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Zur Grenze des Absurden

Es gibt Musik, die allein beim Anhören schon zum Lachen bringt, auch wenn man kein Wort des Gesungenen versteht. So eine ist Gioachino Rossinis "Barbier von Sevilla"..

Von Frieder Reininghaus |
    Rossinis Musik meldet ihre Begehrlichkeiten und ihre ironische Distanziertheit an. Sie tut dies am Nationaltheater Mannheim jetzt wieder in angemessener Weise: zügig und elegant. Alois Seidlmeier dirigiert mit kleinen präzisen Bewegungen, zweckdienlich und effizient. Die virtuosen Momente des Orchesters schieben sich diskret unter die Gesangslineaturen. Sie gesellen sich paßgenau zum Quinquilieren und Stimmkräftemessen. Die traditionsreiche Kapelle, die vielleicht einen weiteren Kontrabaß zum Einsatz gelangen lassen sollte, trägt die Melancholien und kurbelt das typisch rossinische Brio an. Dem Dirigenten Seidlmeier gelingt die Balance: ein insgesamt höchst zufriedenstellendes, weithin beglückendes musikalisches Resultat (die Leistungen der Bläser-Solisten seien explizit hervorgehoben).
    Pierre Caron de Beaumarchais war ursprünglich Harfenist und Musiklehrer, dann Top-Agent des französischen Königs Ludwig XV. und wichtigster Waffenlieferant der Continental Army im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg – ein lebenserfahrener Mann also. In den 80er-Jahren des 18. Jahrhunderts wollte Beaumarchais seinem Publikum einreden, die Geschichte vom Friseur, der einem jungen Grafen bei einer finanziell hochkarätigen und zur Ehe führenden Amoure behilflich ist, sei doch ganz einfach. Der an die Öffentlichkeit gelangende Bühnentext war von der Pariser Zensur sieben Jahre lang gezaust und beschnitten worden.

    Selbst in der "gereinigten", die Hinweise auf die gesellschaftlichen Verwerfungen am Ende des Ancien Régime retuschierenden Fassung des ersten Trilogie-Teils, die Cesare Sterbini dem jungen Rossini zur Komposition andiente, verhält es sich nicht gar so einfach. Denn es geht eben in die Zonen der erotisch-sexuellen Begierden, auf die Schlachtfelder der männlichen Konkurrenz und jene zwischen den Geschlechtern – und zugleich in Seelenschächte, Innenwelten. Am verzichtbarsten ist das Kunst-Spanien, das der auf wahren Begebenheiten beruhenden Geschichte als Lokal-Kolorit dient.

    Dirk Beckers Bühne verzichtet auf die Insignien der Hispanidad und präsentiert in fahlem, weithin bläulich eingetöntem Weiß an der Rückseite der leeren Bühne eine schlichte Tür. Es ist die zum Haus des Dr. Bartolo. Vor ihr tritt der als Student Lindoro verkleidete Graf Almaviva mit Extrachor zum Ständchen an. Der Balkon, von dem aus das von Bartolo unter Verschluß gehaltene Mündel Rosina an der Außenwelt teilnimmt, befindet sich nun interessanterweise nicht über der Haustür, sondern schiebt sich – ebenerdig – von rechts daneben. Und seitwärts von dieser Teilaußenansicht kommt dann das Innere des Arzthaushalts zur Ansicht. Simultan zum Singen und Intrigieren in dieser guten Stube werden die Schatten der nahe bei den Fenstern Stehenden hinter den Scheiben der Außenansicht wahrnehmbar. Das ist hübsch und unterhaltsam, ebenso wie die grell in Schwarz, Weiß, Rot gehaltenen Kostüme. Eine tiefer gehende Deutung für die leichtfertige Geschichte ergibt es nicht. Gänzlich theaterig sind die outrierten Gebärden und mitunter allzu zappeligen Aktionen der insgesamt sehr guten Sängerdarsteller, die das vom Text Gesagte, von der Musik Umspielte drastisch verdreifachen:

    Juhan Tralla als gräflicher Verstellungskünstler, Thomas Jesatko als schwergewichtiger alternder Arzt, Marie-Belle Sandis als emanzipationswilliges sein Mündel. Einen gewissen Pfiff hätte die aparte Bildidee womöglich bekommen, wenn sie nicht in ein gesellschaftliches Niemandsland und nur nach Theatralien geführt hätte, sondern sichtbar dorthin, wo derzeit junge Frauen aus den vom Stück gezeigten Gründen unter Verschluß gehalten werden. Also vielleicht nach Käfertal oder Täbris. Aber das könnte dann wieder geeignet sein, einen Konsens im Hauptsegment des Publikums in Frage zu stellen. Das erbaut sich unmittelbar an der heiteren Turbulenz, für die der agile Figaro – Boris Grappe – sorgt.