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Zurück in öffentliche Hand?

Überall in Deutschland wollen Kommunen die Wasser- und Gasversorgung sowie Stromnetze wieder selbst kontrollieren. Das gilt auch für Berlin. Dort entscheidet eine Bürgerinitiative über die Offenlegung der Privatisierungsverträge zum Teilverkauf der Wasserbetriebe.

Von Philipp Banse und Michael Kuhlmann | 13.02.2011
    "Wegweisend ist die Umsetzung des Prinzips 'gestalten statt besitzen', mit dem hier aus altem Tafelsilber neues Vermögen entsteht und mit dem sich Berlin für das neue Jahrhundert profiliert."

    Blumige Worte, mit denen Berlins einstiger Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) die Versilberung von Landeseigentum rechtfertigte. Zwölf Jahre ist das her. 1999 hat die Stadt Berlin ihre Wasserbetriebe knapp zur Hälfte - zu 49,9 Prozent - an RWE und den französischen Konzern Vivendi, heute Veolia, verkauft. Der Deal spülte damals mehr als drei Milliarden D-Mark in die Kasse der darbenden Bundeshauptstadt.

    Mittlerweile bereuen die Berliner das einst so lukrative Geschäft. Denn von 2001 bis heute ist das Trinkwasser um 35 Prozent teurer geworden. Wohl nirgendwo sonst in der Republik müssen Bürger soviel fürs Wasser zahlen wie in der Hauptstadt. Nach Angaben des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft kostet ein Kubikmeter Trinkwasser in Deutschland durchschnittlich 1,91 Euro. In Berlin 2,32 Euro. Die Privatisierung gilt als ein Grund für die Preisexplosion.

    Dem Volksentscheid ging im Herbst des vergangenen Jahres bereits ein Volksbegehren voraus, das mit fast 281.000 gültigen Unterschriften endete. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit beugte sich dem öffentlichen Druck und ließ die bis dahin geheimen Verträge zwischen der Stadt und den Unternehmen im Internet veröffentlichen. Was die Berliner dort auf über 700 Seiten lesen können, schockiert: Ihr Trinkwasser ist von Jahr zu Jahr immer teurer geworden, weil RWE und Veolia bei Vertragsabschluss hohe Gewinne garantiert wurden. Klaus Wowereit.

    "Aber leider ist in der Tat durch das Bestreben, einen hohen Kaufpreis zu erzielen, eine Gewinnerwartung nicht nur artikuliert worden, sondern sie ist zementiert worden. Und das war der Preis für den Preis, den man bekommen hat. Das kann man heute falsch finden, das ist aber nicht automatisch ein Vorwurf an diejenigen, die gekauft haben."

    In den lange unter Verschluss gehaltenen Verträgen wurde genau festgelegt, wie hoch das beim Kauf eingesetzte Kapital der privaten Investoren verzinst werden muss. Im vergangenen Jahr etwa mit 7,58 Prozent. Diese Renditen sind verbürgt, was bedeutet: Wenn die Berliner Wasserbetriebe nicht genug Gewinne für die Garantiezinsen der Investoren erwirtschaften, muss der Endkunde bluten. 30 Jahre lang, denn die Verträge laufen mindestens noch bis ins Jahr 2028. Für die Privaten ein lukratives Geschäft: Sie haben übermäßig am Berliner Wasser verdient – in den letzten zehn Jahren rund 1,3 Milliarden Euro. Während an die Stadt – mit 50,1 Prozent eigentlich Mehrheitseigner – nur rund 696 Millionen Euro Gewinn flossen.


    "Es ist jetzt ja bereits in der Presse signalisiert worden, dass man für die Rückkaufsumme für die 49,9 Prozent zwei bis drei Milliarden Euro veranschlagt. Man muss wissen: RWE und Violia haben damals nur 1,8 Milliarden Euro nur bezahlt. Sie haben seitdem schon 1,3 Milliarden Euro an Gewinn aus unseren Taschen heraus gepumpt und jetzt sollen sie noch mal mit zwei bis drei Milliarden Euro abgefunden werden? Das ist ein schlechter Scherz."

