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Zur China-Visite von Bundeskanzler Schröder und außenpolitischen Fragen

Heinemann: Gerhard Schröder wird sich heute, wie viele vor ihm, auf die Gradwanderung begeben zwischen Prinzipien und Interessen. Des Kanzlers Besuch in Japan endet, und es beginnt seine Visite in China: zunächst in Shanghai, wo deutsche Autos gebaut werden. Ein Volkswagen für jeden Bürger der Volksrepublik, das ist der Traum der Ökonomen und der Albtraum der Ökologen. So viel zu den Interessen. Zu den Prinzipien gehört es daran zu erinnern, dass auch in China die eigentlich selbstverständlichen Rechte für Menschen nicht selbstverständlich sind. Das Regime in Peking hat gerade der Bewegung Falungong den Kampf angesagt, die von Meditation und religiöser Orientierung mehr hält als von den vorgeblich letzten Wahrheiten des Kommunismus. Außenpolitik und Menschenrechte unser Thema heute Früh. Am Telefon ist Volker Rühe, der stellvertretende CDU-Partei- und Unionsfraktionsvorsitzende. Guten Morgen!

    Rühe: Schönen guten Morgen.

    Heinemann: Herr Rühe, der Bundeskanzler bringt als Gastgeschenk den Vorschlag mit, China solle in den Kreis der G-Staaten aufrücken. Die Runde der führenden Industrienationen ist ja inzwischen um Russland auf G8 erweitert worden. Sollte daraus G9 werden?

    Rühe: Er hat den Vorschlag meiner Meinung nach nicht seriös genug vorbereitet, sondern eher wie einen Medien-Gag vorgetragen. Zur Vorbereitung hätte gehört, dass er ihn mit wichtigen Partnern der G8-Runde vorher besprochen hätte: zum Beispiel mit den Vereinigten Staaten und auch mit Japan, was er ja öffentlich damit konfrontiert hat, während dessen nach meiner Kenntnis in den Sach- und Fachgesprächen das nicht weiter erörtert worden ist. Ich glaube, dass die Zeit noch nicht reif ist, und noch einmal, dass man einen solchen wichtigen Vorschlag nicht in Form eines Medien-Gags ansprechen sollte, sondern ihn zunächst einmal intern mit den wichtigsten Partnern - und Japan übernimmt ja den Vorsitz - besprechen sollte. Dann haben alle Beteiligten mehr davon.

    Heinemann: Sie lehnen das zum gegenwärtigen Zeitpunkt also ab?

    Rühe: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt halte ich die Situation noch nicht für reif.

    Heinemann: Eine andere Sache: die rot/grüne Bundesregierung hat eine Hermes-Bürgschaft für ein Exportgeschäft für den umstrittenen Drei-Schluchten-Staudamm in China zugesagt. Zur Erinnerung: dafür müssten etwa 100 Städte überflutet und zwei Millionen Menschen umgesiedelt werden. Kann sich Deutschland an einer solchen Zwangsumsiedlung beteiligen?

    Rühe: Ich glaube, das ist ein weiterer Punkt aus dem Kapitel rot/grün zu Oppositionszeiten und rot/grün in der Regierungsverantwortung, wo einem schwindelig werden kann angesichts der Kurswechsel, die sich dort vollziehen, denn die SPD und auch die Grünen haben dieses Projekt zu ihrer Oppositionszeit massiv bekämpft. Jetzt haben sie dort einen völligen Kurswechsel vollzogen. Ich bin nicht der Experte für diesen Staudamm. Deswegen will ich das in der Sache nicht kritisieren. Ich glaube, dass China für seine Entwicklung schon große Projekte braucht und dass dieses auch dazu gehört. Was aber verblüffend ist, dass die Welt für rot/grün in dem Moment, an dem sie in der Regierung sind, völlig anders aussieht, als das vorher der Fall war, und das ist eine weitere Belastung für die Glaubwürdigkeit.

    Heinemann: Wieso sollte die chinesische Führung mit Andersdenkenden pfleglicher umgehen, solange die Handelspartner Schlange stehen?

