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Zurück in die Vergangenheit

Ab ins Mittelalter, die Renaissance oder in die Welt Dschingis Khans - historische Romane können die Leser in längst vergangene Zeiten entführen und dabei, ganz nebenbei, auch noch Wissenswertes vermitteln. Trotzdem galten historische Romane lange Zeit als Trivialliteratur. Doch heute werden sie immer beliebter - auch unter jungen Lesern.

Von Karin Hahn |
    Geschichtsbücher sind meistens informativ, aber oft auch langweilig. Historische Romane haben den Vorteil der Perspektive. Sie entführen den Leser in die unterschiedlichsten Epochen. So kann er das Alltagsleben im Mittelalter beobachten, erlebt die Machtspiele an adligen Höfen, reitet wie wild durch die Steppe, in der auch schon Dschingis Khan unterwegs war oder erlebt, wie grausam einst der Krieg zwischen Rittern und Bogenschützen enden musste.

    Die jugendlichen Protagonisten erleben Abenteuer, machen Erfahrungen und plagen sich doch auch mit vertrauten Konflikten, wie Konkurrenzdenken, Streit zwischen den Geschwistern, Problemen mit den Eltern, Ausgrenzung oder erste Liebe.

    Die Zeiten sind vorbei, in denen im Rahmen einer Erzählung vordergründig Wissen vermittelt werden sollte. Heute wollen die Autoren historischer Romane vor allem ihre Leser spannend und gut unterhalten. Und was spricht dagegen?

    "Meine früheste Bildung, historische Bildung verdanke ich eigentlich historischen Romanen, deren literarischer Wert, nun sagen wir mal, angezweifelt werden kann, wie Felix Dahn "Ein Kampf um Rom". Wenn man so will, ist das Kitsch pur. Aber ich glaube, für einen jungen Leser gibt es einen Lebensabschnitt, wo auch Kitsch irgendwie mal sein muss, solange man nicht bis an sein Lebensende darin stecken bleibt. Das hat mir gefühlsmäßig ungeheuer viel gegeben und wahrscheinlich auch noch einen gewissen Bildungsfundus,"

    sagt Waldtraut Lewin. Die 71-jährige Berliner Autorin schreibt seit über 30 Jahren für Jugendliche und Erwachsene kompakte historische Romane. Ihre szenisch starke Prosa belegt, literarisch Anspruchsvolles und hoher Unterhaltungswert müssen sich nicht ausschließen. Waldtraut Lewin erkundet mit ihren Romanfiguren immer wieder gern das alte Rom, das italienische Mittelalter und das Leben der jüdischen Bevölkerung im vorigen Jahrhundert.

    "Mich fasziniert Historie generell deswegen, weil ich da eine Art Verfremdung der Gegenwartsprobleme durch die Verkleidung herstellen kann. Und da ich vom Theater komme, ist die gewisse Distanz, die der Zuschauer zur Bühne haben soll, immer ein ganz wichtiges Kriterium, um auf Dinge draufschauen zu können, nicht zu dicht mit ihnen verbandelt zu sein."

    Da weder Wissenschaft noch Dichtung, hatte der historische Roman, als Trivialliteratur verschrien, wie einst Krimis oder Comics, einen schlechten Ruf. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Heute sind historische Romane nicht nur fesselndes Lesefutter, sondern können auch intelligent und erfindungsreich konzipiert sein.

    Jean Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs verfolgen in ihrem Roman "Die Erbin von Flandern" den Entwicklungsweg eines willensstarken Mädchens, dass im Spätmittelalter um ihre Rechte kämpfen muss. Der junge Nathan spioniert für die englische Königin in Lynn Brittneys Roman "Nathan Fox - Im Auftrag Ihrer Majestät".

