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Zurück nach Russland

Vor 16 Jahren brach die Sowjetunion auseinander. Moskau spricht von mehr als sechs Millionen ehemaligen russischen Sowjetbürgern, die außerhalb des Landes leben. Präsident Wladimir Putin möchte ihnen eine neue Heimat geben und ruft auch via Internet zur Rückkehr in das erstarkende Russland auf. Birgit Johannsmeier berichtet aus Riga.

    Leonid Kuprijanik zerrt an einem Umzugskarton, während seine Frau Elena Drosdowa kleine Kisten und vollgestopfte Tüten übereinander stapelt. Für einen kurzen Moment hält der kleine drahtige Mann inne und schiebt seine Schirmmütze in den Nacken. Schon drückt ihm Elena einen Beutel mit seinen Formel-1-Miniaturen in die Hand, schlägt den Autoatlas auf und lacht.

    "Hier werden wir hinziehen. Hier ist Riga, dort ist Moskau. Und hier, rund 400 Kilometer entfernt beginnt der Lipitskajer Bezirk. Und Lipitsk liegt genau hier."

    Elena und ihr Mann Leonid sind Russen, Ende 40 und seit ihrer Kindheit in der lettischen Hauptstadt Riga zu Haus. Elenas Eltern zogen Anfang der 60er Jahre von der Krim an die Ostsee; Leonids Vater suchte damals als Ingenieur in der ehemaligen Sowjetrepublik Lettland sein Glück. Für beide bedeutet Lettland ein Stück Heimat: Wenn da nicht der Austritt aus der Sowjetunion vor 16 Jahren gewesen wäre. Wie Elena und Leonid wurden die meisten Russen plötzlich staatenlos und müssen heute harte Prüfungen bestehen, um die Staatsbürgerschaft zu erwerben. Leonid hat zwar einen guten Job in Riga, trotzdem hält ihn nichts.

    "Ich bin in Lettland geboren und habe nicht eingesehen, weshalb ich mich plötzlich um eine Staatsbürgerschaft bemühen musste. Da bin ich ganz prinzipiell. Die Letten haben sie mir nicht gegeben und ich werde sie nicht darum bitten. Deshalb will ich jetzt zurück nach Russland gehen."

    Ohne Staatsbürgerschaft kein Wahlrecht, kein Recht auf Grundbesitz oder einen Job im Öffentlichen Dienst. Aus Angst vor dem sozialen Abstieg haben mehr als zehntausend Russen direkt nach der Unabhängigkeit Lettland den Rücken gekehrt. Auf eigene Faust und ohne fremde Hilfe. Seit diesem Jahr allerdings ist sogar Moskau ernsthaft an Heimkehrern aus den ehemaligen Sowjetrepubliken interessiert.

    Im Baltischen Institut für Sozialforschung beobachtet Brigita Zepa schon seit der Unabhängigkeit, wie schwer sich Russland mit dem Verlust der baltischen Länder tut. Die Soziologin ist überzeugt, dass der russische Präsident Wladimir Putin mit seiner neuen Rückkehr-Politik vor allem Stimmung gegen Lettland machen will.

    "Wie üblich wird Lettland an den Pranger gestellt, weil die Russen hier nicht automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten. Dadurch soll gleichzeitig das Selbstbewusstsein der Russen in Russland gestärkt werden nach dem Motto: 'Wir sind ein tolles Land, deshalb wollen unsere Leute zu uns zurück.' Und Moskau will sein Image aufpolieren und beweisen, dass es sich wirklich um seine Leute im Ausland sorgt. Ob dann wirklich jemand kommt, ist nicht mehr so wichtig."

    In der Russischen Botschaft in Riga klärt Ludmilla Antonowna über eine Rückkehr nach Russland auf. Sie bietet hohe Prämien, Wohnungen, Arbeitsplätze und die Russische Staatsbürgerschaft an.

    "Leider ist die Begeisterung in Lettland nicht besonders groß. Bei meinen Kollegen in Mittelasien sieht es viel besser aus. Dort ist das Lebensniveau niedriger als in Russland, während wir hier in Riga fast europäischen Standard haben. 26 Russen sind in diesem Jahr ausgesiedelt, meist nach Kaliningrad."

    Auch Ivans Davidko möchte nach Kaliningrad, ins ehemalige Königsberg. Der 28-Jährige ist Lettischer Staatsbürger, hochgewachsen, teuer gekleidet und hat einen gutbezahlten Job bei einer Spedition. Trotzdem träumt er von einer Karriere in Russland und wartet auf seinen russischen Pass.

    "Ich bin Russe, all meine Verwandten leben in Russland, in Sibirien. Mich dort selbstständig zu machen, traue ich mir allerdings nicht zu. Kaliningrad hingegen hat eine Freihandelszone. Beste Vorraussetzungen für Geschäfte innerhalb der Europäischen Union. Und Kaliningrad liegt auch an der Ostsee, da lebe ich nicht so weit von meinen Freunden in Riga entfernt."

    Der Weg von Riga ins russische Lipitsk sei zwar etwas weiter, meinen Elena Drosdowa und Leonid Kuprijanik, trotzdem schrecke sie die Entfernung zu Kindern und Enkeln in Lettland nicht. Immerhin gebe es internet, meint Elena, darüber könnten sie sogar kostenlos telefonieren. Sie sei froh, dass sie endlich ihr kleines schmuddeliges Appartment in Riga verlassen könne, freue sich auf das Abenteuer Russland und hoffe, dort ihre Träume verwirklichen zu können.

    "In Lipitsk ist alles billiger und wir können uns endlich leisten, was hier unmöglich ist: Unser eigenes Haus mit Garten. Wir haben schon Grundstückspreise verglichen. Vielleicht können wir später sogar unsere Kinder locken, ihre Zukunft in Russland aufzubauen."