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Zurück ins Labor

Medizin. - Rund 25 Millionen Opfer hat die Immunschwäche Aids in den vergangenen Jahren gefordert. Doch die Forschung ist keinen Schritt weiter gekommen, und so forderte einer der Großen in der Aids-Forschung auf dem Europäischen Virologenkongress in Nürnberg jetzt eine neue Ausrichtung der Impfstoffsuche.

Von Martin Winkelheide |
    Impfungen – für Ronald Desrosiers von der Harvard Medical School in Boston sind sie die Erfolgsgeschichte der Medizin.

    "Impfstoffe schützen uns zuverlässig vor Masern, Polio, Pocken. Vor einer langen Liste von bedrohlichen Virusinfektionen. Deshalb sind natürlich auch die Erwartungen an eine künftige Schutzimpfung gegen Aids sehr hoch."

    Bei Aids aber haben alle herkömmlichen Konzepte der Impfstoffentwicklung versagt. Desrosiers:

    "HIV is different."

    Das HI-Virus ist anders als andere Viren. Es ist extrem wandlungsfähig, und das körpereigene Abwehrsystem eines Infizierten kann ihm aus eigener Kraft wenig entgegensetzen. Das HI-Virus entzieht sich den Angriffen. Deshalb ist es so schwierig, einen Impfstoff zu entwickeln, der das Immunsystem in die Lage versetzt, vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen. Desrosiers:

    "”It’s a dream.”"

    Eine wirksame Aids Schutzimpfung – sie ist ein Traum. Und sie könnte ein Traum bleiben, fürchtet Ronald Desrosiers:

    "”Die Leute fragen immer: Wann gibt es den Impfstoff? In zehn Jahren ? In 25 Jahren? Wie lange wird es dauern? Ich glaube, man muss den Menschen klar machen: Es ist gut möglich, dass wir niemals einen Impfstoff haben werden. Das klingt hart. Aber es ist die Wahrheit. Heißt das, wir sollten aufgeben? Nein, wir sollten nicht aufgeben. ""
    Ein gutes Dutzend Impfstoff-Kandidaten ist schon in großen und kleinen Feldversuchen an Menschen getestet worden. Alle ohne Erfolg. Desrosiers:

    "”Vor zehn Jahren, als die ersten großen klinischen Studien begannen, hieß es immer: Wir werden eine Menge lernen aus diesen Feldversuchen. Selbst dann, wenn der Impfstoff versagt. Im Rückblick muss ich feststellen: Wir haben nichts gelernt. Außer, dass die Impfstoffe nicht funktionieren. Meiner Meinung nach haben die Versuche am Menschen die Wissenschaft kein bisschen weiter gebracht.""

    40 Aids-Impfstoff-Studien laufen zurzeit – in mehr als 20 Ländern der Welt. Alle diese neuen Versuche am Menschen werden wenig bringen, fürchtet Desrosiers.

    "”It’s a matter of balance.”"

    Es gibt ein Ungleichgewicht in der Aids- Impfstoffforschung, kritisiert der Virusforscher aus Boston. Zu viel Geld werde für Feldversuche ausgegeben und zu wenig für Grundlagenforschung. Also zurück ins Labor? Desrosiers:
    "”Back to the lab!”"

    Auch nach 25 Jahren Aids-Impfstoff-Forschung, so Ronald Desrosiers, gibt es auf grundlegende Fragen immer noch keine Antwort. Wie müsste das Immunsystem trainiert werden, damit HI-Viren sich gar nicht erst im Körper festsetzen können? Sollten die Zellen des Immunsystems vor allem Abwehrmoleküle – Antikörper – bauen können? Und wenn ja: Wie müssen diese aussehen? Oder ist es wichtiger, dass den Immunzellen beigebracht wird, wie HIV-infizierte Zellen aussehen, damit sie diese dann zerstören? Das sind längst nicht alle offenen Fragen. Desrosiers:

    "”Wir wissen nicht, ob es wichtig ist, die Immunabwehr im Darm besonders zu aktiveren. Denn dort vermehrt sich das Virus zu Beginn der Infektion sehr stark. Wir wissen nicht, ob eine Schluckimpfung gegen Aids besser ist als eine Spritze. Und das größte Problem ist nach wie vor, dass das Virus genetisch so variabel ist.""

    Antworten auf diese Fragen wird es nur geben, wenn die Probleme systematisch angegangen werden, davon ist Desrosiers überzeugt. Der erste Schritt könnte darin bestehen, gut wirksame – aber für Menschen zu gefährliche Lebendimpfstoffe – an Tieren zu testen. Was genau lösen die genetisch veränderten, abgeschwächten Viren im Körper von Affen aus? Und lassen sich diese Effekte auch anders erreichen? Die so entwickelten neuen Impfstoffkandidaten sollten dann zunächst gleichzeitig im Tierversuch gegeneinander antreten. Und nur der beste Kandidat – dann am Menschen erprobt werden, fordert Ronald Desrosiers von der Harvard Medical School in Boston. Ob so der große Durchbruch gelingt?

    "”Man sollte niemals nie sagen.""