Donnerstag, 25. April 2024

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Zur Messe AnimagiC in Mannheim
"Ein ganzer Industriezweig lebt von Manga und Anime"

Mehr als nur Kindchenschema: Die Welt der Mangas ist vielfältig und reicht von Romanzen, über Fantasy bis hin zu Krimis. "Und es gibt total viele verschiedene Zeichenstile", erklärte Übersetzerin und Japanologin Verena Maser im Vorfeld der Manga-Convention AnimagiC im Dlf.

Verena Maser im Corsogespräch mit Bernd Lechler | 04.08.2017
    Der Rosengarten in Mannheim bei Nacht mit dem Animagic-Logo
    Im Mannheimer Rosengarten dreht sich am Wochenende alles um Manga und Anime (m:con / Eduardo Perez)
    Bernd Lechler: Vor einer guten Stunde hat in Mannheim die "AnimagiC 2017" eröffnet, eine der großen Messen in Deutschland für Manga und Anime, also für japanische Comics und Trickfilme. Man kann da Neuheiten entdecken, japanische Zeichner oder deutsche Synchronsprecherinnen sehen, die als Ehrengäste kommen, es spielen J-Pop Bands, manche Fans verkleiden sich aufwendig als Son-Goku oder D.Grey-man. Und wir haben gerade schon drei Erwachsenen-Mangas vorgestellt – jetzt tauchen wir im Corsogespräch noch etwas tiefer in diese bunte – oder auch schwarz-weiße – Welt. Verena Maser ist Japanologin und dolmetscht auf der "AnimagiC". Was ist für Sie als Mangakennerin besonders spannend, Frau Maser?
    Verena Maser: Gott, was besonders spannend ist? Eigentlich ist alles spannend! Also mich fasziniert vor allem so die Vielfalt von Manga. Es gibt Romanzen, es gibt Abenteuergeschichten, es gibt Fantasy, es gibt Horrorgeschichten, es gibt aber auch sehr, ja, sehr ruhige Geschichten für, sagen wir mal, erwachsene Leser, wo es zum Beispiel um Gourmets geht. Es gibt eigentlich alles. Und es gibt total viele verschiedene Zeichenstile – und das finde ich das Schöne eigentlich.
    "Längst nicht alle haben diese großen Augen"
    Lechler: Also alles in der Form und im Inhalt und vom Subgenre her, was es bei unseren europäischen – oder westlichen – Comics auch gibt. Beim Stichwort Manga denken wir als erstes an diese großen Köpfe, diese kindlichen, großäugigen Gesichter. Was ist es noch, was einen Manga zum Manga macht?
    Maser: Das ist eine schwierige Frage. Also weil es auch in Japan sehr, sehr viele verschiedene Manga gibt - und längst nicht alle haben diese großen Augen zum Beispiel. Es gibt auch Manga, die sehr realistisch gezeichnet sind. Also wenn Sie jetzt an Taniguchi denken: Das ist wirklich ein ganz normaler Mensch, mit normal-großen Augen und normal-großem Kopf. Was natürlich bei uns mehr Mainstream ist, das ist tatsächlich großer Kopf, große Augen – das, was man auch im Fernsehen immer wieder sieht.
    Was sonst zum Manga dazugehört: Ich würde sagen, dass das Lesetempo sehr anders ist als bei franko-belgischen Sachen zum Beispiel - also wir haben sehr viele große Panels pro Seite. Natürlich auch, dass man von hinten nach vorne liest. Es gibt zwar inzwischen auch Ausnahmen, aber die allermeisten Sachen, die hier rauskommen, sind wirklich von hinten nach vorne zu lesen. Und dass man sehr viel Action hat – also in den actionbetonten Sachen zumindest – und dass man bei den Sachen, die für Mädchen gemacht sind, sehr collagenartige Techniken hat, also Sachen, die man auch in franko-belgischen Comics nicht wirklich findet.
    Mehr Seiten, übersichtlichere Panels
    Lechler: Das heißt, die Mangas erzählen anders als amerikanische oder europäische Comics?
    Maser: Ich würde sagen: Ja. Also ich finde immer, wenn ich Superheldensachen lese, kommen zum Beispiel sehr viele Figuren in einem Panel vor und es kommt sehr viel Text in einem Panel vor zum Beispiel. Und wenn ich mir einen Manga angucke, dann sind pro Seite … tendenziell ist weniger Text zum Beispiel. Dafür hat natürlich aber auch ein Manga sehr viel mehr Seiten. Ein Buch hat so um die 200 Seiten ungefähr, und das gleicht sich dann wieder aus mit der Textmenge im Endeffekt.
    "Die deutschen Leser lieben Fantasy"
    Lechler: Greifen inhaltlich Mangas auch das Zeitgeschehen auf? Sind sie politisch?
    Maser: Kommt darauf an! Also wenn ich jetzt mal Fukushima als Beispiel nehme, da gibt es eher wenig. Es gibt schon so vielleicht fünf, sechs Manga, wo das aufgegriffen wird, aber es kommt eher selten vor. Da ist die Frage immer, ob das die Zeichner nicht wollen oder ob das tatsächlich auch von den japanischen Verlagen nicht so gewollt ist - oder ob das vielleicht auch die Leser nicht wollen.
    Da gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten. Ich glaube, für Mangazeichner ist das immer so ein bisschen schwierig, weil man sich halt über Monate mit dem gleichen Thema beschäftigen muss. Und ich habe so rausgehört, mit so ein bisschen Gesprächen, dass das für Zeichner schwierig ist, sich monatelang mit solchen schweren Themen, solchen harten Themen zu beschäftigen.
