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Zur Reform der Betriebsverfassung

Am Reformbedarf bestehen keine Zweifel. Sowohl die Arbeitgeber als natürlich auch die Gewerkschaften halten die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes für angemessen und auch unter den Parteien gibt es bei dieser grundsätzlichen Frage kaum Zweifel. Die betriebliche Mitbestimmung muß nach fast dreißig Jahren den stark geänderten wirtschaftlichen und unternehmerischen Bedingungen angepasst werden. Das Problem heute: Arbeitgeber und Gewerkschaften standen sich in dieser Frage schon einmal näher.

Volker Finthammer | 13.02.2001
    Der vorliegende Entwurf des Bundesarbeitsministers hat sie wieder entzweit, alte Frontstellungen heraufbeschworen, die man eigentlich längst vergessen glaubte. Frontstellungen aus den auch die Opposition Profit zu ziehen sucht. Erst gestern brachte die Union die alten Schlagworte wieder ins Spiel. Riesters Entwurf sei geprägt vom Kampfdenken der alten Klassenfeinde im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts, erklärte die CDU Vorsitzende Angela Merkel. So weit aber wollen trotz aller verbalen Zuspitzungen selbst die Arbeitgeber nicht gehen. Der Klassenkampf findet in den Unternehmen nicht mehr statt. Viel ausgeprägter sind dort dagegen die Fragen, wie meistert man die Anforderungen der Zukunft und welche Potentiale garantieren dem Unternehmen das Überleben auf dem Markt.

    Flexibilität lautet das Schlagwort für die Unternehmen im 21 Jahrhundert. Nicht nur die Arbeitswelt der New Economy erfordert ein ständiges Umdenken, umlernen, umbauen und umtriebiges reagieren auf die Anforderungen des Marktes. Allein deshalb schon liegt es auf der Hand, daß das Betriebsverfassungsgesetz aus dem Jahr 1972 heute antiquiert ist. Teilzeitarbeit, flache Betriebshierarchien, Werkverträge, die Ausgliederung von Betriebsteilen, "Just-in-Time" - Produktion, all dies findet sich im Kontext des alten Gesetzes, das noch vor dem Hintergrund der Basis festgefügter Betriebsorganisationen mit klassischen Vollzeitarbeitsplätzen formuliert wurde, kaum wieder.

    Bereits 1998 kam die unabhängige Mitbestimmungskommission der Bertelsmann und der Hans-Böckler Stiftung zu dem Ergebnis, daß die Mitbestimmung unter veränderten Marktbedingungen den Übergang zu neuen Projekten und kundenorientierten Arbeitsformen unterstützen sollte. Dieser Übergang aber verschiebe zugleich die Wirkungsweise der Mitbestimmung. Statt sich allein auf die Schutzfunktionen für die Arbeitnehmer zu konzentrieren, rücke immer stärker der Beitrag zum reibungslosen Produktionsablauf in den Vordergrund. Eine Modernisierung der Mitbestimmung, so die Studie damals, sei dringend geboten, gerade weil innerhalb des deutschen Mitbestimmungssystems und seinen Mittel eine erfolgreiche Anpassung von Unternehmen an veränderte Verhältnisse möglich sei.

    Um so erstaunlicher, wie sehr sich im Verlaufe der achtziger Jahre die Reichweite der betrieblichen Mitbestimmung verändert hat. Mitte der neunziger Jahre, so die Mitbestimmungskommission, finden sich nur in knapp 40% aller Unternehmen Mitbestimmungsgremien.

    Die Rot-Grüne Bundesregierung hat auf diesen Reformbedarf reagiert. Im Koalitionsvertrag vom November 1998 heißt es:

    "Die neue Bundesregierung wird die Mitbestimmung am Arbeitsplatz sowie in Betrieb und Verwaltung im Interesse der Beteiligung und Motivation der Beschäftigten stärken und an die Veränderungen in der Arbeitswelt anpassen. Vorrangig dazu ist eine grundlegende Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes."

    Doch hat es fast noch einmal zwei Jahre gedauert, bis der Arbeitsminister den jetzt so umstrittenen Reformvorschlag vorgelegt hat. Hierzu Walter Riester:

    "Was machen wir? Ein Gesetz, das 30 Jahre alt ist, und das damals die Arbeitswelt der 60er Jahre wiedergegeben hat, das reformieren wir. Wenn man mal weiß, was sich in den Betrieben verändert und bei den Menschen in der Arbeit verändert, dann ist hier ein dringender Handlungsbedarf. Und Arbeitgeber, die den nicht sehen, die mögen bitte auch in anderen Bereichen sagen: 'Wir wollen keine Reformen, sondern laßt alles beim Alten. Wir sind strukturkonservativ'. Aber man kann nicht sagen: 'Man braucht Reformen im Steuerrecht und eine Rentenreform' - da wo es den Arbeitgebern passt -, 'aber dort, wo es um die Demokratie der Menschen in den Betrieben geht, da wollen wir keine Reformen'. Das passt nicht zusammen."