    Carol Dines Roman "Die Sopranistin der Königin" entführt den Leser ins Rom des 17. Jahrhunderts. Den Blick auf die jüngste Vergangenheit lenkt Waldtraut Lewin in "Drei Zeichen sind ein Wort". In Nina Blazons Abenteuerroman "Das Amulett des Dschingis Khan" reist der Leser im 13. Jahrhundert mit dem jungen Polen Krystian von Krakau bis in die Mongolei.

    "Für mich ist das Besondere am historischen Roman vor allem das Recherchieren, das Forschen, die Spurensuche, das Überlegen, wie hätte es gewesen sein können, weil die Faktenlage meistens doch immer ein bisschen mager ist. Und auch das Suchen eines aktuellen Bezugs, was hat das Geschehen von damals, das ich erfinde mit dem Heute zu tun. Der Gegenwartsbezug beim "Amulett des Dschingis Khan" war vor allem das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen, was ja heute auch wieder aktuell ist, das sich auseinandersetzen mit völlig anderen kulturellen, religiösen Hintergründen,"

    meint die Autorin Nina Blazon. Sie spürt ihre historischen Stoffe oftmals in interessanten Biografien auf. Alle Handlungsorte der hier zu besprechenden Romane können genau lokalisiert werden und immer tauchen historische Personen als Nebenfiguren auf, die wirklich gelebt haben.

    Bei Nina Blazon ist es der Franziskanermönch Wilhelm von Rubruk. Seine Reise führte ihn 15.000 Kilometer in die Mongolei. Um sich intensiv in die ferne Zeitepoche einzufühlen, hat sich Nina Blazon mit aktuellen Forschungsergebnissen über Dschingis Khan und Berichten über die Geschichte Krakaus während des Mongolensturms beschäftigt. Aber am wichtigsten war für sie der Augenzeugenbericht des Wilhelm von Rubruk.

    Nina Blazon, auch bekannt für ihre seitenstarken Fantasy-Romane, muss ihre Imaginationskraft jedoch zügeln, wenn es um ein historisches Thema geht:

    "Das ist genau die Herausforderung, dass man die Fiktion in einem historischen Roman glaubhaft in den Rahmen einpassen muss. Da muss die Recherche stimmen. Und das spannende ist ja auch, Lücken zu finden im historischen Geschehen, wo sich eine fiktive Figur gut einfügt, und trotzdem nicht aufgesetzt wirkt."

    Ihr junger Held Krystian ist so eine Figur. Elternlos und auf der Flucht vor einem Menschenschinder überlebt der Junge mit dem schlangenartigen Muttermal 1241 den Mongolensturm auf die Stadt Krakau. Während des Angriffs gelangt ein geheimnisvolles Amulett mit einer Abbildung von einem Mischwesen - halb Schlange, halb Mensch - in Krystians Hände. Elf Jahre später wird der 16-jährige Junge herausfinden wollen, was dieses Schlangenmotiv mit ihm zu tun hat.

    Krystians Reise kann zugleich als Metapher seiner Adoleszenz gelesen werden. Der sensible, aber auch hitzköpfige Jugendliche schließt sich in Konstantinopel der Missionsreise des Franziskanermönchs Wilhelm an. Ziel ist die unbekannte, östliche Steppe, das Land der Mongolen.

    Diese Jurte war um ein Vielfaches behaglicher als die Unterkunft, in der die Missionsgruppe nachts vor sich hin fror. Neben dem Eingang hing ein Ledersack mit gegorener Stutenmilch, aus dem die alte Tatarin nun mit einer Kelle etwas Flüssigkeit schöpfte und in eine Holzschale füllte. "Nein, danke!" Krystian hob abweisend die Hände. Aber es half nichts, wenn die Tataren schon jeden töteten, der auf die Schwelle trat, würden sie mit Gästen, die ihre Milch nicht trinken wollten, bestimmt nicht nachsichtiger sein.