    Lechler: Also das heißt, es sind eher so universelle Themen, die aufgegriffen werden?
    Maser: Ja, ja. Oder auch gerade Fantasy. Die deutschen Leser lieben Fantasy. Und das scheint auch so vom Angebot in Japan schon einen großen Teil auszumachen.
    Mahjong, Erotik und Schulunterricht in Japan
    Lechler: Ist auch die Bandbreite zwischen trivial und anspruchsvoll so groß wie bei den westlichen Comics? Oder gibt es da etwas, was dominiert?
    Maser: Ich würde sagen, es gibt alles, was man sich vorstellen kann. In Japan gibt es ja dieses Pachinko-Spiel, diese Kügelchen-, Kugelautomaten. Darüber gibt es Mangaserien! Es gibt über Mahjong, was in Japan ja so eine Art Gesellschaftsspiel ist für vier Leute, darüber gibt es jede Menge Manga.
    Es gibt natürlich auch Erotik, was hier ja immer mal wieder so als Klischee genannt wird, dass im Manga alles erotisch wäre, was ja bei Weitem nicht so ist. Ja, das kann man schwer sagen, was jetzt überwiegt. Also ich würde sagen, es gibt auf beiden Seiten, sowohl trivial als auch anspruchsvoll, gibt es alles.
    Lechler: Was lernt man über Japan und die Japaner durch Mangas?
    Maser: Gute Frage! Man lernt teilweise sehr viel über japanischen Alltag. Zum Beispiel das Essen, was gezeigt wird, ist sehr typisch für das, was in Japan gegessen wird. Die Supermärkte, in denen die Figuren einkaufen gehen, sind auch sehr typisch. Oder auch, wie Gebäude aussehen, wie Gebäude aufgebaut sind oder zum Beispiel auch wie Schulgebäude aufgebaut sind und wie japanischer Schulunterricht funktioniert, also das lernt man, glaube ich, schon.
    "Wenn man sein Leben nur mit Manga füllen will, geht das in Japan ganz gut"
    Lechler: Auf der Animagic-Messe spielt unter anderem auch die japanische Frauenband Kalafina, die machen so einen typisch dramatischen Rock, wie der im Vorspann vieler Animes läuft. Gibt es rund um die Comics und Filme auch eine ganze Manga-Kultur?
    Maser: Es gibt einen ganzen, ja, Industriezweig, muss man sagen, der von Manga und Anime lebt. Wenn sie einen erfolgreichen Anime haben, dann haben sie auch immer jede Menge Merchandising dazu. Sprich: Da gibt es auch unglaublich viele Firmen, die davon leben, Figuren herzustellen oder irgendwie Anhänger, Poster, T-Shirts auch so ein bisschen. Es gibt natürlich auch die Leute, die dann Cosplay machen, also die sich verkleiden als ihre Lieblingsfiguren. Da gibt es auch Firmen, die davon leben, Stoffe herzustellen oder gleich ganze Kostüme. Es gibt natürlich auch die Musik! Wenn man irgendwas haben will und sein ganzes Leben nur mit Manga und Anime füllen will, dann geht das in Japan schon ganz gut. Es gibt auch zum Beispiel so Cafés, die dann sich nur auf einen Anime spezialisiert haben – die gibt es dann vielleicht nur für zwei, drei Wochen. Aber wenn man da ein Fan ist, dann muss man natürlich unbedingt hin.
    Von einfachen Comics zum Kulturgut
    Lechler: In Deutschland brachte Mitte der 90er, glaube ich, "Dragonball" den Durchbruch.
    Maser: Ja.
    Lechler: Aber in Japan gab es das wahrscheinlich schon viel früher?
    Maser: Ja, das lässt sich schwer festmachen. Also die ersten Comics, wo man wirklich sagen kann, ja, das sind Comics mit einzelnen Panels, die gab es so ab ungefähr 1900, also vor dem Zweiten Weltkrieg in den Kinder- und Jugendmagazinen gab es auch so erste einfache Comics, wo dann halt eine Prinzessin zum Beispiel vorkam, die irgendwelche lustigen Abenteuer erlebt hat. Aber dass man wirklich sagen konnte: So, jetzt ist der Manga angekommen – das hat sich so in den 50ern, 60ern raus entwickelt.
    "Es könnte durchaus noch mehr sein"
    Lechler: Die beiden Kill-Bill-Filme von Quentin Tarantino, mit viel Martial Arts und Uma Thurman, sind teils auch von einem Manga inspiriert. Wo sehen Sie in unserer westlichen Kultur sonst noch Manga-Einflüsse?
    Maser: So in den letzten Jahren ist mir aufgefallen: in der Werbung. Es gibt so ein paar Firmen, die versuchen, mit Manga-Figuren Werbung zu machen. Ich glaube, ich habe das für eine Bank gesehen oder in einem Supermarkt mal auf so einer Getränkebox … Ansonsten eher wenig. Also im Film, glaube ich, schon – und ich denke, auch bei Comics. Also es gibt ja auch jede Menge deutsche Künstler, die auch eher im Mangastil zeichnen oder die ganz deutlich davon beeinflusst sind. Ansonsten ist es eher noch ein bisschen zurückhaltend. Also es könnte durchaus noch mehr sein.
    Lechler: Verena Maser - ich danke Ihnen für das Corsogespräch. Dann wollen wir Sie mal wieder in Ihren Job heute entlassen. Auf welchen Termin freuen Sie sich?
    Maser: Ich freue mich heute Abend auf die Eröffnungsfeier und auf die Signierstunde mit unseren großen Stargästen aus Japan. Und ich freue mich vor allem auf die nächsten zwei Tage, die Begegnung mit den Fans und ihre Fragen.
    Lechler: Viel Spaß.
    Maser: Dankeschön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.