    Schimpft Thomas Rudek von der Bürgerinitiative "Berliner Wassertisch", die hinter dem Volksentscheid steht. Die Initiatoren würden die Verträge von damals am liebsten vor Gericht anfechten; ihrer Ansicht nach ist die Teilprivatisierung wegen der geheimen Absprachen unwirksam. Die Wasserbetriebe sollen zurück in die Hände der Stadt, fordert die Bürgerinitiative. Eine Absicht, die die rot-rote Stadtregierung bereits im Jahr 2006 in ihrem Koalitionsvertrag formuliert hat. Doch erst seit ihm ein Volksentscheid droht, sind die Botschaften des Regierenden Bürgermeisters an die privaten Miteigner deutlicher geworden.

    "Ich kann auch verstehen, dass man genervt ist von der Debatte in Berlin. Da gibt es eine ganz einfache Methode, um das zu beenden: Erklären sie sich bereit, sich von ihren Anteilen zu trennen. Berlin wird dann ernsthaft prüfen, ob wir sie erwerben können, liebe Genossinnen und Genossen."

    Berlin ist kein Einzelfall. Überall in Deutschland wollen Städte und Gemeinden Versorgungsbetriebe zurück, die sie einst versilbert hatten. Die Kommunen möchten Wasser- und Gasversorgung sowie Stromnetze wieder selbst kontrollieren. Vom Trend zur "Rekommunalisierung" ist unter Verwaltungsexperten die Rede. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg:

    "Die Bestrebungen zur Rekommunalisierung sind enorm hoch. Das liegt ein bisschen auch an den Ängsten, die die Menschen haben. Sie haben das Gefühl, teilweise das auch richtig: Wenn meine Stadt das macht, dann ist das sicherer, dann schafft das Arbeitsplätze, dann bleibt die Wertschöpfung in der Stadt, dann sind wir nicht den Großen, Klammer auf: den Bösen, ausgeliefert."

    "Die Kommunen haben ein starkes Interesse an Rekommunalisierung, weil sie sich zurzeit jedenfalls deutlich besser am Kapitalmarkt refinanzieren können als das Private tun."

    Ergänzt Hans-Peter Schwintowski, Leiter des Instituts für Energie- und Wettbewerbsrecht an der Berliner Humboldt-Universität.

    "Wir haben einen Zinsabstand von Kommunalkrediten zu Privatkrediten von über 3 Prozent. Und diese drei Prozent sind ein echter Wettbewerbsvorteil und sind ein starker Motor für die Kommunen in diese Rekommunalisierung auch einzusteigen."

    Bei der Rekommunalisierung geht es um Konzessionen. Diese Verträge regeln, wer die Bürger mit Strom, Gas, Wasser oder Wärme versorgt. In den 90er-Jahren wurden viele dieser lukrativen Konzessionen an private Energieversorger verkauft. Das hat damals zwar für hitzige Diskussionen gesorgt. Doch die Privatisierung spülte schnell viel Geld in die klammen Kassen der Kommunen. Der deutsche Städte- und Gemeindebund spricht von Privatisierungserlösen in der Spitze von sieben Milliarden Euro – und das jedes Jahr.

    Für eine Rückabwicklung ist der Zeitpunkt günstig. Denn in der Regel wurden Konzessionen für eine Laufzeit von 20 Jahren an Private vergeben. Viele laufen bald aus. Nach Angaben des Städte- und Gemeindebundes existieren in Deutschland momentan insgesamt 12.000 Konzessionsverträge. Davon enden demnächst rund 3.000 – 3.000 Gelegenheiten also, die Energieversorgung wieder in öffentliche Hand zu überführen.

    Staat vor privat – gut 20 Jahre nach der Wiedervereinigung könnte sich die Grundversorgung in Deutschland radikal verändern: weniger Macht für die vier Energieriesen EON, RWE, Energie Baden-Württemberg und Vattenfall. Aufbau einer dezentralen Energieversorgung in kommunaler Hand.

    "Es hängt auch mit der Finanznot der Kommunen zusammen. Wenn man das Gefühl hat, hier ist noch ein Bereich, wo ich was gestalten kann, da kann ich Arbeitsplätze schaffen, hier kann ich mittelfristig auch noch Geld verdienen, dann ist die Bereitschaft groß, sich auf so etwas einzulassen."

    Denn mit Energie lässt sich viel Geld verdienen. Und so mancher Gemeinderat bereut sicher längst, dass er sich einer lukrativen Einmalzahlung, wenn auch in Millionenhöhe, abspeisen ließ. Beispiel Berlin: Dem dortigen Stadtkämmerer entgingen seit der Teilprivatisierung der Wasserbetriebe rund 1,3 Milliarden Euro.

