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Zurück nach vom. Mein Leben mit Prornetheus

Dieses Buch kommt, auch wenn es Mitte der neunziger Jahre geschrieben wurde, aus dem Entlegenen. Das fängt bei der Sprache an und betrifft genauso die Mitteilung, von der man denken könnte, sie wird einem nichts Neues sagen. Es handelt sich um die sehr akzentuierte und pointierte Autobiographie einer deutschen Jüdin. Ilse Wunsch, Jahrgang 1911, streift ihre bildungsbürgerliche Kindheit und Jugend in Berlin und verweilt kurz bei ihrer ersten Ehe mit einem Musiker. An dessen Seite kommt sie, selbst Pianistin, 1934 nach Tokio und von dort aus über viele Umwege in die USA. 1942 lernt sie in Chicago den Schriftsteller Otto Mainzer kennen, und dieses Jahr nennt sie das ihrer Geburt. Geburt meint bei ihr in aller Emphase die Entfaltung zu einer Frau, die in ihrer Sexualität und ihrer Liebe glücklich wird. "Zurück nach vom. Mein Leben mit Prometheus" ist die leidenschaftsvolle Geschichte eines Paares, das im Exil unter schwierigen Bedingungen die Liebe zueinander wachhält und feiert. Schwierige Bedingungen besonders für ihn, Otto Mainzer: Ein jüdischer Dichter und Sozialrevolutionär, der die sexuelle Korrumption der Gesellschaft angreift und freie Liebe fordert, der 1935 nach Frankreich flieht, 2 1/2 Jahre dort interniert wird und 1941 ins puritanische Amerika kommt, einer, der nach 45 um Wiedergutmachung kämpft und der erst nach jahrzehntelangem Hin und Her erlebt, daß eins seiner Hauptwerke, "Prometheus", veröffentlicht wird. Bei Otto Mainzer bleibt ein tiefer Riß in der Lebenslinie, bis er 1994 stirbt. Die Traumen des Exilierten, medizinisch "Entwurzelungsdepression" genannt, steckt eben nicht jeder weg; nicht jeder krempelt die Ärmel auf und wird einfach Amerikaner. Das - gelinde gesagt - Erstaunliche ist, daß die Liebesbeziehung und Ilse Wunschs eigenes Lebensglück dem Buch zufolge anscheinend weitgehend unverletzt bleiben. Ilse Wunsch hat ihren eigenen Bereich, die Musik, sie arbeitet als Organistin in diversen Gemeinden und lehrt zuletzt an der NYC-University. Auch als ihr Geliebter, den sie erst spät und aus formalen Gründen heiratet, hinfällig wird, sich meilenweit entfernt von dem, der er einmal war, bleibt ihr Tonfall ohne Groll; sie rafft sich und ihn auf, führt ihn in den Central Park, Zitat, "dann sitzen wir im Schatten und erfreuen uns der hohen Baumktonen." Ein entlegener Ton, altmodisch, manchmal steif. In diesem Buch grüßen Kuhherden in der freien Natur, man fährt ins bezaubernde Marienbad, die Mutter nährt die kleinen Seelen der Kinder, Otto wird als Ilses Hort und Schild bezeichnet - diese Sprache ist, bei einem weltgereisten, musisch begabten, freisinnigen Menschen, einfach stehengeblieben. Mitte der Neunziger Jahre schreibt die Autorin in Formulierungen, die wohl eher in die Zeit der Weimarer Republik gehören. Aber hatte Ilse Wunsch denn Gründe, ihr Deutsch zu aktualisieren?