    Wie ein roter Faden zieht sich ganz gegenwärtig durch die historischen Romane: die Suche der jungen Protagonisten nach sich selbst und ihre Emanzipation von den Erwachsenen. Unverzichtbar bei den Erkundungen nach eigenen Lebensmodellen sind Freundschaften, die Begegnung mit Gleichgesinnten und das Erleben der ersten, nicht immer glücklich endenden Liebe.

    Wer die Entwicklung des historischen Romans beobachtet, stellt seit den siebziger Jahren eine Ausdifferenzierung des Genres fest. Neben Mädchenromanen, Reise-, Abenteuer-, Kriminal- oder Adoleszenzromanen finden sich auch religiöse Erzählungen.

    "Ich weiß nur, dass es eine Reihe von Kollegen gibt, die es sehr darauf angelegt haben, belehrend zu schreiben, früher. Ich glaube, das hat sich ein bisschen verändert, in Hinsicht auf die Einmengung von fantastischen Elementen und auf den Wunsch, bunt, farbig und fesselnd zu erzählen. Was ja auch wichtig ist. Was nützen uns die Bücher, die in sich stimmig sind, wenn sie gähnende Langeweile hervorrufen?"

    Weder Erzählungen über große Ereignisse noch bedeutende Taten sind gefragt, sondern der Geschichtsprozess und die "Geschichtsschreibung von unten" liegen weiterhin im Trend. Ob Krystian, Nathan, Leonie oder Angelica - viele Figuren der aktuellen Romane stammen aus nicht privilegierten Schichten. Da im Zentrum der Handlungen jugendliche Hauptfiguren stehen, verkleinert sich auch die Perspektive auf das Geschehen - und in den Vordergrund rückt eher der unmittelbare Kulturkontakt.

    Während die Erwachsenen in Maßen historisiert werden, tragen die jungen Protagonisten recht moderne Züge und gerade Mädchen agieren autonom. Die meisten Autoren nehmen den Bruch zwischen dem modernen Bewusstsein ihrer Figur und der historischen Kulisse in Kauf, und das aus gutem Grund:

    "Es spielt für mich kaum eine Rolle, weil ich nicht versuche, die Leute aus ihrem historischen Kontext pur zu erklären, weil da gibt es sicher je weiter wir zurückgehen in der Geschichte, desto größere Irritationen, denke ich. Ich glaub schon, dass eine jungen Frau des 13. Jahrhunderts völlig anders gedacht hat als eine Romanfigur, die jetzt geschrieben wird, und die vom Autor oder der Autorin im 13. Jahrhundert angesiedelt ist. Ich glaube, die Frau aus dem 13. Jahrhundert könnten wir wirklich nicht verstehen, wären, denke ich, nur befremdet von dem, was sie denkt oder empfindet. Wir nehmen immer Leute, mit denen wir uns identifizieren können, und das sind natürlich Leute aus unserer Gegenwart und setzen sie in diese Kulisse."

    Seit gut 40 Jahren wenden sich Kinder- und Jugendbuchautoren, wenn es um historische Stoffe geht, allen Epochen zu, auch der Geschichte des Dritten Reiches und wie es dazu kommen konnte. Waldtraut Lewin nimmt dieses Thema in ihren Romanen immer wieder auf. Sie entwickelt eine spannende Ausgangssituation, erzählt temporeich und erfindet gut durchdachte Figurenkonstellationen. In vielen Szenen konfrontiert sie ihre Protagonisten mit der lebendigen, jüdischen Kultur in Europa, die so nicht mehr existiert. Waldtraut Lewin stellt ihre literarischen Figuren in einen historischen Zeitraum, der zwar nah erscheint, doch für junge Leser in weiter Ferne liegt.

    Ihre "Drei Zeichen"-Trilogie spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Europa. Die junge, zielbewusste Leonie Lasker, möchte unbedingt in Berlin Schauspielerin werden. Leonies Vater, ein renommierter Koch, ist in den Zeiten der Inflation auf ständiger Arbeitssuche.

