Am Anfang überwiegt die Freude. John Neumeier, der sonst keine Gelegenheit auslässt, sein Werk günstig in Szene zu setzen, tritt beiseite und überlässt seinem ehemaligen Lehrer John Cranko das Feld. Dass diese große Geste als Eröffnung der 40. Spielzeit für das Hamburg-Ballett funktioniert, zeigt sich bereits in den ersten Minuten dieses Onegins in dem Nebenpaar Lenski-Olga: Leslie Heylmann verleiht Schwester Olga einen beinahe englischen Charme, ungekünstelt, jugendlich frisch und blumig-weich in den Armen. Thiago Bordin unterlaufen einige kleine Fehler, aber das tut nichts zur Sache, der Ausdruck steht: Mitreißend folgt er der musikalischen Linie, mit gekonntem ballon kostet er Sprünge und Drehungen aus. Und man versteht einmal mehr, wo Neumeier das alles herhat: die in den Figuren angelegte Tiefe – durch Rückblenden, Erinnerungen und Tagträume. Die Schichtungen, die dadurch entstehen – wenn etwa zwischen den Akten die Figuren vorbeiziehen, auch die Toten, wie später der erschossene Lenski. Cranko und Neumeier – sie beide sind ausgezeichnete dramaturgische Handwerker, die erzählen können, und deren Gruppentänze stets der Handlung dienen.
All das lässt sich vortrefflich bestätigen bei dieser Premiere, die zwei ehemalige Stuttgarter mit einstudiert haben. Und einiges erscheint an diesem ersten Abend erfrischend: Silvia Azzoni gibt das lesende Mädchen Tatjana noch eine Spur ernster als gewohnt, und Alexandre Riabko gibt den Onegin nicht mehr als selbstgefälligen Dandy, sondern eher eine Spur weicher, als beziehungsgestörten Visionär. Er geht dabei so tief ins plié, tanzt so lautlos anschmiegsam, hebt - in die Ferne schauend - seinen Handrücken so schwärmerisch zur Stirn, dass noch klarer als in früheren Fassungen verständlich wird, warum die ernste Tatjana in diesem Typ eine Sinnesverwandtschaft vermutet. Das funktioniert als Neuauflage zunächst prächtig für unsere Ära der endkapitalistischen Kreativwirtschaft.
Was nicht funktioniert an dieser Neueinstudierung, zeigt sich dann in ihren Liebesszenen. Das liegt zum einen (noch) an der technischen Unsicherheit des Paares Riabko-Azzoni, die zwar in ihren Soli zeigen, was sie können – aber eben nicht: gemeinsam. Das liegt zum anderen aber auch am Orchester. Der musikalische Leiter des Stuttgarter Balletts, James Tuggle, treibt mit den Hamburger Philharmonikern den von Stolze bearbeiteten Tschaikowsky derart vor sich her, dass der alles verbindende Atem fehlt. Bereits in der Spiegelszene des ersten Aktes jagt die Musik Tatjana vom Bett an den Schreibtisch, und wenn aus dem Spiegel der ersehnte Geliebte heraustritt, dann ergeht sich ein Pas de deux der Technik, Hebungen und Griffe, statt ein Liebes-Pas de deux der spiralierenden Ekstase.
Noch auffälliger wird das dann im letzten Bild: Tatjana ist längst zufrieden verheiratet mit Fürst Gremin, da taucht nach Jahren der unglückliche Onegin wieder auf. Warum die zunächst widerspenstige Tatjana sich dann doch plötzlich dreht in seiner Hand und mit ihm zu tanzen beginnt – das wird an diesem Abend nicht deutlich. Denn es fehlt: die Pause. Jener Moment des Zögerns beider Figuren, bevor sie in ein gewandeltes Gefühl eintreten können. Was man sehen muss in dieser Szene sind die sich in den Raum einschreibenden Spiralen, die er erzeugt, indem er sie trägt, in waghalsigen Hebungen in neue Posen wirft, sie dreht und schleift, wobei sie um 90 Grad nach vorne kippt, er aber den Winkel sofort wieder öffnet – dieses Spiel der großen Öffnungen und plötzlichen Wendungen, dieses Spiel muss ab und an atmen können. Und das kann es hier nicht. Und so will das Gefühl der Zerrissenheit dieser Figuren nicht so richtig aufkommen, eher ein Gefühl der Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, als noch François Klaus und Lynn Charles dieses Liebesduett getanzt haben, oder Ivan Liska und Colleen Scott.