Sabie Peters |
    Dieses Buch ist nicht allein die Liebesgeschichte von zwei mutigen Freigeistern. Es enthält zahlreiche Briefe der Mutter, die selbst bis zu ihrem Abtransport nach Auschwitz in Berlin lebte. Die Tochter versuchte verzweifelt und schließlich vergeblich, der Mutter ein rettendes Visum zu organisieren. Die Briefdokumente aus Berlin zeigen einmal mehr die undurchschaute, wohl undurchschaubare Situation der deutschen Juden. Auch hier wieder verstört die Sprache, obwohl, oder gerade weil sie so typisch konventionell ist. Mag sein, hier artikuliert sich Angst vor Zensur. Es kann auch sein, daß die Sprache die Mutter von ihren eigenen Gefühlen abschirrmen sollte; vielleicht sollen die abstrakten Fortnulierungen einen Abstand zur Drohung des Faschismus herstellen.

    Berlin beispielsweise, Zitat, "Man soll ... sich mit Tatsachen abzufinden lernen. Die heutigen Tatsachen sind allerdings noch nie dagewesen, und man hat kein Vorbild und keine Erfahrung auf diesem erschreckend ernsten Gebiete." Ilse Wunschs Buch zeigt mit solchen Dokumenten, daß das Ziel der Nazis, die Juden zu vernichten, deren Vorstellungskraft überstieg. Für den Völkermord gab es nicht nur bei den Tätern keine konkrete Sprache. Auch die Opfer konnten für das, was sich abzeichnete, keine genauen Worte finden. Das war nur nennbar als"erschreckend ernstes Gebiet". In gelegentlichen Exkursen kommt die Autorin auf das Lebensgefühl der Juden zurück, auf ihre Biographien. Viele Familien kamen aus dem Osten, lebten aber schon seit Generationen in Deutschland. Sie hatten im ersten Weltkrieg für "die Heimat" gekämpft, und in Friedenszeiten hatten sie wesentliche Beiträge in Kultur, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft geleistet. Kurz, man konnte sich als Teil einer mehr oder weniger heterogenen Bevölkerung in einer industrialisierten, kultivierten, aufgeklärten Republik fühlen. Und der sollte man den Rücken drehen und Hals über Kopf ins Ausland flüchten, vielleicht gar nach Palästina, von dem sagt Wunsch, doch eher die Juden aus den osteuropäischen Ländern träumten?

    In der Fassungslosigkeit darüber, daß so wenige aus Deutschland flohen, als das noch möglich war - nicht lange - vergißt man auch oft, daß es eben nicht nur junge tatkräftige Leute waren, die flüchten und Sprache und Kultur wechseln mußten. Es waren natürlich auch die Älteren und Alten. 1939 bekommt Ilse Wunsch in die USA eine Karte ohne Absender geschickt, sie erkennt die Handschrift eines alten Onkels aus Berlin. Die Karte war als Kettenbrief gedacht und ist mit einem zweizeiligen Gebet beschrieben; ein Stoßseufzer, der Gott um Schutz und Segen anfleht. Dem alten Mann ist die Hoffhung auf Hilfe von Menschen, von seinen Zeitgenossen, ganz abhanden gekommen. Und Ilse Wunsch - was kann sie als mittellose Emigrantin außer dauernden Behördengängen machen in den USA -, Ilse fährt fort, den Alten in Briefen an die Mutter stets "lieb zu grüßen".

    Autobiographien können das Rätsel des eigenen Lebens nicht lösen; sie können es im besten Fall nachbuchstabieren. Ilse Wunschs Leben muß, wenn man sich an die blanken Fakten hält, aufregend und kompliziert gewesen sein. Als Leser räselt man dann aber vor allen Dingen über die enthobene oder entlegene Schlichtheit, mit der dieses Leben beschrieben wird. Gegen Ende heißt es zusammenfassend, Zitat, "So muß ich mich halt damit begnügen, meinem Prometheus beigestanden und einer Anzahl von Menschenkindern ihre Ohren fur die Göttlichkeit der Musik geöffnet zu haben." Man möchte diese Schlichtheit nicht mit Naivität ineins setzen. Eher ist man entwaffnet von einem Charme, den es heute so nicht mehr zu hören gibt. Eine Liebenswürdigkeit, die durch das ganze Leben geht und die das eigene Lied unbeirrbar weiter singt, bei gelegentlich fest geschlossenen Ohren für das, was sich"draußen" abspielt.