    Die Arbeitgeber aber hielten ihre Kritik und auch ihre Polemik nicht lange zurück und das, obwohl die Mitbestimmung in Ihren Reihen eigentlich eine große Zustimmung findet. Nach einer im Jahr 1999 vom Institut der Deutschen Wirtschaft vorgelegten Studie, bewerten mehr als 70 Prozent der befragten Arbeitgeber und Arbeitnehmer die betriebliche Partnerschaft mit gut bis sehr gut. Die Zustimmung der Arbeitgeber fiel in dieser Umfrage mit 83% noch deutlich höher aus als die der Arbeitnehmer. Fast 80% der Manager aus den befragten Unternehmen glauben zudem, je qualifizierter ein Betriebsrat sei und je partnerschaftlicher Betriebsleitung und Betriebsrat zusammenarbeiten, um so weniger bedürfe es der Mitwirkung der Gewerkschaften bei der Lösung innerbetrieblicher Probleme. In der aktuellen Auseinandersetzung hilft dieses Umfrageergebnis wenig weiter. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände Reinhard Göhner:

    "Die jetzt von Riester vorgelegten Pläne zur Novellierung des Gesetzes sind geeignet, aus einem Anhänger der betrieblichen Mitbestimmung einen nachhaltigen Gegner zu machen. Nach Einengung befristeter Arbeitsverhältnisse, nach Teilzeitanspruch soll mit diesem Gesetzentwurf das Arbeitsrecht weiter verdichtet, weiter 'verriestert' werden. Der Referentenentwurf will vor allem die Organisationsinteressen der Gewerkschaften fördern und das wird zu einer Belastung der vertrauensvollen, grundsätzlich guten Partnerschaft im Betrieb nach dem geltenden Gesetz."

    Die Gewerkschaften hätten bei dem Arbeitsminister bei der Formulierung des Gesetztes die Hand geführt, klagen die Arbeitgeber. Das Argument, die Gewerkschaften würden mit dieser Reform ihren Machteinfluß und ihren Zugang zu den Betrieben ausweiten wollen, ist nicht von der Hand zu weisen. Gerade in kleinen und mittleren Betrieben gibt es ein deutliches Defizit an betrieblicher Mitbestimmung. So haben nur 4% aller Betriebe mit bis zu 20 Beschäftigten einen Betriebsrat. Bei Unternehmen mit bis zu 100 Beschäftigten sind das 28%. Weiße Flecken also die nach der Intention der Gewerkschaften aber auch des Arbeitsministers, nach Möglichkeit von der Landkarte verschwinden sollen.

    Das will auch Bundeskanzler Gerhard Schröder. Auf einer Betriebsrätekonferenz der IG-Metall am Wochenende in Mannheim bedauerte Schröder, daß nur 30% aller Unternehmen einen Betriebsrat haben. Die Arbeitgeber fürchten dagegen, daß die Ausweitung der Mittbestimmung enorme Kosten mit sich bringt. Eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft erwartet Mehrkosten von bis zu 2,7 Mrd. Mark, sollten die Pläne unverändert umgesetzt werden. Die Fronten sind verhärtet und seit Wochen wird das klassische Szenario der gegenseitigen Vorwürfe und Unterstellungen wieder aufgeführt und auch die Gewerkschaften spielen bei dem Schwarzer Peter Spiel fleißig mit. Der DGB Vorsitzende Dieter Schulte:

    "Was sie wollen, ist unbeschränkte unternehmerische Macht, alles anderer verteufeln sie als Angriff auf das freie Unternehmertum. Wenn sie nicht machen können, was sie wollen, dann nennen sie es zumindest Regulierung. Wenn sie soziale Bedürfnisse oder auch ökologische Belange berücksichtigen sollen, dann nennen sie es Reglementierung und wenn sie andere mitbestimmen lassen sollen, nenne sie es Bürokratisierung. Wenn sie als Unternehmer wieder den Herren im Hause Standpunkt spielen wollen, dann sag ich Ihnen: wenn sie den Ärger haben wollen, dann können Sie den Ärger in diesem Jahr an dieser Stelle auch bekommen."