    Eine Einladung nach Frankreich verändert Leonies Leben. Nachdem sie ihre wohlhabende jüdische Verwandte Isabelle kennengelernt hat, nimmt sie nach und nach Kontakt zu ihren jüdischen Familienmitgliedern auf, die verstreut in Europa leben. Das sind theaterbegeisterte, schwierige, aber auch liebenswerte Menschen. Leonies Vater, ein deutschnationaler Parteigänger, hatte seine Tochter die eigene jüdische Vergangenheit ganz bewusst verschwiegen. Durch den sich zuspitzenden Vater-Tochter-Konflikt veranschaulicht Waldtraut Lewin die gesellschaftliche Stimmungslage.

    "Leonie", sagt mein Vater beschwörend. "Wir sind deutsch, Mädchen! Wir haben Gott sei Dank diese alten überlebten Rituale ablegen können und sind vollwertige Bürger dieses Landes. Du weißt nichts über die Vergangenheit! Ich habe nichts mit jüdischen Gebräuchen und Sitten zu schaffen - und meine Tochter bitte auch nicht!" Jetzt wird er doch laut. "Guck sie dir doch an, diese Mauschels! Lauf doch einmal durchs Scheunenviertel! Diese, diese Gestalten da - mit denen willst du verwandt sein?"

    "Wissen vermitteln ist schon wichtig, aber ich denke, es dürfte nicht die Hauptsache sein. Ich weiß, dass der jugendliche Leser heutzutage über ein minimales Wissen verfügt. Davon muss ich, glaube ich, ausgehen. Infolgedessen bin ich schon a priori, wenn ich will, dass meine Geschichte verstanden wird, angehalten, einfach historische Dinge zu erklären. Ja, das ist wichtig, noch wichtiger ist das Fabulieren."

    Auch wenn der Schwerpunkt beim Schreiben immer auf den historischen Aspekt gelegt wird, so fehlen doch nie die Parallelen zur Gegenwart.

    "Ich glaube, die gibt es in jedem historischen Roman, sonst ist es ja nur eine Illustration der Geschichte, und das dürfte er auf gar keinen Fall sein. Ich denke schon, das muss immer ein Spiegelbild sein von dem, was Gegenwart ist, was uns bewegt. Weil, warum soll ich es sonst lesen?"

    In den Romanen von Waldtraut Lewin und Nina Blazon tauchen in den Dialogen immer wieder einzelne russische, mongolische oder jiddische Worte und Wendungen auf. So verstärken die Autoren den authentischen Charakter des Erzählten.

    "Authentisch, denke ich, muss sein, das historische Detail. Wenn einem da Schnitzer unterlaufen, das finde ich fatal. Und natürlich müssen bestimmte Grundfakten einfach stimmen, zum Beispiel in "Drei Zeichen sind ein Wort" gibt es ja im Jahr 1923 wohlgemerkt schon ein Pogrom im Scheunenviertel in Berlin. Da haben alle Leute, die das gelesen haben und ein bisschen von Geschichte Bescheid wussten erstmal nachschlagen müssen, weil sie sich gesagt haben, das kann doch gar nicht sein, aber es hat es schon 1923 gegeben."

    "Für mich ist es wichtig, dass die historischen Personen stimmen. Es sollten die Umstände stimmen, es sollte die Stimmung rüberkommen jener Zeit, die Grundgedanken jener Zeit und wenn ich Konstantinopel beschreiben, zum Beispiel die Hagia Sofia, dann muss ich selbstverständlich recherchieren, wie sah die damals aus, die hatte damals noch ein Atrium und war ein bisschen anders gebaut als heute, und auch die Worte, die ich den historischen Leuten in den Mund lege, die müssen sehr, sehr exakt an dem sein, was die Person gesagt hätte, in ihrer Denkweise."

