gibt es eine komplizierte Beziehung zwischen Fischern, Riesenraubmöve und anderen Vögeln. Eine Langzeitstudie aus Nord-Schottland versucht die Zusammenhänge zu erklären.

Von Dagmar Röhrlich |
    Die Große Raubmöwe – oder Skua – ist ein bussardgroßer Räuber, der ganz oben in der Nahrungskette steht. Sie hat es auf Fische abgesehen, auf Mäuse und Seevögel, ist aber auch dem Mundraub nicht abgeneigt. Dazu hetzt sie ihre Opfer so lange, bis die in Todesangst ihre Fische auswürgen, die die Große Raubmöwe dann geschickt im Flug auffängt. Mit den großen Trawlern hat der Räuber auch eine bequeme Überlebensstrategie für sich entdeckt: Sie tut sich am Beifang gütlich, der über Bord gekippt wird. Seit einigen Jahren aber klappt es mit diesem Schlaraffenland nicht mehr so richtig – aufgrund der Überfischung. Die Folge:

    In Jahren, in denen wenig gefangen wurde und deshalb auch Beifang über Bord ging, haben wir beobachtet, dass die Große Raubmöwe sich den Seevögeln als Beute zuwenden.

    Das sei der Beginn eines Trends, urteilt Stephen Votier von der Universität Glasgow:

    Es wird immer weniger Beifang über Bord gehen, zum einen, weil die Meere leergefischt sind und die Fänge stark zurückgehen. Zum anderen werden die Maßnahmen zum Schutz der Jungfische greifen, etwa durch einen neuen Zuschnitt der Netze, aus denen die kleinen Fische entkommen können. Wir hoffen also, daß der Beifang zurückgeht, aber das wird auf die Seevögel in Nordsee und Nordatlantik durchschlagen.

    Denn die Studie zeigt eindeutig: Ist das Jahr für die Fischer schlecht, verlegt sich die Große Raubmöwe auf die Seevogel-Jagd: und zwar in deren Brutkolonien.

    Besonders die kleineren Arten wie Papageientaucher, Dreizehenmöwen und Alke sind bedroht. Da diese Vögel gleichzeitig – eben weil sie klein sind – auch weniger erfolgreich im Kampf um den ohnehin kärglicheren Beifang sind, werden sie sozusagen von zwei Seiten in die Zange genommen.


    Das Gleichgewicht könnte bedroht sein. Könnte – denn niemand kennt das natürliche Gleichgewicht bei Seevögeln. Man weiß nur, dass die Zahl der Großen Raubmöwen in die Höhe geschnellt ist, weil der Mensch ihr nicht mehr nachstellt.

    Wir sind uns nicht sicher, wie das im historischen Kontext eingeordnet werden muss, weil wir keine Ahnung haben, wie eine Seevogelpopulation in einem ungestörten Gebiet aussieht. In unseren Untersuchungen zeichnet sich jedoch ab, dass der Einfluß der Großen Raubmöwe negativ ist, also dass die Zahl der Attacken höher ist als im ungestörten System. Das Gewicht könnte sich zu Gunsten der Skua verschieben.

    Die Forscher hoffen auf Rettung: durch die Sandaale. Das sind kleine, silbrige und sehr fettreiche Fische, die in großen Massen vorkommen können und die oben auf dem Speiseplan von Papageientauchern, Alken aber auch von Skuas stehen. Von diesen Fischen hängt der Bruterfolg vieler Seevögel ab. Aber es gibt einen Haken:

    Die Sandaale nehmen ab, nur wissen wir leider nicht genau, warum. Vor 20 Jahren gab es durch Überfischung einen so dramatischen Rückgang, so dass kaum Jungvögel durchkamen. In Schottland wurde die Sandaal-Fischerei stark beschränkt, so dass sich die Bestände etwas erholt haben. Aber obwohl Sandaale im Sommer nicht gefischt werden dürfen, gab es 2003 so wenige wie nie zuvor, und entsprechend ging die Zahl der Seevögel zurück. Das lag nicht an der Fischerei, sondern könnte Folge des Klimawandels oder der Verlagerungen von Meeresströmungen sein. Auch wandern diese Fische sehr weiträumig – aus unbekannten Gründen. Aber da der Bestand an Sandaalen bestimmt nicht steigt, wenn wir sie abfischen, geraten wir zum Ende der Sandaal-Fischerei.

    Zugunsten der Seevögel. Eine einfache Lösung gibt es nicht, erläutert Stephen Votier. Niemand kann vorhersagen, wie sich der Bestand an Sandaalen entwickelt. Oder ob die Skua schließlich Alk und Papageientaucher bedroht, oder ob sie vorher selbst mangels Nahrung in Bedrängnis kommt – das ist offen. Bleibt nur die Hoffnung auf die Sandaale.