    Beide Seiten rüsten zu Demonstrationen und Veranstaltungen. Gestern abend etwa demonstrierten tausend Unternehmer in einem Düsseldorfer Hotel gegen die Betriebsräte Republik. Mit einer Flugblatt-Aktion machte sich unterdessen der Deutsche Gewerkschaftsbund vor dem Reichstag für die Riester-Pläne stark. Beide Seiten haben im Kabinett ihre Verbündeten. Die Gewerkschaften hoffen auf die Standhaftigkeit ihres ehemaligen Kollegen, den Arbeitsminister. Die Arbeitgeber setzten dagegen ganz auf den Wirtschaftsminister, den sie in die Rolle ihres Fürsprechers bugsiert haben. Müller dürfe nicht noch ein weiteres mal einknicken, fordern die Arbeitgeber vehement. Erst auf massiven Druck der Arbeitgeber hin legte Müller seinen 26 Punkte umfassenden Katalog der Einwände vor. Im wesentlichen sind diese Einwände deckungsgleich mit der Kritik der Wirtschaftsverbände, die gestern stellvertretend noch einmal Mario Ohoven, der Präsident des Bundesverbandes mittelständischer Unternehmen formulierte:

    "Erstens, die höhere Anzahl von Betriebsratsmitgliedern. Zweitens, das erweiterte Mitspracherecht in wirtschaftlichen Fragen. Drittens, das politische Mandat für Betriebsräte. Viertens, das Hauruckverfahren bei den Betriebsratswahlen und fünftens, die zu erwartende Kostenlawine bei einer Realisierung dieser Reform."

    Diese Kostenlawine werde in erster Linie durch die Absenkung der Schwellenwerte ausgelöst. Danach soll für Betriebe mit mehr als 50 Mitarbeitern die Zahl der Betriebsratsmitglieder steigen, während sie für kleinere Betriebe nach wie vor unverändert bleiben soll. Steigen soll auch die Zahl der Betriebsratsmitglieder auch in den größeren Betrieben. In Größenordnungen relevant sind aber in der Tat die Veränderungen für die mittelständischen Betriebe. Dadurch erhöhe sich etwa die Zahl der Betriebsratsmitglieder in Unternehmen mit bis zu 150 Mitarbeitern um 40%, stellt der Wirtschaftsminister fest und kritisiert dies als besonders mittelstandsfeindlich. Dazu kommt die Schwelle, ab der künftig Mitglieder des Betriebsrates von ihrer Arbeit freigestellt werden sollen, um sich ganz den Fragen der betrieblichen Mitbestimmung zu widmen. Statt einer Grenze von 300 sieht der Referentenentwurf die künftige Schwelle bei 200 Mitarbeitern.

    Dazu kommt das vereinfachte Wahlverfahren, das künftig in Kleinbetrieben bereits auf einer Wahlversammlung abgehalten werden kann und dann keine Mindestbeteiligung der Belegschaft vorschreibt. Der Wirtschaftsminister fordert dagegen eine Mindestbeteiligung der Belegschaft von 35%. Außerdem will Müller die bisherige Freistellungsgrenze von 300 Mitarbeitern beibehalten. Hans Eberhard Schleyer, der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks geht noch weiter:

    "Ganz generell sollte nach unserer Auffassung in Betrieben bis zu 50 Beschäftigten die institutionalisierte Form der Mitbestimmung nicht greifen. Belange, die die gesamte Belegschaft betreffen, sollten auf Betriebsversammlungen behandelt werden, wenn ein Teil der Mitarbeiter dies wünscht."

    Der Arbeitsminister hält dagegen:

    "Also, das alte Verfahren - Wahlverfahren - war so kompliziert, bürokratisch und kostentreibend. Es muss korrigiert werden. Ich möchte es entschlacken, weniger kostenträchtig machen, so dass die Menschen im Betrieb damit auch umgehen können. Wenn dann mehr es auch anwenden und wählen, dann ist das in Ordnung. Aber wer Demokratie will, kann sie doch nicht darauf beschränken - auf einen Betrieb mit 5.000 Beschäftigten. Wenn man keine Demokratie hat, das sage ich Ihnen, sind die Kosten und Reibungskonflikte wesentlich höher. Und jetzt schaun wir uns an: Wie schaut das denn praktisch in einem Betrieb aus mit 200 Beschäftigten? Da kann ich Ihnen aus meiner Erfahrung sagen, dass der jeweilige Betriebsratsvorsitzende oder die Betriebsratsvorsitzende einen ganz erheblichen Teil ihrer Arbeit jetzt schon freigestellt ist für Betriebsratstätigkeiten. Der Unterschied ist nur, dass er eine formelle Freistellung bekommt. Also, auch hier ist der Aufschrei sehr überzogen.