    Im Nachwort jedoch gibt Nina Blazon zu, dass sie bei einigen Details auch ein bisschen gemogelt hat. Somit sind die Grenzen zwischen Fiktion und Historie doch nicht so festgesteckt:

    "Sie ist bei mir sehr fließend, weil bei mir ja auch viele fantastische Elemente einfließen, in die letzten jetzt ganz besonders durch die Golemfigur, die da eine große Rolle spielt, aber generell auch sonst. Aber alles Fantastische oder was nicht direkt in der Zeit fußt muss aus dieser konkreten Realität heraus erwachsen. Auch aus dem Alltag heraus erwachsen, nur dann ist es überzeugend."

    Im Roman "Die Erbin von Flandern" hauchen Jean Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs ihrer historischen Figur Marguerite von Male Leben ein. Die Grafentochter erzählt mit viel Selbstironie nicht im üblichen Präteritum, sondern im lebensnahen Präsenz.

    Beatrijs und Hanne drücken mit aller Kraft auf den harten Bauch, um mich nach draußen zu stoßen. Meine Mutter schreit vor Schmerzen. Das Einzige, was nach draußen kommt, ist mein Hinterteil. Hanne schlägt ein Kreuz, denn sie weiß, dass ich zum Tode bestimmt bin. Sie schöpft mit einem Becher von dem Rosenwasser und gießt es über mein Hinterteil. So taufen sie meinen Hintern im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Nun kann mir nichts mehr geschehen.

    Marguerite ist nicht der erwartete Stammhalter. Ihre Mutter gebärt zwar noch einen Sohn, der allerdings früh verstirbt. Das nicht besonders schöne Mädchen mit den störrischen braunen Haaren wird die Erbin von Flandern und somit im Hundertjährigen Krieg zur begehrten Heiratskandidatin im Spiel um politische Machtinteressen. England wirbt mit dem jüngsten Prinzen um das 14-jährige Mädchen. Aber Marguerite lässt sich nicht an den gewalttätigen Edmund von England verschachern. Selbstbewusst wehrt sie sich mit der Hilfe des Papstes gegen den tyrannischen Vater. Liebte das kleine Kind ihren Vater noch heiß und innig, so spürt die älter werdende Tochter, auch wenn sie sich wie ein Junge gebärdet, der raufen und fechten muss, seine abgrundtiefe Missachtung.

    "Was soll ich mit dir tun, du Erbin von Flandern, wie sollst du in Gottes Namen eine Gräfin werden? Die Welt wird dich in Stücke reißen." Er schiebt mir mit der Hand einen Zopf aus dem Gesicht. Ganz kurz berühren seine rauen Finger meine Wange. "Jedes Mal, wenn ich dich sehe", sagt er leise, "sehe ich Gott, der mich auslacht. Denn das ist es, was du bist. Ein Witz. Ein Witz Gottes."

    Bei Jean Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs, die auch als Drehbuchautoren erfolgreich sind, dient das Mittelalter in dieser biografischen Geschichte nicht als Kulisse. In vielen Szenen wird stilistisch perfekt ein plastisches Bild der damaligen Verhältnisse mit psychologisch genau gezeichneten Figuren geschildert. Auch wenn sich Marguerite, die von 1350 bis 1405 gelebt hat, gegen den Zeitgeist auflehnt, bleibt sie ein Kind ihrer Zeit. Mit ihr kann man das Mittelalter riechen, schmecken und fühlen. Dumpfer Aberglaube, Fanatismus, Gewalt, Frömmigkeit und vor allem das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Religionen spielen in historischen Romanen immer wieder eine wichtige Rolle, ob sie nun mitten in Europa oder in Asien spielen.

