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Zurück in der Welt

Schweizer Landschaftsmaler wie Caspar Wolf, aber auch den jungen Ferdinand Hodler hat der Sammler Oskar Reinhart gefördert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Der Schweizer Industriellensohn widmete sich ab dem Alter von 39 Jahren nur noch seiner Kunstsammlung.

Von Christian Gampert |
    Mit einer Ausstellung zur "Natur der Kunst" die Wiedereröffnung des Hauses zu feiern, das ist eine schöne (und auch programmatische) Idee des Winterthurer Museumsdirektors Dieter Schwarz. Denn die Auseinandersetzung mit Landschaft und Natur ist (einerseits) der Kernpunkt der Winterthurer Sammlungen, nicht nur des Kunstmuseums. Auch der 1965 verstorbene Industrielle Oskar Reinhart hat ja eine famose Kollektion vor allem impressionistischer Arbeiten in Winterthur zusammengetragen und in eigenen Museen ausgestellt – und im Impressionismus beginnt ja der Weg des Bildes in die Autonomie, in die Befreiung vom Abbild-Charakter des Kunstwerks.

    Deshalb ist der Ausstellungstitel auch mit Vorbedacht gewählt: Dieter Schwarz will nicht nur anhand des Natur-Themas Kunstgeschichte abschreiten, sondern (andererseits) über die Natur der Kunst, über ihre Strategien, ihre Wege und vielleicht auch Irrwege nachdenken. Schaut man sich etwa Claude Monets grandioses großes Seerosen-Bild an, das ein Zentrum der Winterthurer Ausstellung bildet, dann befindet man sich bereits auf dem Weg in die abstrakte Malerei. Und dieses großformatige Werk findet seine Entsprechung dann im zweiten Teil der Ausstellung, in der Gegenwartskunst, in den gestisch-expressiven Farbflecken der Joan Mitchell.

    "Solche Echos gibt es in der ganzen Ausstellung – die amerikanische Malerin Joan Mitchell, die sich ganz bewusst auf Monet bezieht, in der Radikalität der malerischen Auffassung, aber auch in dieser unheimlich pastellenen feinen Farbigkeit. Oder dann Sylvia Mangold, die mit ihren Baumbildern auf das 19.Jahrhundert zurückreflektiert, auf Cézanne und andere Maler. Und diese Beziehungen quer durch die Zeit, das sollte man in der Ausstellung sehen – und nicht nur den Marsch von der Vergangenheit in die Gegenwart."

    Dieter Schwarz bespielt im ersten Teil die großartigen Oberlichtsäle des Museums zunächst mit Bildern des 19.Jahrhunderts, dann mit den autonomen Natur-Neuerschaffungen der klassischen Moderne – und die reichen von Max Ernsts bedrohlich rauhen, gespachtelten schwarzen Wäldern bis zu den blühenden Quadraten des Paul Klee, von Hans Arps organischen Wesenheiten bis zu Hodlers Bergschatten und Piet Mondrians Anti-Natur.

    Dann geht es, nach einem Übergang mit Lucio Fontanas "Concetti spaziali", hinaus in den modernistischen Anbau des Museums, wo vom abstrakten Expressionismus bis zur Konzeptkunst Naturprozesse umkreist werden. David Rabinovitsch skizziert jahrelang denselben Baum, John Cage visualisiert Rhythmen, Richard Long formt einen Stone Circle, Giuseppe Penone gießt schrundige Natur in Bronze.

    Dieter Schwarz hat eine vielfältige Sammlung zur Gegenwartskunst aufgebaut, und rund die Hälfte der gesamten Ausstellung bestreitet das Winterthurer Kunstmuseum aus eigenen Beständen. In den zwei Jahren, die es jetzt geschlossen war, wurden unterirdische Depots angelegt, Museumspädagogik und Café modernisiert, Verwaltungsräume geschaffen. Wer sich vor kurzem noch über Wasserhähne freute, die aus dem Vorkrieg zu stammen schienen, wird jetzt mit modernsten Nasszellen und Schließfächern konfrontiert.

    Ein bisschen schade ist das schon, die Modernisierung verschlingt auch Geschichte. Aber Winterthur will als Kunst- und Kulturstadt mit anderen mithalten, und vielleicht ist es gut sich zu erinnern, warum Winterthur überhaupt so eine große Kunst-Tradition hat. Dieter Schwarz:

    "Das kommt von den paar Familien, die hier zu Beginn des 20. Jahrhunderts tätig waren und die einen weiten Horizont hatten, ich denke, auch aufgrund ihrer Berufstätigkeit. Zum Beispiel die Familie Reinhart, die ja das Handelshaus Volkart betrieb, die weltweit agierte. Aber auch Leute wie Richard Bühler, die Familie Hahnloser, die aus der kleinen Industrie kamen, aber die sich doch sehr früh intellektuell engagierten und für die ausländische, damals französische Kunst interessierten. Diese Familien haben das in Gang gebracht. Wenn es sie nicht gegeben hätte, wäre Winterthur eine unbedeutende Kleinstadt, vielleicht mit erfolgreicher Wirtschaft, aber ohne jede kulturelle Ausstrahlung."

    Außer dem Kunstmuseum gibt es in Winterthur 17 andere Museen, darunter Fotomuseum und Fotostiftung Schweiz. Zu den berühmtesten Häusern gehört die Sammlung Oskar Reinhart "Am Römerholz" – bis vor zwei Jahren eine verwunschene Villa über der Stadt am Waldrand, wo der Industrielle Oskar Reinhart eine eigene Galerie für seine Impressionisten-Sammlung anbauen ließ. Nach seinem Tod wurde das Haus von der Eidgenossenschaft übernommen – und war ein Geheimtip für Kunstreisende, die in meditativer Ruhe Corot, Courbet und van Gogh studieren wollten.

    Jetzt aber wurde die 20er-Jahre-Villa in zweijähriger Bauzeit modernen Museums-Standards angepasst. Fassade, Klima- und Sicherheits-Einrichtungen mussten überholt werden. Und: man will die Villa nun doch verstärkt dem Publikums-Verkehr öffnen. Der Park und der Garten bleiben erhalten, aber es gibt jetzt museumspädagogische Räume für Kinder und ein luftiges Café-Restaurant, das allerdings stilistisch ein wenig aus dem 20er-Jahre-Ambiente herausfällt – es hat postmodernen Chic. Die Leiterin der Römerholz-Villa, Maria-Antonia Reinhard-Felice, hat die Sammlung neu geordnet, ganz im Sinne des Stifters.

    "Ich habe die Sammlung neu präsentiert, und zwar nach dem Hängungsprinzip des Sammlers. Der hat die Werke nicht nach Schulen und Epochen, also nicht chronologisch angeordnet, sondern nach dem Zusammenspiel von Farben und Formen."

    Beeindruckend in der Römerholz-Villa ist nicht nur die kuratorische Einbettung des Impressionismus in die Landschaftsmalerei des 19.Jahrhunderts, sondern auch die religiöse Kunst aus dem südwestdeutschen Raum – und die deutsche Renaissance. Das Diptychon eines Ehepaars von Lukas Cranach dem Älteren wurde ins Zentrum eines intimen Zimmers gestellt – und soll etwa mit Breughel dialogisieren. Solche Dialoge hat auch Dieter Schwarz im neueröffneten Kunstmuseum im Sinn. An einem schmalen Übergang lässt er zwei halbabstrakte Skulpturen von Constatin Brancusi in Zwiesprache treten – so wie auch die Winterthurer Museen, hoffentlich, in Zukunft aufeinander verweisen und miteinander arbeiten werden.