    Energie ist zudem zum Politikum geworden. Vor 20 Jahren war es den Bürgern wohl eher egal, woher der Strom kommt, wer ihn herstellt und wie. Heutzutage dagegen hat Energie viel mit der Debatte um Klimaschutz zu tun; manche Bürger zahlen freiwillig einen höheren Preis, um Ökostrom geliefert zu bekommen. Mindestens gleichbedeutend aber sind die Kosten - und die Energiepreise steigen. Stadtoberhäupter und Gemeinderäte dürften also größtes Interesse daran haben, dass nicht Dritte ihren Bürgern die Preise diktieren. Für Kommunalpolitiker wird es immer wichtiger - vielleicht wahlentscheidend - sein, möglichst großen Einfluss auf die Energieproduktion zu haben, weiß auch Gerd Landsberg.

    "Die Musik spielt ganze eindeutig in der Energieversorgung, weil das das politisch besetzte Thema ist. Der zentrale Punkt ist: Wer wird die Netze haben, wer wird Energie verteilen und wer wird Energie produzieren?"

    Bergkamen, eine Stadt östlich von Dortmund, gehört zu den Vorreitern. Die Initiative zur Rekommunalisierung ging von Bürgermeister Roland Schäfer aus.

    "Also, Ausgangspunkt, der lag Ende 89. Damals ist uns hier in Bergkamen klar geworden: Der Strom-Konzessionsvertrag wird im Jahr 1994 auslaufen – was tun wir da?"

    Weil Bergkamen nur gut 50.000 Einwohner zählt, tat sich die Stadt mit einigen Nachbargemeinden zusammen. Sie gründeten die Gemeinschaftsstadtwerke, kurz GSW Kamen-Bönen-Bergkamen, und übernahmen die Netze vom privaten Versorger VEW.

    "Uns als Stadt Bergkamen hat es damals 15 Mio. D-Mark gekostet für das Stromnetz, und wir haben später noch mal 8 Mio. DM für das Gasnetz mit dazugegeben."

    Diese umgerechnet 11,5 Millionen Euro hatten sich nach bereits viereinhalb Jahren amortisiert, erzählt der SPD-Bürgermeister stolz. Denn die Stadtwerke machen heute pro Jahr gut 2,5 Millionen Euro Gewinn.

    "Zwei Millionen von diesem Betrag nutzen wir, um die Verluste der Bäder bei uns auszugleichen, eine halbe Million wird ausgezahlt, die kommt direkt in den Haushalt, vermindert also im Moment unser Defizit. Und ansonsten steht es halt für Ausgaben, wie der Rat es beschließt, zur Verfügung."

    Strom, Gas und Wasser – das sind die Bereiche, die für die Städte und Gemeinden heute wieder interessant werden. So der Kommunalrechtler Janbernd Oebbecke, Professor an der Universität Münster.

    "Also, in Betracht kommen die leitungsgebundenen Versorgungen – Strom, Wasser, Gas – in Betracht kommt Abfallentsorgung – und da, wo das gemacht worden ist, auch möglicherweise so Dinge wie Liegenschaftsmanagement."

    Mittlerweile organisiert die Stadt Bergkamen auch Müllabfuhr und Straßenreinigung wieder in Eigenregie. 1,2 Millionen Euro hat man in neue Technik investiert. Im Gegenzug sanken die Müllgebühren – trotz steigender Verbrennungskosten – um über zehn Prozent; die Straßenreinigungsgebühr gar um 25 Prozent. Einfach sei es allerdings nicht gewesen, weiß Bürgermeister Schäfer zu berichten. Denn auch wenn er in seinem Stadtrat auf keinen Widerstand traf – die privaten Versorger leisteten ihn.

    "Die schreiben dann die Ratsmitglieder an, da gibt's Presseartikel, da gibt's Leserbriefe in der Zeitung, da kommt dann mal ein kompletter Betriebsrat in die entscheidende Ratssitzung und besetzt oben die Tribüne mit großen Plakaten 'Ihr gefährdet unsere Arbeitsplätze', da gibt's 'ne große Demonstration hier vor dem Rathaus und Ähnliches – das muss man alles durchhalten."

    Zumal es für die Privatunternehmen um erhebliche Summen ging, die ihnen durch die Rekommunalisierung durch die Lappen gingen.

    "Also, wenn ich den Strom- und Gasbereich nehme, dann kann ich nur grob schätzen. Ich denk mal, fünf Millionen werden's bestimmt gewesen sein."