    "Die Auseinandersetzung mit den Religionen war sogar ein zentraler Punkt in diesem Buch. Mir war es einfach wichtig am Beispiel von Krystian zu zeigen, wie er lernt, Fragen zu stellen. Am Anfang ist er ja sehr gegen Abdallah, allein schon aus dem Grund, weil er einer anderen Religion anhängt. Er stellt aber nie die Frage, wo sich die Religionen vielleicht berühren oder ob es auch etwas lohnenswertes gibt beim anderen. Diese Geschichte Abdallah-Krystian dient auch so ein bisschen zu zeigen, wie Krystian anfängt, diese Fragen zu stellen, und zum Beispiel feststellt, dass im Islam auch Jesus Christus, also beziehungsweise Jesus als Prophet Mohammeds verehrt wird. Also, es gibt ihn genauso und er gehört, wie Abdallah sagt, Abdallah genauso wie Krystian."

    Wie schwierig es jedoch ist, historische Ereignisse mit einer adäquaten, ästhetisch-literarischen Form zu vereinen, belegen auch missglückte Versuche. Die amerikanische Autorin Carol Dines thematisiert in ihrem Roman "Die Sopranistin der Königin" den Einfluss der herrschenden Religion im 17. Jahrhundert. Per Gesetz wurde es Frauen von der katholischen Kirche nicht gestattet in der Öffentlichkeit zu singen. Die 17-jährige Angelica, eine einfache Handwerkertochter, hat eine anmutige Sopranstimme, kann ihr Talent aber nicht ausleben. Ihre hartherzige Mutter strebt gegen den Willen der Tochter eine Heirat mit einem Adligen an. Die römische Residenz der Königin Christina von Schweden ist der einzige Anlaufpunkt für künstlerisch begabte Frauen, wenn sie nicht gesellschaftlich geächtet werden wollen.

    Die Sopranistin Angelica Voglia, eine historisch verbürgte Figur, aber auch die schwedische Königin, die mit 27 Jahren auf den Thron verzichtete, werden in diesem historischen Roman schemenhaft, klischeebeladen und eindimensional dargestellt.
    Die Königin seufzte: "Ich will offen zu dir sein, Angelica. Es kümmert mich einen Pfifferling, ob er im Garten sitzt. Der Garten ist dazu da, dass man darin sitzt. Ich unterstütze diese Liebesgefühle, also kann ich nicht sagen, dass du etwas Falsches tust. Aber du musst aufpassen, dass du dein Talent nicht verrätst. Liebe kann lehrreich sein, aber auch zerstörerisch. Du musst immer daran denken, dass du die Sopranistin der Königin bist. Ein Fuß muss immer fest in deiner eigenen Zukunft stehen, dann kann der andere in alle möglichen Schlammpfützen treten, ohne dass du das Gleichgewicht verlierst."

    Bei aller Schlichtheit der Konstruktion und auch der Sprache, ohne klar nachvollziehbare Zweifel und Brüche der Protagonisten verliert sich die Handlung in langatmigen Szenen. Es wird zu viel in Kissen geschluchzt und sich in Allgemeinplätzen ergangen. Für den Leser öffnet sich zwar ein Zeitfenster, aber es fehlen die anschaulichen Bilder vom historischen Umfeld, und Angelicas künstlerische Entwicklung spielt kaum eine Rolle.

    Ganz anders bei "Nathan Fox - Im Auftrag Ihrer Majestät" von der englischen Autorin Lynn Brittney. In einem mitreißenden Erzählstrom entfaltet die Autorin nicht nur ein farbiges Historiengemälde, sondern verknüpft geschickt ihre Spionagegeschichte mit einem bekannten Shakespeare-Drama.

    Der Zigeunerjunge und Schauspieler Nathan lebt im England von William Shakespeare, Sir Francis Drake und Elisabeth I.. Alle historischen Figuren haben ihren Auftritt, auch der Begründer des Geheimdienstes Sir Francis Walsingham. Er zieht die Fäden und schickt den 13-jährigen Nathan, der im Auftrag seiner Majestät spionieren soll, nach Venedig.

