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Zunge mit vielen Augen

Chemie. – Die Geschmäcker sind verschieden, sagt der Volksmund sicherlich treffend. Doch beim wissenschaftlichen Vergleich ist dies eher hinderlich, besonders wenn nur subjektive Einschätzungen vorliegen, wie etwa bei der Beurteilung von Wein. Doch das hat jetzt ein Ende, denn Chemiker der Technischen Universität Wien entwickelten ein objektives Messverfahren für Inhaltsstoffe im edlen Traubensaft. Besonders in der Qualitätssicherung ließe sich die so genannte ''optische Zunge'' einsetzen.

    Die Menge an Begriffen für den Geschmack von Weinen ist schier endlos: vielsagende Beschreibungen wie etwa "engmaschig", "seidig", "hart" oder "trocken" entbehren dabei nicht einer gewissen Subjektivität. Doch allen gemein ist eine Substanzgruppe, die für die Ausprägung eines solchen geschmacklichen Charakters hauptverantwortlich ist – die so genannten Tannine. Doch diese Gerbstoffe aus der Gruppe der Polyphenole verleihen einem Wein nicht nur sein individuelles Bouquet, sondern schützen überdies die Traube gegen Pilzbefall und Bakterien sowie – wie zumindest Studien nahe legen – Weintrinker vor bakteriellen Infektionen und Gefäßverschlüssen. Geschmacklich indes bezahlt der Genießer diese positiven Eigenschaften mit einem beachtlichen Preis, denn Tannine sorgen für einen bitteren Abgang auf der Zunge. Auf der chemischen Ebene spielt sich einiges ab beim Weingenuss. Die Inhaltsstoffe des Traubensaftes, also auch die Tannine, interagieren mit Eiweißen im Speichel und rufen so ein austrocknendes und etwas "pelziges" Gefühl im Gaumen hervor, wenn besonders viele Gerbstoffe im Wein enthalten sind. Mit Hilfe der Infrarotspektroskopie bildet Bernhard Lendl vom Institut für Chemische Technologien und Analyseverfahren an der Technischen Universität in Wien dieses chemische Geschehen auf seiner so getauften "optischen Zunge" nach: "Dazu verwenden wir eine Durchflusszelle, die der Wein passiert. Stationär in dieser Zelle befinden sich eben jene Proteine, die auch im Speichel vorkommen. Reagiert ein Inhaltsstoff des Weines mit diesen Eiweißen, kann er nur verzögert durch die Zelle treten, während die Passage schnell abläuft, wenn eine Substanz im Wein keinen Reaktionspartner findet."

    Gleichzeitig schickt Lendl infrarotes Licht durch die Messzelle. Findet eine Reaktion zwischen den Gerbstoffen des Weines und den Speichelproteinen statt, wird der Lichtstrahl verändert und dies durch die Apparatur angezeigt. So erhält Bernhard Lendl aus den Tanninen einen unverwechselbaren Fingerabdruck zu einem bestimmten Wein. "Um die Glaubwürdigkeit unserer Analyse zu testen, verglichen wir unsere Messwerte mit den Beurteilungen professioneller Weinverkoster. Dabei ergab sich eine sehr gute Übereinstimmung zwischen beiden Datenquellen", schildert der Wiener Chemiker. Während professionelle Sommeliers allerdings nur eine geringe Zahl an Weinen nacheinander kosten und zuverlässig einordnen können, ermüdet die "optische Zunge" aus Wien überhaupt nicht und eignet sich bestens für Reihenversuche. "Ein Mensch hat vielleicht einmal einen guten oder einen schlechten Tag und damit variieren auch die Ergebnisse und auch die Übereinstimmung unter verschiedenen Verkostern ist nicht immer optimal", erklärt Lendl. Die optische Tannin-Messung liefert dagegen exakt jenen einzigen Geschmackseindruck, wenn adstringierende, also zusammenziehende Substanzen wie Gerbstoffe vorhanden sind. Dazu Lendl: "Doch auch andere Eindrücke wie etwa süß oder sauer können ebenso über chemische Reaktionen in einer solchen Durchflusszelle erhoben werden. Durch die Kombination mehrerer Eindrücke könnten wir auch ein vollständigeres Bild eines Weines zeichnen."

    Je jünger ein Rotwein ist, desto mehr Tannine sind zwar darin enthalten. Doch nicht alle dieser Polyphenole stammten auch aus der Traube, erklärt Bernhard Lendl: "Diese phenolischen Komponenten können aus den Kernen, der Weinschale, aber auch aus einem Barriquefass stammen. Nachdem im Infrarotspektrum die Information enthalten ist, woher die Phenole herrühren, können wir auch sagen, wie dieser Wein ausgebaut wurde." So sei es etwa mit dieser Methode prinzipiell auch möglich, eine edle Barriquefasslagerung von schnelleren und preiswerteren, künstlichen Alterungsverfahren zu unterscheiden, bei denen einfach quasi "Teebeutel" mit Holzschnipseln in Edelstahlweinfässer zugegeben werden und so ebenfalls ein eichiger Geschmack in Rekordzeit erzeugt wird. Damit ist die optische Zunge aus Wien geradezu für die Qualitätssicherung prädestiniert.

    [Quelle: Franz Zeller]