Eines aber bleibt: Die Freude darüber, einen sorgfältig einstudierten Onegin von Cranko jetzt auch wieder im Hamburger Repertoire zu haben – denn hier hat es geschichtlich einen Platz.
All das lässt sich vortrefflich bestätigen bei dieser Premiere, die zwei ehemalige Stuttgarter mit einstudiert haben. Und einiges erscheint an diesem ersten Abend erfrischend: Silvia Azzoni gibt das lesende Mädchen Tatjana noch eine Spur ernster als gewohnt, und Alexandre Riabko gibt den Onegin nicht mehr als selbstgefälligen Dandy, sondern eher eine Spur weicher, als beziehungsgestörten Visionär. Er geht dabei so tief ins plié, tanzt so lautlos anschmiegsam, hebt - in die Ferne schauend - seinen Handrücken so schwärmerisch zur Stirn, dass noch klarer als in früheren Fassungen verständlich wird, warum die ernste Tatjana in diesem Typ eine Sinnesverwandtschaft vermutet. Das funktioniert als Neuauflage zunächst prächtig für unsere Ära der endkapitalistischen Kreativwirtschaft.
Was nicht funktioniert an dieser Neueinstudierung, zeigt sich dann in ihren Liebesszenen. Das liegt zum einen (noch) an der technischen Unsicherheit des Paares Riabko-Azzoni, die zwar in ihren Soli zeigen, was sie können – aber eben nicht: gemeinsam. Das liegt zum anderen aber auch am Orchester. Der musikalische Leiter des Stuttgarter Balletts, James Tuggle, treibt mit den Hamburger Philharmonikern den von Stolze bearbeiteten Tschaikowsky derart vor sich her, dass der alles verbindende Atem fehlt. Bereits in der Spiegelszene des ersten Aktes jagt die Musik Tatjana vom Bett an den Schreibtisch, und wenn aus dem Spiegel der ersehnte Geliebte heraustritt, dann ergeht sich ein Pas de deux der Technik, Hebungen und Griffe, statt ein Liebes-Pas de deux der spiralierenden Ekstase.
Noch auffälliger wird das dann im letzten Bild: Tatjana ist längst zufrieden verheiratet mit Fürst Gremin, da taucht nach Jahren der unglückliche Onegin wieder auf. Warum die zunächst widerspenstige Tatjana sich dann doch plötzlich dreht in seiner Hand und mit ihm zu tanzen beginnt – das wird an diesem Abend nicht deutlich. Denn es fehlt: die Pause. Jener Moment des Zögerns beider Figuren, bevor sie in ein gewandeltes Gefühl eintreten können. Was man sehen muss in dieser Szene sind die sich in den Raum einschreibenden Spiralen, die er erzeugt, indem er sie trägt, in waghalsigen Hebungen in neue Posen wirft, sie dreht und schleift, wobei sie um 90 Grad nach vorne kippt, er aber den Winkel sofort wieder öffnet – dieses Spiel der großen Öffnungen und plötzlichen Wendungen, dieses Spiel muss ab und an atmen können. Und das kann es hier nicht. Und so will das Gefühl der Zerrissenheit dieser Figuren nicht so richtig aufkommen, eher ein Gefühl der Sehnsucht nach vergangenen Zeiten, als noch François Klaus und Lynn Charles dieses Liebesduett getanzt haben, oder Ivan Liska und Colleen Scott.
Eines aber bleibt: Die Freude darüber, einen sorgfältig einstudierten Onegin von Cranko jetzt auch wieder im Hamburger Repertoire zu haben – denn hier hat es geschichtlich einen Platz.