Klein: Muss man sagen, dass das Klima in Syrien insgesamt härter und gereizter geworden ist in diesen Tagen?
Helberg: Auf jeden Fall. Die Lage ist sehr angespannt in Syrien. Die meisten Syrer haben große Sorgen und auch große Angst vor diesem anhaltenden Druck aus den USA und Israel. Syrien befindet sich auch im Grunde in einem Demonstrationsdauerzustand. Das hat ja am Mittwoch angefangen mit einer großen Kundgebung in Damaskus: 500.000 Leute, Pro-Assad-Anhänger. Gestern ging es in Aleppo weiter. Heute ist an der Küste eine Großdemonstration angesagt. Diese Demonstrationen werden nicht von der Regierung organisiert; sie werden von der Privatwirtschaft organisiert, unter anderem von Syriatel - das ist der größte Mobilfunkanbieter -, dessen Besitzer dem Regime sehr nahe steht. Aber die Tatsache, dass so viele hundert Tausende auf die Straßen kommen, ist schon ein Zeichen, dass die Leute hier eigentlich zwei Dinge klar machen wollen: Es ist eine Botschaft nach innen: wir stehen zu unserem Präsidenten, wir vertrauen darauf, dass Assad uns aus dieser Krise führt. Zweitens: wir wollen unsere Probleme alleine lösen. Wir wissen, wir haben Probleme, aber dafür brauchen wir nicht die Amerikaner. Das sind so die beiden Botschaften, die glaube ich die Syrer der Welt klar machen wollen.
Klein: Ist es auch eine Folge der Entwicklung im Libanon derzeit, die ja zumindest im Großen und Ganzen doch etwas auf Liberalisierung und Demokratisierung hinauszulaufen scheint?
Helberg: Die syrische Opposition hat gestern auch nach dieser Ausschreitung gleich betont, dass sie mit der libanesischen Opposition nichts zu tun haben, dass sie ihre Forderungen seit Jahren stellen, dass es ihnen wirklich um innenpolitische Reformen geht und nicht darum, jetzt die Schwäche Syriens auszunutzen in diesem Moment, dass sie auch nicht von Vornherein proamerikanisch sind, sondern dass sie einfach klar machen wollen hier braucht man eine Demokratie und Menschenrechte. Ich denke nicht, dass dort die Verbindungen so stark sind und dass das nur ein Überschwappen ist von Oppositionsbewegungen aus dem Libanon nach Syrien. Dazu ist die Opposition in Syrien auch viel zu klein und schwach. Das kann man gar nicht vergleichen. Das sind 50 bis 100 Leute, die sich da immer versammeln, von Sozialisten bis Curden bis Nationalisten, also alle möglichen Gruppen. Die sind im Grunde insgesamt viel zu schwach, um jetzt nun wirklich eine große Bewegung loszutreten.
Klein: Dennoch könnte man sich ja vorstellen, dass die Oppositionsbewegungen im Libanon und in Syrien zusammenhalten, zusammenarbeiten. Weshalb diese starke Abgrenzung?
Helberg: Ich glaube, dass die Syrer, also auch die syrischen Oppositionellen hier sehen, dass es nicht in ihrem Sinne wäre. Es geht eben nicht darum, einen Schnitt zu ziehen zwischen Syrien und dem Libanon. Es geht nicht darum, irgendwie die beiden Völker jetzt gegeneinander weiter aufzubringen. Die Syrer betonen, ja alle Syrer, eben auch die Oppositionellen, dass die Beziehungen zwischen Syrien und dem Libanon weiterhin eng sind, dass der Abzug der Syrer nicht das Ende der syrisch-libanesischen Beziehungen bedeutet, sondern dass natürlich Syrien weiter einen Einfluss dort haben wird, eben nicht militärisch und nicht über die Geheimdienste, sondern über die Politik und die Wirtschaft, die Kultur und die engen verwandtschaftlichen Beziehungen auch zwischen den beiden Völkern. Das zu betonen, bemühen sich durch die Bank alle Syrer gerade und da fühlen die Leute hier, dass die Opposition im Libanon eigentlich kontraproduktiv ist und dass sie die Leute eher spaltet, dass sie den Libanon spaltet in antisyrisch und prosyrisch, worum es eigentlich gar nicht geht, weil diese Völker viel zu eng miteinander verwoben sind, als dass sich dort eine Grenze ziehen ließe.
Klein: Wenn Sie sich die Stimmung in beiden Ländern vor Augen halten, mit welcher Entwicklung im Libanon jetzt speziell rechnen Sie auch nach der Wiedereinsetzung des prosyrischen Regierungschefs dort?
Helberg: Ich denke, was ganz wichtig ist, dass die Regierung Assad hier klar macht: Wir gehen wirklich, wir ziehen uns wirklich zurück. Das waren nicht nur hehre Worte, sondern wir bewegen unsere Truppen und wir haben verstanden, dass wir nicht mehr mit Elitär- und Geheimdiensten unseren Einfluss ausüben müssen. Es wäre auch ein Zeichen der Normalisierung von Beziehungen, wenn beispielsweise mal Botschaften eröffnet würden, also eine syrische Botschaft in Beirut, eine libanesische Botschaft in Damaskus. Da sagen beide Länder nein, nein, wir haben viel zu enge Beziehungen, als dass wir diplomatische Kontakte bräuchten. Aber solche Schritte, solche Zeichen wären im Grunde eine gute Möglichkeit, um die Libanesen zu beruhigen und zu zeigen, wir haben wirklich verstanden, wir ziehen uns wirklich zurück. Dann, wenn diese Regierung Assad das wirklich verstanden hat und das als eine Wende betrachtet auch der eigenen Regionalpolitik und sagt, die Politik der Stärke ist vorbei, wir wollen jetzt wirklich gute Beziehungen mit allen Nachbarländern, dann könnte durchaus die Chance bestehen, dass es in Zukunft eben weiterhin eine gute, freundschaftliche Beziehung mit dem Libanon gibt und dass sich die Situation in beiden Ländern auch beruhigt, auch innerhalb des Libanon, weil die Fronten sich eher schließen, weil eben die Syrer verstanden haben und man wieder gemeinsam sich um die Interessen gegenüber Israel oder wem auch immer kümmern kann.