    Doch die Gelassenheit, die der Arbeitsminister vor wenigen Wochen noch demonstrierte, dürfte ein wenig verflogen sein. An diesen beiden Punkten regt sich einfach zu viel Widerstand. Die grüne Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium suchte einen Kompromiß ins Spiel zu bringen. Die künftige Freistellungsgrenze soll danach bei 250 Mitarbeitern liegen und die Betriebsratswahlen sollen bei einer Mindestbeteiligung von 30% stattfinden. Der Arbeitsminister aber, das zeichnete sich in diesem Streit ab, kann offensichtlich auf einen starke Unterstützung aus der SPD Fraktion rechnen. Deren neuer sozialpolitischer Sprecher Franz Thönnes erklärte heute morgen:

    "Für uns ist es ganz wichtig, dass es bei der Frage der Freistellungsregelung und bei der Frage der Zahl der Betriebsräte bei dem bleibt, was in dem Riesterentwurf drin steht. Das halten wir für eine sehr gute Grundlage und wir wollen ein vereinfachtes Wahlverfahren. Das Betriebsratswahlrecht ist ein Individualrecht. Deswegen wollen wir keine Abstimmung darüber, ob Betriebsrat ja oder nein sondern weiterhin sollen, wie bei jetziger Praxis, drei Mitglieder der Belegschaft die Möglichkeit haben, einen Wahlvorstand einzuberufen oder wie wir es jetzt vorschlagen, eine Wahlversammlung. Bei dem bisherigen Verfahren gibt es einen langen Weg, sechs bis acht Wochen bevor ein Betriebsrat erst gewählt werden kann. Da gibt es also eine Bandbreite zwischen einer Woche und sechs Wochen und ich denke, über diese Frage kann man reden."

    Anders gesagt: Statt eines Quorums plädiert die SPD Fraktion offensichtlich für eine zweite Wahlversammlung, auf der ein Betriebsrat gewählt werden soll. Die Furcht vor Ad hoc-Wahlversammlungen von Minderheiten im Betrieb könnte den Arbeitgebern so genommen werden. Dieser Schritt wird vom grünen Koalitionspartner noch nicht unterstützt. Parteichef Fritz Kuhn:

    "Wir glauben, dass beim neuen, vereinfachten Verfahren der Betriebsratswahl eine Mindestbeteiligung, also ein Quorum, ab wann die Wahl gültig ist, eingeführt werden soll, weil sonst Zufallsergebnisse doch möglich sind. Wir halten es zweitens für notwendig im Gesetzgebungsverfahren die Argumente - vor allem des Mittelstands und der kleineren Betriebe - über Kostenbelastungen ernsthaft zu prüfen und dem auch Rechnung zu tragen. Wir gehen davon aus, dass - weil die Mitbestimmung ja verbreitert werden soll - die Schwellenwerte gesenkt werden, halten es aber für möglich, dass man im Gesetzgebungsverfahren die genaue Ausgestaltung - also welche Zahlen genau und wie das Verfahren gewählt wird, noch einmal überprüft."

    In der Frage der Schwellenwerte aber steht die SPD Fraktion fest hinter Riester. Es soll bei der Freistellung eines Betriebsrates ab 200 Mitarbeitern im Betrieb bleiben.

    Kostentreibend erscheint den Reformgegnern auch die künftig vorgesehene Verpflichtung des Unternehmens dem Betriebsrat moderne Informations- und Kommunikationssysteme, wie etwa Computer, zur Verfügung zu stellen und die Schulungen der Betriebsratsmitglieder verstärkt zu fördern. Auch die Erweiterung der Mitbestimmung auf die Gestaltung der Arbeitsplätze und der Arbeitsprozesse könnte durch den dafür notwendigen gutachterlichen Aufwand zusätzliche Kosten verursachen. Das gilt auch für die künftigen Mitbestimmungsrechte in Fragen des betrieblichen Umweltschutzes. Die Arbeitgeber fürchten, daß die Mitarbeiter über diesen Weg zuviel Einfluß auf die unternehmerischen Entscheidungen gewinnen. Deshalb lehnen sie eine Ausweitung der Mitbestimmung bei der Änderung der Arbeitsplätze, des Arbeitsablaufs und der Arbeitsumgebung ab. Ähnlich kritisch sehen sie und der Wirtschaftsminister die Einführung von Mitwirkungsrechten beim betrieblichen Umweltschutz. Arbeitsminister Walter Riester hält dagegen:

    "Was wir machen, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Der Betriebsrat hat Aufgaben, beispielsweise die Überwachung, wie der Arbeitsschutz eingehalten wird, Tarifverträge eingehalten werden. Und diese allgemeinen Aufgaben - dazu kommt der betriebliche, ich betone, der betriebliche Umweltschutz dazu. Und jetzt haben wir die Sorgen der Unternehmer gehört, und schreiben deswegen in das Gesetz rein: 'Damit dürfen aber nicht Investitionsentscheidungen behindert werden oder zeitlich verzögert werden'. Das schreiben wir extra noch rein. Aber es nützt nichts; es gibt ein paar Ideologen von Verbandsfunktionären, die trotzdem sagen: 'Um Gottes willen, um Gottes willen, hier ist wieder der Standort gefährdet'."