    Rühe: Bei den Handelspartnern gibt es ja im übrigen auch gegenseitige Interessen. Ich finde schon, wir sollten von dem deutschen Bundeskanzler, dessen Besuch in Japan und China ich übrigens begrüße - das ist ganz wichtig -, erwarten, dass er dafür sorgt, dass deutsche Unternehmen in China endlich auch die gleichen Bedingungen erhalten wie chinesische in Deutschland. Hier gibt es gewaltige Hindernisse im Vergleich, und wir sind hier ja auch nicht als Bittsteller. Im übrigen ist das immer ein Balance-Akt. Das hat sich ja auch der Vorgängerregierung gestellt. Ich finde, was man nicht machen kann, was nicht sehr eindrucksvoll aussieht ist, dass der eine sich als Kanzler dort nur um die Wirtschaft kümmert und dann vielleicht der Außenminister den Dalai Lama empfängt. Wir müssen im Zusammenhang mit der China-Reise des Bundeskanzlers schon erwarten, dass er eine rot/grüne China-Politik definiert und wie sich hier auch das Verhältnis darstellt zwischen dem Wunsch nach guten politischen Beziehungen, guten wirtschaftlichen Beziehungen, aber auch dem offenen Ansprechen der Bürgerrechtssituation in China. Bundeskanzler Schröder hat ja selbst gesagt, er wolle einen konstruktiven Dialog über Rechtstaatlichkeit führen. Es bleibt also abzuwarten, wie geschickt und wie durchschlagskräftig er das in seine Gespräche mit einbezieht. Ich glaube nicht, dass er sich dort rein als Wirtschaftsfachmann darstellen kann.

    Heinemann: Wie ist das Verhältnis Wirtschaft und Menschenrechte generell? Sind wir mit unserer Arbeitslosigkeit erpressbar?

    Rühe: Nein, wir sind nicht erpressbar. Darum kann es nicht gehen. Auf der anderen Seite muss man gegenüber einem Staat wie China, eine Milliarde Menschen und der gewaltigen Rolle, die China im 21. Jahrhundert spielt, immer die Frage prüfen, wie man denn in der richtigen Form faktisch den größten Einfluss nehmen kann, dass die Dinge in eine bessere Richtung laufen. Das muss jeweils im Einzelfall entschieden werden. Hier hat es ja von rot/grün immer heftige Anklagen gegenüber Bundeskanzler Kohl gegeben. Ich glaube, dass der durch seine Politik der Zuwendung zu China und des sich intensiven Kümmerns nicht nur um die Wirtschaftsinteressen letztlich doch auch den Weg beschritten hat, mit dem man vielleicht am meisten erreichen kann. Hier gibt es aber Grenzen dessen, was man erreichen kann. Das wird auch der Bundeskanzler Schröder feststellen.

    Heinemann: Die Rolle der Menschenrechte in der Außenpolitik hat in den vergangenen Tagen vor allem im Zusammenhang mit der Türkei und dem Verkauf von deutschen Panzern für Streit gesorgt. Sie sind für das Geschäft, obwohl am Bosporus gefoltert wird und die Kurden vom Staat terrorisiert werden. Aus welchem Grund?

    Rühe: Ich glaube, dass es jetzt eher Hoffnung auf eine bessere Entwicklung im Verhältnis zu den Kurden gibt.

    Heinemann: Sollte man die nicht erst einmal eintreten lassen?

    Rühe: Ich glaube, dass sich das schon abzeichnet. Im übrigen muss man bei einer solchen Entscheidung auch andere Gesichtspunkte gewichten: welche Rolle spielt die Türkei in der Region, im nahen Osten, im Kaukasus, im Balkan. Dort ist sie eher ein Staat, der Stabilität fördert, der Frieden fördert. Ich glaube zum Beispiel, dass durch die Zusammenarbeit mit Israel es vielleicht leichter möglich ist, einen umfassenden Frieden auch mit Syrien zu schließen, und deswegen die strategische Rolle der Türkei. Sie ist eher jemand, der auch Probleme lösen kann, für Stabilität sorgen kann in der Region. Das muss genauso gewichtet werden. Was mich abgeschreckt hat ist die Heuchelei, dass man im Grunde genommen, wie der Außenminister das gemacht hat, in den Sicherheitsrat geht, so ein bisschen grün abstimmt oder sich überstimmen lässt, weil er als Außenminister auch Interesse daran haben muss, dass die Beziehungen sich gut entwickeln. Wir müssen auch eine gemeinsame europäische Haltung erarbeiten, denn die Rüstungsprojekte werden immer weniger nur nationale Projekte sein. Man kann ja wohl nicht sagen, dass wir Deutschen nun im Prinzip moralischer sind als die Franzosen und die Engländer. Deswegen gibt es hier auch viel Heuchelei. Man muss immer fragen, was man denn konkret am meisten bewirken kann. Im Verhältnis zu den Kurden, ich glaube, da gibt es eher positive Signale, vor allen Dingen aber auch im Verhältnis zur Stabilisierung des Friedens in der Region.

    Heinemann: Aber die Türkei schafft doch auch Probleme? Die türkische Armee ist permanent im Nordirak im Einsatz. Ist das mit deutschen Waffen unterstützenswert?

