Archiv


Zur Lage im Kosovo

Müller: Am Telefon in Berlin sind wir nun verbunden mit Christian Sterzing, außenpolitischer Experte der Grünen-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Sterzing: Guten Morgen Herr Müller.

    Müller: Herr Sterzing, der NATO-Oberkommandierende Wesley Clark hat die Verstärkung der KFOR-Truppe für das Kosovo, für Mitrovica gefordert. Eine richtige Ent-Scheidung, eine richtige politische Forderung?

    Sterzing: Ich glaube, für alle, die die Region kennen, ist es unumstritten - ich war auch erst kürzlich einige Tage im Kosovo -, dass die Lage dort äußerst angespannt und instabil ist. Die Frage, inwieweit nun nach einer Truppenverstärkung gerufen werden muss, die wird unterschiedlich beantwortet. Wir haben auf der einen Seite die Äußerungen von General Clark. Wir haben aber auf der anderen Seite auch die Einschätzung des NATO-Generalsekretärs Robertson, der sagt, dass die Truppen dort im Augenblick ausreichen.

    Müller: Ihre Antwort, Herr Sterzing?

    Sterzing: Ich glaube, dass wir uns darüber klar sein müssen, dass die Instabilität in dieser Region im Augenblick wieder wächst. Ich halte es allerdings für kritisch, ob man nun gleich nach neuen Truppen oder einer Verstärkung der Truppen rufen muss, denn wir müssen klar sehen, dass die KFOR-Kräfte dort in der Region vollkommen überlastet sind mit anderen Aufgaben. Woran es nach meinem Eindruck in der Region besonders mangelt ist der Aufbau an zivilen Strukturen. Es gibt ja dort eine UNO-Organisation UMNIK, die für den zivilen Aufbau eingerichtet worden ist, und dort fehlt es sowohl an Geld als auch an Personal. Viele der zivilen Aufgaben, die zum Beispiel von der Polizei gelöst werden müssten, werden immer noch von den KFOR-Truppen gelöst. Insofern ist es, glaube ich, viel notwendiger, hier die Aufgaben des zivilen Aufbaus zu unterstützen, hier die Mittel bereitzustellen und um es den KFOR-Truppen zu ermöglichen, sich auf die militärischen Aufgaben, auf den Schutz der Minderheiten, auf die Bekämpfung von Schmuggel und illegalen Bewegungen in der Region, zu konzentrieren.

    Müller: Sie haben es angesprochen, Herr Sterzing. In den Korrespondentenberichten in dieser Woche war immer wieder davon zu hören, dass die KFOR-Soldaten gegebenenfalls ja nicht adäquat reagieren könnten, sprich: sie sind im Grunde zu stark bewaffnet, um einen möglichen Konflikt nicht in die Eskalation zu treiben. Heißt das auch, es bedarf mehr Polizei?

    Sterzing: Ja, ganz sicherlich. Es ist ja vorgesehen, dort eine internationale Polizei-Truppe von 4.700 zu installieren. Bisher sind erst gut 2.000 dort. Wir haben es in dieser Region mit einer Polizeidichte zu tun, die halb so groß ist wie in Bayern, aber die Kriminalität ist doppelt so hoch. Die Bundesregierung hat daraus ja eine Konsequenz gezogen und hat das deutsche Polizeikontingent aufgestockt, aber wir müssen immer noch fest-stillen, es fehlt an der Grundausstattung an Polizei. Diese Aufgaben werden halt dann immer noch von den KFOR-Truppen gelöst, und dies ist ein unhaltbarer Zustand. Auge-Sehen davon, dass der zivile Aufbau natürlich auch nötig ist, um diese Situation zu entspannen. Ich glaube, dass wir deshalb großen Wert darauf legen müssen, dass hier endlich das gemacht wird und nachgeholt wird, was ja von der internationalen Gemeinschaft auch versprochen wurde.