    Der grüne Koalitionspartner geht nicht ganz so weit wie der Arbeitsminister. Parteichef Fritz Kuhn:

    "Wo wir Kompromissbefarf sehen, das ist bei dem §91, wo also geregelt ist, wann Änderungen von Arbeitsabläufen vom Betriebsrat zustimmungspflichtig sind und wann nicht. Das man da zu der alten Fassung zurückkehrt, die ja Einspruchsmöglichkeiten des Betriebsrates nur dann vorsieht, wenn Änderungen offensichtlich gegen Ergebnisse der Arbeitsforschung auf der einen Seite geschehen. Und wenn zweitens die Belastungen in besonderer Weise Eingriffe darstellen würden. Ich glaub, dass man diese Formulierung wirklich lassen kann, die bestehende Praxis weist bei diesen Thema glaub ich keine besonderen Probleme auf."

    Zu keinerlei Kompromissen bereit zeigt sich Walter Riester auch in der Frage des Tarifvorbehalts. Die Arbeitgeber würden gerne in die Reform einen Maßnahmekatalog zur Beschäftigungssicherung aufnehmen, etwa die befristete Verlängerung der Wochenarbeitszeit oder die befristete Kürzung von Entgeltbestandteilen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in Krisensituationen zu verbessern. Dem steht bislang §77 Absatz 3 des Betriebsverfassungsgesetzes entgegen. Aus Sicht der Arbeitgeber verengt der Reformentwurf die gestalterischen Möglichkeiten auf der Betriebsebene sogar. BDA Hauptgeschäftsführer Reinhard Göhner:

    "Die Angst der Gewerkschaften vor einem Verlust ihres Einflusses lässt das Bundesarbeitsministerium geradezu groteske Formen des Vorrangs des Tarifvertrages schaffen. Schon die Existenz irgendeines x-beliebigen Tarifvertrages in einer Branche würde jegliche betriebliche Vereinbarung zu einer abweichenden Organisation der Betriebsverfassung verbieten. Das ist ein neues, faktisches Tarifmonopol mit einem Verbot für flexible, betriebsnahe Betriebsvereinbarungen."

    Der Arbeitsminister sieht den richtigen Weg dagegen in der bereits praktizierten Form der Öffnungsklauseln, die in viele Tarifverträge bereits eingearbeitet seinen und den Unternehmen die Möglichkeit eröffne, betriebliche Sonderregelungen zu treffen. Nur so könne zudem gewährleistet werden, dass der einzelne Betriebsrat nicht zu sehr unter Druck gesetzt werden kann.

    "Betriebsräte sind in solchen Situationen sehr erpressbar. Und der deutsche Gesetzgeber hat nicht zu Unrecht von der Verfassung über das Tarifvertragsgesetz festgelegt: Die Tarifbedingungen handeln Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände oder Betriebe aus, um genau die Erpressbarkeit des Betriebsrates nicht zu provozieren. Der Betriebsrat ist nach dem Betriebsverfassungsgesetz zur friedlichen und vertrauensvollen Zusammenarbeit verpflichtet. Welche Möglichkeit hätte er denn, selbst Tarifverhandlungen aufzunehmen? Also man muss diese Wirklichkeit mit einbeziehen."

    Der Blick auf die politische Wirklichkeit zeigt, dass einmal mehr der Kanzler das letzte Wort sprechen muß. Heute Abend noch sollen die beiden Kontrahenten Müller und Riester im Beisein Schröders und der Fraktionschefs der Koalition den Schlußstrich unter die Debatte ziehen. SPD Fraktionschef Peter Struck zeigte sich da am Nachmittag bereits recht zuversichtlich:

    "Das Kabinett wird morgen einen Gesetzentwurf beschließen, der sowohl den Wünschen der Gewerkschaft im wesentlichen entspricht aber auch die Bedenken der Wirtschaft aufnimmt."

    Hat das Kabinett dem Entwurf aber erst einmal zugestimmt, sind trotz der Kritik der Opposition wesentliche Änderungen im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren nicht mehr zu erwarten.