    Rühe: Das hat ja vielleicht auch etwas mit dem Irak zu tun und dem Iran, die eher Problemstaaten in der Region sind. - Natürlich müssen die Dinge sich weiter verbessern. Das ist überhaupt gar keine Frage. Aber die Türkei ist unser NATO-Partner. Wir waren auch zurückhaltend in den 90er Jahren, was die Lieferung von bestimmten Systemen angeht. Aber ich halte die Entscheidung des Bundeskanzlers für gerechtfertigt, einen Testpanzer zu liefern und später dann die Hauptentscheidung zu treffen. Aber man muss wissen, dass das eine wichtige Vorentscheidung ist. Was eigentlich abstoßend ist, das ist das Taktieren der Grünen im Zusammenhang mit diesem Thema und natürlich auch hier der atemberaubende Kurswechsel, wenn man mal die Oppositionszeit mit der Regierungszeit vergleicht. Ich glaube, ein Politiker darf seine Meinung weiterentwickeln, aber was an rot/grün, vor allem jetzt auch bei den Grünen die Glaubwürdigkeit zerstört, das ist dieser atemberaubende Kurswechsel in dem Moment, in dem sie Ministerstühle unter sich fühlen.

    Heinemann: Herr Rühe, wenn die Türkei ein, wie Sie sagen, Garant von Stabilität und Frieden ist, kann man ihr dann den Status eines Kandidaten für die EU vorenthalten?

    Rühe: Die EU hat ja noch höhere Ansprüche als die NATO. Deswegen ist der Weg dorthin sicherlich noch schwerer. Man kann das aber vertreten, wenn man der Meinung ist, dass dann die Türkei, wenn sie ein solches Ziel vor sich sieht, noch größere Anstrengungen macht, den Aufnahmebedingungen in der EU gerecht zu werden. Was man nicht machen sollte - und da gibt es auch viel Zynismus -, dass man sagt, wir geben ihr den Kandidatenstatus um zu zeigen, dass sie eben die Anforderungen nicht erfüllen. Ein solches Taktieren gegenüber einem wichtigen Bündnispartner halte ich nicht für richtig. Wir wollen, dass die Türkei eher die Bindung an Europa verstärkt. Wir sehen aber auch, dass das kein rein europäischer Staat ist, um das etwas untertrieben zu sagen, sondern dass sie eine wichtige strategische Rolle in einer Region spielen, in der Europa und Asien aneinandergrenzen und in der wir Europäer ein Interesse haben, die Türkei zu bestärken in einer Rolle, die eher auf Stabilität ausgerichtet ist.

    Heinemann: Im Panzerstreit stand die Union alles andere als geschlossen da. Zwei Namen aus der CSU: Mit Michael Michael Glos und Horst Seehofer konnte man für und gegen den Rüstungsexport sein. Wer formuliert zur Zeit die Außenpolitik der C-Parteien und der gemeinsamen Fraktion?

    Rühe: Ich glaube, dass es völlig richtig ist, dass man hier auch unterschiedliche Akzente ansetzen kann. Aber in der Fraktionsführung mit Wolfgang Schäuble, denke ich, haben wir letztlich klar unsere Position formuliert, dass wir das im Prinzip für richtig halten, was die Regierung letztlich entschieden hat, nämlich diesen Versuchspanzer an die Türkei zu liefern, wenn man alles miteinander abwägt. Das ist die Position. Aber ich verstehe auch die Kollegen, etwa Norbert Blüm, der sagt, ich kümmere mich nur um die Frage der Menschenrechte. Er ist aber auch nicht der Außenminister. Von einem Außenminister muss ich erwarten, dass er mehr Gesichtspunkte abwägt und vor allen Dingen dass man nicht diese taktischen Spielchen betreibt, dass man sich im Bundessicherheitsrat überstimmen lässt, ein bisschen grüne Flagge hisst, aber letztlich dann doch froh ist, nachdem man die Türkei zum Beitrittskandidaten in der Europäischen Union gemacht hat, dass man ihr die Panzer auch nicht verweigert. Das ist, glaube ich, das eigentliche Ärgernis. Ich denke, CDU und CSU haben mehrheitlich schon eine klare Position, indem sie die Lieferung dieses Testpanzers unterstützt haben.

    Heinemann: Bitte eine kurze Antwort: Ist der Panzerstreit für Sie ein Thema im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf?

    Rühe: Das weiß ich nicht, ob das zu dem Zeitpunkt eine Rolle spielt. Ich glaube, er ist insofern ein Thema, als die Glaubwürdigkeit und die Identität der Grünen - was ist eigentlich noch grün? - weiter belastet worden ist. Die sind eh schon unter fünf Prozent in den Umfragen in Schleswig-Holstein.

    Heinemann: Volker Rühe, der stellvertretende CDU-Partei- und Unionsfraktionsvorsitzende in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Link: (Reinhard Bütikofer (Bündnis90/Grüne) über Waffenexporte an die Türkei (25.10.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/434.html)