    Eines der Unternehmen, das in Bergkamen Kunden verlor, war die Gelsenwasser AG. Eigentümer sind mehrere große Ruhrgebietsstädte, die über ihren Tochterbetrieb viele Kommunen in Westfalen mit Wasser beliefern. Der regionale Direktionschef der Gelsenwasser AG, Bernd Hartung, scheint den Verlust Bergkamens als Absatzmarkt, abgehakt zu haben. Bemerkt aber, dass private und kommunale Unternehmen wohl nicht überall die gleichen Chancen hätten.

    "Wenn derjenige, der das Urteil über die Organisationsform fällt, objektiv ist, dann gibt es Waffengleichheit. Dann geht es wirklich um das bessere Konzept. Ich glaube aber, dass viele Verantwortungsträger mittlerweile privatwirtschaftliche Vorbehalte haben, vor allen Dingen ausgelöst durch die Abneigung gegen die großen Energiekonzerne, und da wird sehr schnell auch gerne jedes privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen mit in denselben Sack gesteckt. Was nicht zutrifft."

    Für Bergkamen hat sich die Rekommunalisierung jedenfalls gelohnt, ist sich der Bürgermeister sicher. Nicht aber, ob seine Stadt als Vorbild für andere taugt.

    "Ich scheue mich wirklich, als Missionar durch die Lande zu ziehen und Kommunalisierung zu predigen. Es kann in einer anderen Kommune eben ganz anders aussehen!"

    Die Rohrnetze der Wasserversorgung etwa können unterschiedlich angelegt sein. Den Müll aus verwinkelten Seitenstraßen abzufahren, kann aufwendig sein. Die eine Kommune kann jedes Jahr auf stabile Steuereinnahmen zählen und daraus die notwendigen Investitionskosten stemmen, die andere kann das nicht – und so weiter. Auch der Kommunalrechtler Janbernd Oebbecke warnt: Patentrezepte für Rekommunalisierungen gibt es nicht.

    "Risiken liegen zunächst mal darin, dass man – zumindest bei bestimmten Aufgaben – das technisch beherrschen muss. Aber vor allem für den Übergang brauche ich Know-how. Wenn ich hinterher den Betrieb wieder habe, nicht – aber wenn Sie zum Beispiel bei Strom oder Gas eine Privatisierung vornehmen, dann geht es auch um so schöne Fragen: Wie sind die Kosten des vorhandenen Leitungsnetzes? Wie wird das vergütet? Und da geht's um viel Geld, da muss man doch sehen, dass man nicht zu kurz kommt als Gemeinde."

    Um viel Geld geht es auch in der Bundeshauptstadt. Seit 1999 sind die Berliner Wasserbetriebe teilprivatisiert. Seitdem explodieren für die Endkunden die Preise. Weil er sich im September zur Wiederwahl stellt, hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Rekommunalisierung als Wahlkampfthema entdeckt. Der SPD-Politiker verriet auch, wie er die Wasserbetriebe wieder komplett zu verstaatlichen gedenkt.

    "Wenn Gesellschafter, die jetzt da sind, sagen, sie haben ihr Engagement erfüllt und wollen es vielleicht beenden, dann wir das Land Berlin selbstverständlich auch diese Möglichkeiten prüfen."

    Das Gelächter im Hintergrund hat einen Grund: Neben ihm stand eine Frau, die heftig den Kopf schüttelte, als Wowereit vom Rückkauf der privaten Anteile sprach. Petra Warnecke ist Sprecherin des Investor Veolia, der seine Anteile gar nicht abgeben will. Warum auch? Das börsennotierte Unternehmen mit Sitz in Frankreich, fast 35 Milliarden Euro Umsatz und über 300.000 Mitarbeitern hat sich längst an die hohen Gewinnmargen in der deutschen Hauptstadt gewöhnt. RWE dagegen verschließt sich Gesprächen mit der Stadt nicht.

    Es stellt sich die Frage, ob Berlin überhaupt in der Position ist, Druck auf die beiden Miteigner ausüben. Die Verträge mit den privaten Investoren laufen bis zum Jahr 2028. Warum also sollten sie sich freiwillig aus dem lukrativen Geschäft in Berlin zurückziehen? Und wenn doch, warum sollten sie den Kaufwunsch der Stadt nicht vergolden lassen? Thomas Rudek vom Berliner Wassertisch, jener Initiative, die den Volksentscheid über die Veröffentlichung der Berliner Wasserverträge erzwungen hat, glaubt nicht an eine geräuschlose Lösung. Er befürchtet, ein Rückkauf der Wasserbetriebe würde die Steuerzahler viele Millionen kosten.

