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Zurück ins Leben

Locked-in-Syndrom steht für eingeschlossen sein im eigenen Körper. Das kann jedem Menschen, beispielsweise nach einem Schlaganfall geschehen: Der Körper ist zwar lebendig, zeigt aber keinerlei Reaktionen. Seit Jahren versuchen Mediziner diesen, wie in einer Taucherglocke lebenden Patienten eine Brücke zur Umgebung zu bauen. Das gelingt zunehmend mit Hilfe von Sensoren und Computern.

Von Wolfgang Noelke |
    "Mein Name ist Angela Jansen."

    "Mein Name ist Oliver Jünke. Ich war seit 2003 als Betriebsleiter angestellt."

    Frage: "Seit wann sind Sie erkrankt?"

    Jünke: "Seit Dezember 04"

    Frage: "Wie hat sich das bemerkbar gemacht?"

    Jünke: "Durch eine Schwäche im Fuß!"

    Jansen: "Mir fiel es beim Tanzen auf! Mein rechter Fuß schien am Boden zu kleben."

    Jünke: "Erste Anzeichen meiner Erkrankung im Dezember 2004: Mit einer Fuß-Hebeschwäche begannen die Symptome. Wegen der ärztlichen Ratlosigkeit habe ich mich durch Eigeninitiative auf die Neurologische Station in der Charité einweisen lassen. Nach einer Woche stand die Diagnose fest: ALS! Erste ausführliche Aufklärung bei Bekanntgabe der Diagnose!
    Was war das? Was mache ich jetzt? Was passiert mit mir?"

    Jansen: "Innerhalb von neun Monaten saß ich im Rollstuhl und nach drei Jahren bekam ich die Trachialkanüle. Ich kommuniziere mit einem Eyegaze. Das ist ein lasergesteuertes Kamerasystem, das die Bewegung der Pupille verfolgt."

    Angela Jansen blickt auf einen, am Rollstuhl montierten Bildschirm, auf dem eine Tastatur abgebildet ist. Blickt sie einen Buchstaben an, kann sie mit ihren Augen Sätze schreiben, in einer ähnlichen Weise, wie man mit dem Daumen SMS auf dem Handy tippt. Augen zwinkern oder so ein Schreibsystem mit Sprachwiedergabe sind für Locked-in-Patienten die einzigen Kommunikationswege zur Außenwelt und relativ leicht erlernbar.

    An der Berliner Charité und der TU-Berlin entwickeln Wissenschaftler, wie der Neurologe, Professor Gabriel Curio bereits Systeme, die per Gedankenkraft gesteuert werden. Sensoren auf oder unter der Kopfhaut reagieren auf bestimmte EEG-Signale des Hins :

    "Es handelt sich um elektrische Schwingungen, im Bereich so von zehn bis zwanzig Schwingungen pro Sekunde, die von den motorischen Hirnarealen generiert werden, die gemessen werden und durch spezielle Rechenvorschriften dann aus dem Hirnrauschen rausgefiltert werden können. Und das ist etwas, was nicht der Patient lernen muss, sondern dieser Rechenalgorithmus, wie man das nennt dann in kurzer Zeit lernen kann, wenn man ihm zur Verfügung stellt, eine kleine Gruppe von sauber identifizierten Versuchen. Das heißt: ungefähr fünfzig mal, bis hundert mal versucht der Patient, die rechte oder die linke Hand oder die Schulter zu bewegen und der Computer weiß, dass das das EEG ist, was mit einer solchen motorischen Funktion verbunden ist."

    Patienten dieses Forschungsprojekts gelingt es bereits, mit immer wieder identischen Gedanken, Computer gezielt zu steuern ...

    "In dem der Patient dann zum Beispiel mit der Willensbildung, die rechte Hand zu bewegen, einen Cursor auf dem Bildschirm nach links schiebt oder einen Rollstuhl nach links steuert. Auf diese Weise werden dann die natürlichen Bewegungswünsche der Patienten umgesetzt in tatsächlich technische Effekte."

    Dazu bedarf es aber eines festen Willens. Das Empfinden von
    Locked-in-Patienten vergleicht Professor Niels Birbaumer von der Uni Tübingen aber mit Erlebnissen gesunder Menschen in der REM-Phase: Während eines Albtraums sei jegliches Wünschen zwecklos. Locked-in-Patienten müssten und könnten das Wünschen aber wieder lernen, wenn ...

    "… ihre Wünsche, ihre Willenshandlungen in Erfüllung gehen, dass sie also Konsequenzen aufzeigen. Und wenn das passiert, dann geht auch dieses Traumartige und das Gefühl der Unbeeinflussbarkeit der Welt dann wieder verloren. Aber dazu muss man wieder erst die Erfahrung einer Konsequenz für die Kommunikation machen. Und wenn man vollkommen gelähmt ist, macht man ja die Erfahrung nicht mehr, dass seine Wünsche dann in Erfüllung gehen, wenn man es möchte."

    Denn das menschliche Hirn passe sich schnell an und lösche unerfüllbare Wünsche. Mit einfachen Methoden ließen sich diese aber jederzeit wieder wecken - eine Voraussetzung für den späteren positiven Effekt, den die Patienten erleben, wenn sie mit ihrer Umwelt wieder kommunizieren.