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Zurück in den Osten!

Ein Skatblatt, Freikarten fürs Theater, ein Onlineabonnement der Regionalzeitung sind in der "Heimkehrerbox". Diese soll Abwanderern aus Magdeburg ein Stück Heimatgefühl mitgeben, damit sie vielleicht irgendwann zurückkehren.

Von Susanne Arlt |
    Nostalgische Päckchen für ostdeutsche Heimwehkranke, stichelte die Presse. Der Kabarettist Bruno Jonas konnte es sich nicht verkneifen und machte sich in der ARD-Sendung "Scheibenwischer" über die Heimatschachtel lustig.

    "Was hast du da Bruno? Ich habe hier eine Heimatschachtel. Eine Heimatschachtel? Ja, das ist die Heimatschachtel aus Magdeburg, und zwar aus Sachsen-Anhalt. Komm Bruno, die hast du selber gebastelt. Nein, das ist ein Identitätsset. Aus Sachsen-Anhalt? Ja, ja, wo du es jetzt sagst. Was ist da drin? Wunderbare Sachen."

    Das Identitätsset - ein weißer DIN-A4-großer Pappkarton - war gefüllt mit allerlei netten Produkten aus dem Osten: einem Skatblatt, Absinthpralinen, Freikarten fürs Theater, Burger, Knäckebrot, einem Onlineabonnement der Regionalzeitung und einem Magnet für den Kühlschrank. Die Stadt Magdeburg verschickte die Heimatschachtel an 1000 junge Abwanderer. Ihnen sollte der Abschied versüßt und gleichzeitig ihre Bindung an Sachsen-Anhalt gestärkt werden.

    "Müssen wir mal in die Kamera halten, oh Knäckebrot, ja. Denn einer flog über Magdeburg. Ist ja witzig: Magdeburg überrascht, das ist auch schön. Ja, dann haben wir hier einen Roman, den müssen wir zeigen. Und das soll bei den Leuten Heimatgefühle wecken? Hm, na ja, eigentlich kann man dann verstehen, warum sie abgehauen sind."

    "Ich fand das eine gute Aktion. Ich habe da Hoffnung eigentlich mit gehabt, mir so gedacht, vielleicht steckt es den einen oder anderen an."

    Monique Lampe bekam als Erste die Heimatschachtel überreicht. Sie empfand das damals als Ehre und Wertschätzung ihrer Person durch die Stadt. Nach ihrem Studium in Magdeburg hatte die Gesundheitswirtin einen Job gesucht. Das lukrativste Angebot kam aber aus den alten Bundesländern. Bei der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh offerierte man ihr die Möglichkeit, das Kompetenzzentrum für Unternehmenskultur mit aufzubauen. Die Vorstellungsgespräche in Sachsen-Anhalt verliefen leider anders, erinnert sich Monique Lampe.

    "Der Markt hat hier die Erfahrung gemacht, es gibt genügend Menschen, die sich auf diesen Deal einlassen, der oft zu ihren Ungunsten läuft. Und deswegen versucht man auch, die jungen Leute in diese Raster zu pressen. Also mit wenig Entgegenkommen ihnen einfach zu sagen: Das ist das, was wir Ihnen bieten, mehr nicht. Und wir haben noch genug Leute, die da draußen Schlange stehen. Wenn Sie Nein sagen, sagt der Nächste Ja."

    Die Bertelsmann-Stiftung habe ihre fachlichen Qualitäten mehr wertgeschätzt, betont Monique Lampe. Darum sei sie gegangen - aber nur schweren Herzens. Denn Familie und Freundeskreis musste sie zurücklassen. Für Monique Lampe war klar: Sobald sie genug Berufserfahrung gesammelt hat, geht sie zurück. Nach sechs Jahren konnte sie diesen Plan in die Tat umsetzen. Heute arbeitet die 29-Jährige als Unternehmensberaterin und schreibt an ihrer Promotion. Monique Lampe - ein gutes Beispiel für den Erfolg der Heimatschachtel? Susanne Surmann, die das Projekt damals wissenschaftlich begleitete, lächelt und sagt: Die Heimatschachtel war nur ein Teil unseres Projekts, aber ein wichtiger.

    "Aus meiner Sicht: Besser hätte es nicht laufen können. Unabhängig davon, wie das von anderen gesehen wird, das ist ja sehr gemischt gewesen. Das Thema Ab- und Rückwanderung, die emotionale Sache, die dahinter steckt, dem einen Raum zu geben und eine Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu geben. Eigentlich auch, um die Politik diesbezüglich aufzurütteln. Wir waren damals mit der Abwanderungsstudie noch Pioniere in dem Bereich."

    Heute spricht jeder vom demografischen Wandel. Konkrete Zahlen über zurückgekehrte Landeskinder mit einer Heimatschachtel im Gepäck gibt es nicht. Untersuchungen haben aber ergeben, betont Susanne Surmann, dass Abgewanderte vor allem dann zurückkehren, wenn sie eine emotionale Bindung zur Heimat haben. Nur ein Drittel der Rückwanderer gibt berufliche Gründe an. Da vor allem höher Gebildete auswandern, ist es wichtig für die Region, junge Akademiker zu halten oder zumindest mit allen Mitteln wieder zurückzulocken. Und vielleicht half die Heimatschachtel dem einen oder anderen dann doch auf die Sprünge.

    Parallel, sagt Susanne Surmann, seien noch andere Projekte zur Rückwanderung entstanden. Jedes ostdeutsche Bundesland hat inzwischen mindestens eine Rückkehrinitiative. Die Vereine halten Kontakt zu den Abgewanderten und potenziellen Arbeitgebern vor Ort, vermitteln bei Wohnungsanfragen. Ein Teil der Initiativen sind in einem Dachverband organisiert und tauschen ihre Erfahrungen aus. Viele kleine Schritte seien gegangen worden, sagt Susanne Surmann, aber viele müssten es noch werden.

    "Menschen sind schon immer gewandert, Regionen sind verschwunden, andere sind neu entstanden. Aber wenn man sich die Einzelschicksale anschaut, dann muss man ihnen eine Stimme geben, das finde ich wichtig."