    Anderen Kommunen ist es jedoch sehr wohl gelungen, den Preis für den Rückkauf einst privatisierter Versorger erheblich zu drücken – mithilfe des Kartellrechts. Leipzig beispielsweise hatte Ende der 90er einen Teil seiner Stadtwerke an eine RWE-Tochter verscherbelt. Jahre später gelang der Rückkauf – zum Schnäppchenpreis. Den Deal befördert haben dürfte Hans-Peter Schwintowski, Leiter des Instituts für Energie- und Wettbewerbsrecht an der Berliner Humboldt-Universität. Der Juraprofessor hat die Leipziger Privatisierungsverträge geprüft und festgestellt, dass viele Details dem Bundeskartellamt gar nicht bekannt waren. Der Wettbewerbsrechtler schätzt, dass Kommunen bis zu zwei Milliarden Euro sparen könnten - wenn sie kartellrechtlich bedenkliche Verträge aufheben, statt ihre ehemaligen Stadtwerke oder Stromnetze einfach zurückzuerwerben. Eine dieser Fälle sei Berlin: Erstens habe es für die Privatisierung der Berliner Wasserbetriebe keine Ausschreibung gegeben. Zweitens, erklärt Schwintowski, seien die in den Verträgen den privaten Investoren garantierten Gewinne eine Beihilfe; eine Subvention also und diese hätte von der EU-Kommission genehmigt werden müssen.

    "Ich persönlich bin der Meinung, dass die Verträge, wenn einer dieser beiden Fehler vorliegt, nichtig sind. Denn der Europäische Gerichtshof sagt in ständiger Rechtsprechung, wenn Fehler dieser Art passieren, dürfen sie nicht aufrecht erhalten werden – auch nicht für zwei Tage oder drei Monate. Das heißt, man muss auf alle Fälle den rechtmäßigen Zustand wieder herstellen. Und das kann man nach meiner Meinung nur, indem man diese Verträge eben vom ersten Tage an für nicht wirksam, also nichtig, erklärt."

    Sollte der Wettbewerbsrechtler Recht haben, müsste Berlin den damaligen Kaufpreis von rund 1,8 Milliarden Euro zurückzahlen, dürfte davon aber die - dann ja zu Unrecht - an die Investoren ausgezahlten Gewinne abziehen: Immerhin 1,3 Milliarden Euro. Damit nicht genug: Verbraucher könnten dann mit erheblichen Rückzahlungen wegen überhöhter Wasserpreise rechnen.

    Egal wie der Volksentscheid ausgehen wird - der Kampf um das Berliner Wasser ist nur das Auftaktgefecht zu einer umfassenden Rekommunalisierung des hauptstädtischen Versorgungssystems. Der rot-rote Senat möchte nicht nur die Wasserbetriebe zurück. Wirtschaftssenator Harald Wolf von der Linkspartei will auch die heute private Strom- und Gasversorgung wieder komplett unter städtische Kontrolle bringen. Mit Hilfe von dezentralen Blockheizkraftwerken und erneuerbaren Energien soll klimafreundlicher Strom produziert werden. Die Berliner Stadtreinigung und die Wasserbetriebe haben bereits eine "Entwicklungsplattform Berlin Energie" gegründet – Ideenbörse für ein neues Berliner Stadtwerk. Auch der Stromversorger Vattenfall hat Interesse an einer Mitarbeit bekundet. Möglichst nach der Wahl im kommenden September soll der städtische Energieversorger seine Arbeit aufnehmen.

    Wirtschaftsverbände wie die Industrie- und Handelskammer lehnen die Pläne zur Rekommunalisierung in der Bundeshauptstadt jedoch ab. Der Berliner IHK-Präsident Eric Schweitzer führt zwei Argumente an: Es gebe bereits jede Menge ökologische Stromanbieter am Markt. Außerdem sei zweifelhaft, ob ein staatlicher Betrieb im Wettbewerb effizient mitmischen kann. Auch der Wettbewerbsrechtler Schwintowski hält die Idee der Berliner Wasserwerke für ein reines Wahlkampfmanöver. Am hohen Wasserpreis jedenfalls ändert es nichts.

    "Ich würde sagen, es ist ein politisches Ziel mit Wahlkampfhintergrund. Eine wirtschaftliche Notwendigkeit für dieses Stadtwerk sehe ich nicht. "