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Zur Ethik und Ökonomie von Internet-Suchmaschinen

Ein Jugendlicher liebt Lyrik. Also tippt er in seine Suchmaschine das Wort "Gedichte" ein. An erster Stelle erscheint eine harmlose Seite, doch wenn er nicht aufpasst, hat er sich ein paar Klicks weiter einen Dialer eingefangen, der 30 Euro Zutrittsgebühr kassiert. Wessen Problem ist dieses Geschäftsmodell? Das der Eltern, die ihre Sprösslinge nicht genügend aufklären? Oder der an jeglichen Inhalten unbeteiligten Lotsen zu diesem Angebot?

Von Florian-Felix Weyh |
    Die Verantwortung der Suchmaschinen für das, was sie aufspüren, beschäftigte ein Team um den Leipziger Professor Marcel Machill im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung: Ja, Suchmaschinen sind Schlüsselmedien, auch wenn sie nicht aktiv Inhalte produzieren, sondern nur passiv Vorhandenes sortieren. Jede Form von Liste beruht auf impliziten Bewertungen, und die steuern unsere Wahrnehmung.

    Suchmaschinen sind "Gatekeepers", Torhüter, und damit keineswegs asketische Algorithmen, die objektive Wahrheit erzeugen. Schon der Plural klingt wie reiner Hohn. Wer über Suchmaschinen redet, redet unausweichlich über Google mit 70% Marktanteil, und ebenso unausweichlich weicht Google aus. An Machills Projekt hat man nicht teilgenommen, die Zusage zur Berliner Tagung wurde wieder rückgängig gemacht, Stillhalteperiode im Rahmen des Börsengangs. Doch Google steht im Fokus, zum Beispiel bei harter Pornographie und Nazipropaganda. Das historisch neutrale Stichwort "NSDAP" befördert an erster Stelle Amerikas Top-Neonazi Gary Lauck zutage. Suchmaschinenexperte Stefan Fischerländer erläutert, warum das auch ohne bösen Willen zwangsläufig so ist:

    Man hat ein Link, der von einer Seite auf eine andere Seite führt. Dann sagt Google, so ein Link ist eine Empfehlung. Das heißt Seite A linkt auf Seite B, also sagt Google, das ist eine Empfehlung von Seite A für Seite B. Das ist mal der erste Aspekt. Und der zweite Aspekt ist, dass in diesem Link meistens auch ein Text drinsteht, den man anklicken kann. Das angesprochene Beispiel, die Gary-Lauck-Naziseite, heißt NSDAP-AO. Und entsprechend linken alle, auch die sich kritisch damit auseinander setzen, auf diese Gary-Lauck-Seite und schreiben in den Linktext, der anklickbar ist, rein: NSDAP-AO Und damit kommt das Wort NSDAP in den Links, die auf diese fragwürdige Seite führen vor, und damit kommt diese Seite bei NSDAP, bei dieser Suchanfrage in Google auf Platz 1.

    Auch wer die Seite nur zur Abschreckung verlinkt, empfiehlt sie in Wahrheit, und zwar nachdrücklich, wenn sein Link mit einem häufig gebrauchten Suchstichwort identisch ist. Das einstmals als genial gepriesene Auswahlsystem Googles hat sich längst ad absurdum geführt und eine ganze Industrie von Bewertungsfälschern hervorgebracht, die "Search Engine Optimizers". Spamming nennt man ihre Produkte, wie bei unerwünschten E-Mails.

    Man stellt eine Suchanfrage und bekommt Ergebnisse, die nicht das bringen, was man eigentlich gesucht hat. Das ist Spam in Suchmaschinen.

    Alles nur ein Problem unausgereifter Technik? Nein, sagten die Bertelsmänner und setzten mit ihrem Projekt an anderer Stelle an. Techniken kommen und gehen, die gesellschaftlichen Grundfragen bleiben. Sie berühren die Belange des Jugendschutzes wie die der Nutzerkompetenz. Die allermeisten Menschen wissen nicht, was in einer Suchmaschine vor sich geht, oft können sie kommerzielle Empfehlungen nicht auf Anhieb erkennen.

    NRW-Staatssekretärin Miriam Meckel brachte es auf den Punkt: Man hält Suchmaschinen für unbestechliche Lotsen, in Wahrheit sind sie bezahlte Makler. Dass sie vorrangig von Werbegeldern leben, ist schlicht unbekannt. Transparenz über Bewertungsmechanismen und ökonomische Motive müsste also das erste Gebot lauten, doch da protestieren die Betreiber schon, denn Transparenz gefährdete ihre geheimen Suchalgorithmen, mithin ihr Geschäftsmodell.

    Auch die zweite Forderung nach Entfernung jugendgefährdender Seiten aus den Ergebnislisten stößt auf Einwände, denn die meisten Suchmaschinenbetreiber wollen keine teure redaktionelle Arbeit bezahlen; ganz abgesehen davon, ob diese angesichts der Datenmengen überhaupt erfolgreich sein könnte. Heraus kam zum Schluss ein weichgespülter Verhaltenscodex, den bislang vier deutsche Suchmaschinenzwerge unterschrieben haben.

    "Ihnen tut er nicht weh", heißt es bei den Großen hinter vorgehaltener Hand, und es ist abzusehen, dass in den nächsten Jahren ein Ringen zwischen Industrie und Politik über harschere Regelungen stattfinden wird. Missstände wie die Eingangs genannte Abzockerseite wird es dennoch immer geben; sie lassen sich nur durch wachsende Medienkompetenz, also pädagogische Maßnahmen bekämpfen. Denn wenn sich die Welt nicht moralisch perfektionieren lässt, muss man den Weltbewohner im Umgang mit der Unmoral trainieren.