    Die englische Königin ersucht den Dogen durch ihre Agenten Nathan und John Pearce, der sich Cassio nennt, um eine Allianz zwischen dem neutralen Venedig und England gegen Spanien. Aber nicht nur Elisabeth I. erwartet Nathans Unterstützung, auch William Shakespeare:

    Merke dir all deine Abenteuer, Nathan - jedes einzelne Detail. Ich möchte von den Gestalten erfahren, denen du begegnest, von den Teufeleien, den Ränken und den Intrigen. Halte Augen und Ohren offen für mich, und wenn du zurückkehrst, dann suche mich auf, solange dir alles noch frisch im Gedächtnis ist. Wer weiß, vielleicht gewährt dir die Reise Einblick in die Seelen anderer Menschen.

    Der unauffällige, mutige Nathan lernt die unterschiedlichsten Personen kennen: den gebieterischen Francis Drake, den taktisch klugen Dogen von Venedig und den ehrgeizigen Othello. Hier knüpft Lynn Brittney eine Verbindung zwischen wahrem historischen Hintergrund und fiktiven literarischen Figuren, die dann in William Shakespeares Drama "Othello" wiederkehren sollen.

    Der Roman "Natan Fox" ist in erster Linie ein unterhaltsam geschriebenes, spannendes Mantel-und-Degen-Stück. Die britische Autorin nimmt in ihrem Debüt den historisch verbürgten wie dramatischen Figuren so viel von ihrer historischen Ferne, dass sie den Lesern verständlich werden, aber sie hütet sich davor, sie zu modernen Leuten in Verkleidung zu banalisieren. So bleibt eine Distanz gewahrt.

    Im historischen Roman geht es nicht um eine Flucht vor der Wirklichkeit, er öffnet die Welt und erklärt sie, denn bei ihm sind vergangene Zeiten gegenwärtig. Eine leichte Sprachmelodie kann da nicht falsch sein, genauso wie differenziert gezeichnete Protagonisten und ein gut recherchierter geschichtlicher Hintergrund. All dies bietet dem Leser immer noch genug Raum für eigene Reflexionen.

    Und doch genießt das Genre nicht immer die Anerkennung, die es verdient hätte. Ein Erklärungsversuch und Schlusswort von Waldtraut Lewin:

    "Das liegt sicher an vielen Dingen. Das liegt auch daran, das unendlich viele Schmonzetten im historischen Bereich geschrieben werden und zum Teil auch mit Begeisterung verschlungen werden. Ich erinnere mich an frühe Zeiten meines Schreiben, wo ich sogar vehement widersprochen habe, wenn man gesagt hat, das ist ein historischer Roman, was sie da schreiben, und ich hab gesagt, das ist ein Roman und fertig. Ob der in der Gegenwart spielt, in der Zukunft oder in der Vergangenheit, ist ganz egal. Es ist das Dekorum, wie gesagt: die Bühne, die ich aufbaue für meine Figur. Nun hat sich das Genre, sagen wir mal, unheimlich herausgeputzt. Ich finde, es eskaliert unendlich im Augenblick. Ich denke, das ist der Grund, dass man das Genre nicht so ernst nimmt. Da muss man die Spreu vom Weizen sondern und nicht sagen: historischer Roman, weg in die Ablage, das brauche ich gar nicht lesen als Kritiker. Aber das ist sicher schwer."

    Nina Blazon: Das Amulett des Dschingis Khan
    Sauerländer Verlag, 376 Seiten, 14,90 Euro

    Lynn Brittney: Nathan Fox - Im Auftrag ihrer Majestät
    Oetinger Verlag, 304 Seiten, 16,90 Euro

    Waldtraut Lewin: Drei Zeichen sind ein Wort
    cbj, 416 Seiten, 16,95 Euro

    Carol Dines: Die Sopranistin der Königin
    rororo, 416 Seiten, 12,95 Euro

    Jean Claude van Rijckeghem und Pat van Beirs:
    Die Erbin von Flandern

    Gerstenberg Verlag, 272 Seiten, 15,90 Euro