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Lineare Berufsbiographien, so sagen Trendforscher, sind längst nicht mehr die Regel. Und das ist für den Einzelnen kein Manko. Im Gegenteil: Wer nach der Ausbildung 25 Jahre in ein und derselben Firma verbringt, den halten Personalentwickler eher für eingefahren. Noch einmal die Chance ergreifen um das zu tun, was einem wirklich liegt: Das ist ein Grund, warum immer mehr Menschen ab 30 neben ihrem bisherigen Beruf eine zweite Ausbildung oder noch mal ein Studium anfangen.

Von Christiane Glas und Bettina Buschow | 11.02.2009
    Birgit Gebhard ist Geschäftsführerin im Trendbüro Hamburg. Sie bestätigt, dass sich immer mehr erfahrene Arbeitnehmer mittleren Alters beruflich neu orientieren und dafür auch Risiken in Kauf nehmen:

    "Ja, wir denken, dass es ein Trend ist. Es ist so, dass die Menschen sich neu orientieren oder dass sie sich eigentlich ständig orientieren und schauen, ob das, was sie gerade machen, sie persönlich weiterbringt und für sie sinnvoll ist. Pass ich in den Job, passt der Job zu mir? Kann ich mich hier weiterentwickeln?"

    Sich weiterentwickeln wollte auch die 42-jährige Hamburgerin Karen Schürmann. 20 Jahre lang war sie Referentin für Personalentwicklung in einem großen Unternehmen. Vor anderthalb Jahren hat sie eine zweijährige Ausbildung als Heilpraktikerin begonnen, im Herbst wird sie die Prüfung ablegen:

    "Damit hat man die Befähigung als Heilpraktikerin zu arbeiten, also das Recht als Heilpraktikerin zu arbeiten. Allerdings ist man noch nicht so weit, dass man die Therapieformen sicher anwenden kann. Also ich denke mal, dass man sich dann noch weiter spezialisiert und noch weiter vertieft."

    Nach vielen Berufsjahren als Angestellte wuchs bei Karen Schürmann der Wunsch nach Eigenständigkeit:

    "Auf mich selbst gestellt zu sein, mein eigener Chef oder meine eigene Führungskraft zu sein, weil ich auch schon merke, dass mit zunehmender Erfahrung und zunehmenden Jahren in den Jobs es schwierig ist, sich immer neu anzupassen an neue Führungskräfte, ihre Führungsstile, vielleicht auch Entscheidungen, die ich so nicht mittragen kann."

    Auch die 41-jährige Erzieherin Beater Walter hat sich - neben ihrem Job in einem Kinderladen - für mehr Eigenständigkeit und ein zweites Studium an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg entschieden:

    "Das Studium ist neu, man endet mit einem bachelor of arts in "education". Es gibt keine tatsächliche Berufsbezeichnung. Im Prinzip ist das der Frühpädagoge, der Experte für die frühe Kindheit bis zirca zwölf Jahre."

    Darüber hinaus macht sie eine Ausbildung als Familientherapeutin. In Prüfungszeiten oder wenn Hausarbeiten geschrieben werden müssen, wünscht sich Karen Schürmann oft, der Tag hätte 40 Stunden. Ihren drei Kindern konnte sie inzwischen die Dreifachbelastung zwischen Familie, Arbeit und Studium vermitteln:

    "Zu Anfang waren sie immer der Meinung, dass montags und dienstags, wenn ich in die Hochschule gehe, ich so eine Art Urlaub habe. Weil ich ja nicht arbeiten gehe. Arbeiten gehen ist realistisch, das kann man anfassen. Studieren ist quasi wie Urlaub."

    Karen Schürmann und Beate Walter versprechen sich eine erfolgreiche zweite Berufslaufbahn. Die Chancen für Zweitstarter sind nicht schlecht, weiß Frauke Narjes vom career center der Uni Hamburg. Sie kennt zahlreiche Fälle geglückter Berufseinstiege von Menschen im mittleren Alter. Ihr Rat an Studierende lautet, auf bereits vorhandene Kompetenzen aufzubauen:

    "Es hängt immer von der Zielrichtung ab, die diese Menschen haben. Und die meisten machen auch keinen völligen Wechsel. Da kann man auch schauen, was haben sie bereits, wie kann man diese Profile oder Kompetenzen, die sie haben, Kontakte, Netzwerke nutzen, um in den anderen Bereich einzutreten."

    In jedem Fall ist hoher Einsatz gefragt: Viel Disziplin, weniger Freizeit und eventuell auch finanzielle Einschränkungen. Doch der Aufwand lohnt sich in jedem Fall, das meint Beate Walter genauso wie Karen Schürmann:

    Walter: "Ich find das einfach klasse, noch was zu lernen. Das macht unheimlich viel Spaß. Ich hab das Gefühl, ich werde schlauer. Es ist wie eine Verjüngungskur."

    Schürmann: "Ich studiere jetzt konzentrierter und wesentlich mehr an der Sache interessiert als als Zwanzigjährige. Ich weiß jetzt was ich will, das wusste ich als Zwanzigjährige nicht."