Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Zur Krise des Katholizismus

In Pedro Calderón de la Barcas "Großem Welttheater" lässt Gott die Menschen das Spiel vom Leben aufführen - und beurteilt hernach jede Figur nach ihrem Handeln. Bernhard Stengele deutete in Würzburg den Klassiker neu - und entdeckte im Text viele Punkte, die auch heute noch für Zündstoff sorgen könnten.

Von Barbara Bogen | 19.07.2010
    Als Calderón de la Barca Mitte des 17. Jahrhunderts sein Stück "Das Große Welttheater" schrieb, stand auch die Kunst, vor allem das spanische Theater ganz im Zeichen der katholischen Kirche. Das spanische Weltreich wackelte und war im Begriff zu zerfallen. Da brauchte es eine Kraft, die die verlorenen Ordnungssysteme für die Zeitgenossen wieder zurechtstemmte. Das Theater sollte der katholischen Gegenreformation zur Seite stehen.

    An die 300.000 Stücke im geistlichen Sinn brachte das spanische Barocktheater hervor. Allein 200 davon schrieb Calderón de la Barca, eine der schillerndsten Figuren seiner Zeit, Offizier, zum Priester geweihter Geistlicher, Hofdramatiker Philipps IV., Dichter. Sein "Großes Welttheater" ist ein allegorisches Fronleichnamsspiel, ein sogenanntes Auto Sacramental. Calderón selbst blieb dabei ein Visionär, der die Welt als Bühne dachte, Gott als Autor, den Menschen als Marionette, das Leben als Puppen- und Rollenspiel, dem die Vergeblichkeit eingeschrieben ist.

    Autoren wie Georg Büchner oder Luigi Pirandello hat Calderón damit vorausgeahnt. Im großen Welttheater suchen sechs Personen keinen Autor, sie haben ihn schon, es ist Gott, der Meister, der ihnen allen ihre Rollen zuweist, in denen sie sich bewähren müssen.

    Wenn jetzt das Mainfrankentheater Würzburg Calderón s Stück als flirrendes Freilichtevent zwischen Neumünster und Dom aufführt, dann fällt das wieder in eine Zeit, in der die katholische Kirche - weiß Gott - weiß, was Krise ist und frische Impulse, notfalls wieder mithilfe der Kunst, gebrauchen kann. Bernhard Stengeles bunte, an Masken- und Kostümen reiche Inszenierung geht denn auch im Rahmen der sogenannten "Würzburger Apokalypse" über die Bühne, einer künstlerischen Veranstaltungsreihe, die sich fast über das gesamte Jahr 2010 zieht und auf eine Anregung der Diözese Würzburg und der katholischen Akademie Domschule zurückgeht.

    Regisseur Bernhard Stengele macht dabei von Anfang an klar, dass er mit Brechungen nicht sparen wird. Zu Beginn bereits spielen vier Männer, drei Weiße und ein Farbiger, ein launiges Ballspiel, so wie später Gott mit ihnen spielen wird. Eine junge schöne Blonde im knallrosa Kostüm wird von ihrem Leder-Lover donnernd auf einem Motorrad auf den Platz gefahren. Ausgerechnet ihr fällt später die Rolle der Demut zu, ihrem sexy Begleiter auf dem heißen Ofen die Rolle des Elends, dem farbigen Ballspieler, zum Entsetzen der anderen, die Rolle der Macht. Gott ist ein Überraschungstäter. Jeder muss den Part spielen, der ihm eigentlich am allerwenigsten liegt. Dem mürrisch-mickrigen Mann fällt die Rolle der Schönheit zu.

    "Es geht darum, wie einer seinen Part durchläuft, nicht welchen", sagt Gott, hier eine Kultfigur im grünen Pharaonenlook zwischen Eso-Guru und nicht nur freundlichem Onkel.

    Jeder, der lebt, muss spielen. Gott sieht zu. Sein Gehilfe ist die Welt, ein blauer Harlekin, mit schaukelnden Würfeln übersät, wie aus den surrealen Bildern Picassos, bizarr und wundersam, auf den Würzburger Kiliansplatz gespült. Dabei dominiert eine gigantische Kugel im Durchmesser von acht Metern, transparent und plastisch zugleich, das Geschehen. Hier werden am Ende die eingekerkert, die vor Gott keine Gnade finden, der Überfluss und, ungerechterweise, das ungeborene Kind, möglicherweise ein Bezug zum Thema Abtreibung.

    Stengele hat, mutig, das Ding der Unmöglichkeit versucht, die Brücke zu schlagen vom 17. ins 21. Jahrhundert. Gelingen, natürlich, kann das nicht. Auch wenn launig-profan von "Zickenkrieg" und "Fielmannbrillen" fabuliert wird, wenn die Allegorie des Mühsals das Lied "Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt" intoniert und das komisch zerzupfte "Elend" sich röchelnd mit den "Tränen, die nicht lügen" tröstet. Dazu erklingen paradox die beinahe erhabenen, herrlich schlichten Harmonien des zeitgenössischen estnischen Komponisten Arvo Pärt von der Orgel im Kircheninnern, und der Organist mit Maske wird unheimlich und unwirklich wie ein Spuk auf die Fassade des kirchlichen Gemäuers projiziert. Am Ende, als eigentlich schon der Schlussapplaus verklungen ist, singt Gott, der Meister dann noch ein launiges Lied. Wie er da im Himmel rumhockte bei seinem einsamen Wein und sich mächtig langweilte und dann auf die Laune mit den Rollen stieß. Er zitiert dann auch noch den Barockphilosophen Descartes, freilich variiert: Carmen canto, ergo sum. Ich singe ein Lied, also bin ich.

    Dem Würzburger Theater ist ein fantasiegesättigter, sehr sympathischer Abend gelungen. Zur Krise des Katholizismus und der um einiges komplexer gewordenen Welt im Allgemeinen, kann er aber nicht viel beitragen.

    "Das Große Welttheater" als Freilichtspektakel in Würzburg