    Müller: Sie waren ja mehrere Tage im Kosovo vor Ort, haben die Situation, die Arbeit dort beobachtet. Die Defizite haben Sie angesprochen. Wer ist denn verantwortlich dafür? Hat der Westen dort versagt?

    Sterzing: Wir müssen leider feststellen, dass die Stationierung von Truppen immer schneller klappt, wenn es notwendig ist, als die Bereitstellung von zivilen Kräften. Da ist einfach ein Defizit an Erfahrungen, und der präventive Charakter dieser Maßnahmen ist, glaube ich, vielen Regierungen noch nicht deutlich genug gemacht worden.

    Müller: Fehlt da der politische Wille?

    Sterzing: Ja, das ist natürlich die politische Ebene, die dort, glaube ich, wirklich nicht ausreichend reagiert hat. Der UN-Verwaltungschef für den Kosovo war im Januar in Japan und hat dort zehn Millionen zusammengebettelt, um die finanzielle Grundausstattung und das Weitermachen von UMNIK zu sichern, aber das ist natürlich auf Dauer keineswegs ausreichend. Hier muss die internationale Gemeinschaft endlich das Geld einzahlen und das zivile Personal zur Verfügung stellen, was versprochen ist.

    Müller: Herr Sterzing, die Russen sind mit an Bord, mit im Boot sozusagen, Teil also der KFOR-Truppe. Da gab es im Vorfeld viele Bedenken, als die Diskussion eingesetzt hat. Nun stellt sich heraus, dass die größten militärischen Koordinationsprobleme in erster Linie zwischen Franzosen, Amerikanern und Deutschen bestehen. Haben Sie dafür eine Erklärung?

    Sterzing: Man muss sicherlich sehen, dass die Situation in den einzelnen Sektoren auch unterschiedlich ist. Gerade im amerikanischen Sektor, dem natürlich die serbische Minderheit mit besonderer Zurückhaltung bis hin zu Hass begegnet, ist die Situation natürlich besonders schwierig. Auch die Konzentration der serbischen Minderheit und auch die von anderen Minderheiten im Kosovo ist in den einzelnen Sektoren unterschiedlich ausgeprägt, so dass sich auf diese Art und Weise die jeweiligen ausländischen KFOR-Truppen sehr unterschiedlichen Situationen gegenübersehen. Dann muss man natürlich berücksichtigen, dass auch die militärischen Truppen mit unterschiedlicher Reaktion versuchen, dieser schwierigen Situation dort in ihren jeweiligen Sektoren zu begegnen.

    Müller: Erkennen Sie für die Zukunft ein klares politisches Konzept mit Blick auf den Status des Kosovo, mit Blick auf die politische Ordnung?

    Sterzing: Ich glaube, es besteht Übereinstimmung in den westlichen Staaten darüber, dass es einen Unabhängigkeitsstatus für den Kosovo nicht geben kann. Wir sehen uns aber hier mit einer Situation konfrontiert, in der die Kosovoalbaner selber immer deutlicher darauf zusteuern. Sie verstehen den Kosovo-Krieg als einen Befreiungskrieg. Sie wollen die Kommunalwahlen nutzen als einen ersten Schritt zur eigenen staatlichen Un-Abhängigkeit. Wir haben in dieser Region, die so instabil ist, aber den Eindruck, dass ein unabhängiger Status für die Kosovoalbaner die Situation wirklich noch mehr stabilisieren würde. Das würde wie ein Schneeball wirken und auch in den angrenzenden Regionen, in Albanien, Mazedonien, die Situation noch erheblich schwieriger machen. Insofern zielt diese internationale Verwaltung auf die Gewährung eines Autonomiestatus hin.

    Müller: Der Grünen-Außenpolitiker Christian Sterzing war das. - Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Link: (Interview mit Rudolf Scharping (23.2.2000)==>/cgi-bin/es/neu-interview/564.html)