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Zurück in die Heimat

Vor dem Bürgerkrieg lebten rund 100.000 Armenier in Syrien. Unter dem Assad-Regime ging es ihnen gut: Sie konnten ihre Sprache und Kultur pflegen, ihre Kinder armenische Schulen besuchen. Doch die Angst treibt viele zurück in die Heimat ihrer Großeltern und Eltern.

Von Gesine Dornblüth | 07.03.2013
    Kework Shadoyan schiebt Tüten und Kartons zur Seite und räumt einen Stuhl frei. Der 39-Jährige richtet sich gerade ein Büro in Armeniens Hauptstadt Eriwan ein. Die langen Haare fallen ihm ins Gesicht. Shadoyan ist Modedesigner, er entwirft
    Abendroben und Hochzeitskleider, vorzugsweise mit traditionellen armenischen Motiven und viel Einblick. In Aleppo in Syrien hat er eine Modeschule geleitet. Vor drei Monaten ist er geflohen.

    "Das war tragisch. Ich bin in Aleppo geboren. Und ich sage immer: Wir wurden von den Syrern nur gut behandelt. Ich habe dort 20 Jahre meines Lebens verbracht. Und auch während ich im Ausland studiert und gearbeitet habe, bin ich immer gern nach Aleppo zurückgekommen. Ich liebe nicht nur Aleppo, sondern ganz Syrien. Es ist unser Land. Wir mögen die Menschen dort. Ich habe mich dort nie fremd gefühlt. Sie haben uns wie Syrer behandelt."

    Rund 100.000 Armenier haben, vorsichtigen Schätzungen zufolge, zu Beginn des Konflikts in Syrien gelebt, die meisten von ihnen in Aleppo. Sie konnten ihre Sprache und Kultur pflegen und armenische Schulen besuchen, erzählt Shadoyan. Die Armenier gelten, wie auch die übrigen christlichen Minderheiten, als weitgehend loyal gegenüber dem Assad-Regime. Sie hielten sich aus dem Konflikt heraus. Auch jetzt will sich Kework Shadoyan nicht zur Politik in Syrien äußern. Der stellvertretende Außenminister Armeniens, Shavarsh Kocharyan, tut dies umso lieber.

    "Wir sind weder dafür, die Kräfte zu unterstützen, die Assad stürzen wollen, noch sind wir dafür, Assad um jeden Preis zu halten. Wir verurteilen alle Versuche, die Situation in Syrien von außen zu destabilisieren. Denn jede Destabilisierung wirkt sich sehr negativ auf die nationalen und ethnischen Minderheiten in Syrien aus."

    Mit dieser Position steht Armenien fest an der Seite Russlands, zu dem es enge wirtschaftliche, militärische und politische Verbindungen unterhält. Auch der russische Außenminister Lawrow führt immer wieder das Argument ins Feld, wenn Assad gehe, führe das zu Chaos und gefährde vor allem die Minderheiten in Syrien. Armenien hat bisher mehr als 6000 Flüchtlinge aufgenommen. In letzter Zeit hätten zudem zahlreiche Armenier aus Syrien die armenische Staatsbürgerschaft beantragt, sagt der stellvertretende Außenminister Kocharyan.

    "Wir beobachten eine Entchristianisierung des gesamten Nahen Ostens. Dabei hat das Christentum dort tiefe Wurzeln. Die Konfliktparteien müssen endlich einen Kompromiss finden. Wie der aussehen wird, ist eine andere Frage. Wichtig ist, das Blutvergießen zu stoppen."

    Danach sieht es vorerst nicht aus. Der Modedesigner Shadoyan telefoniert regelmäßig mit seinen Verwandten in Aleppo.

    "Es sind immer die gleichen Nachrichten. Es ist eine harte Zeit. Aber wir werden das überstehen. Die Leute, mit denen ich spreche, haben jedenfalls Hoffnung."

    Kework Shadoyan hatte bereits Verbindungen nach Armenien, bevor er dorthin floh. Sein Bruder lebt seit fünf Jahren in Eriwan, er betreibt dort einen Friseursalon für reiche Armenier. Die Brüder helfen einander. Andere Flüchtlinge aus Syrien leben in Armenien in Massenunterkünften. Das Land ist arm. Viele warteten nur darauf, nach Syrien zurückzukehren, sobald es dort friedlich ist, erzählt Shadoyan. Sie sprächen zwar dieselbe Sprache wie die Einheimischen, kämen aber mit der Mentalität in Armenien nicht zurecht. Die Gesellschaft in der Südkaukasusrepublik ist noch immer von 70 Jahren Sowjetunion geprägt.

    "Ich bin hier auch glücklich. Schließlich ist das hier Armenien. Aber die Menschen in Aleppo haben ein anderes Gemüt, die Stimmung ist ganz anders, und ich vermisse das sehr. Trotzdem werde ich jetzt erst mal hier einen Neuanfang versuchen. Denn nur dazusitzen und abzuwarten, bringt ja nichts. Das ganze kann noch zwei Monate dauern, drei Monate, ein Jahr. Wie lange, weiß nur Gott."