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Zurück zu den Wurzeln

Auf den Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen waren in diesem Jahr nicht nur viele neue kurze Film zu sehen, sondern auch eine umfangreiche Schau von Werken aus der Zeit von 1898 bis 1918.

Rüdiger Suchsland im Gespräch mit Beatrix Novy | 04.05.2010
    Beatrix Novy: Seien wir ehrlich: Lesen vereinzelt, Kino vereint. Vor der Leinwand finden und fanden die Gemeinschaftserlebnisse statt, die das Kino selbst in zahllosen Filmen nostalgisch verewigt hat - das vollzählig versammelte Dorf, wie es staunend Bilder verfolgt, von denen jeder weiß: Woanders sitzen sie jetzt auch und sehen dieselben Bilder! Was für eine unerhörte Vorstellung das war. Und ganz früher, in den ersten Jahren, waren zehn Minuten Film schon viel. Ja, alle Filme waren erst mal Kurzfilme. Heute ist es anders, heute werden kurze Filme eigens gedreht, und je besser sie sind, desto größer ihre Chancen, zu den Kurzfilmtagen Oberhausen geladen zu werden. Dort wurde gerade, wie jedes Jahr, ausführlich präsentiert, wo das Genre derzeit steht.

    Jetzt nach Oberhausen zu den Internationalen Kurzfilmtagen, die 56. sind es schon, eine ehrwürdige, aber nicht ergraute Veranstaltung, auch wenn sie sich dieses Jahr sozusagen Uropas Kino zugewandt hat: die bislang umfangreichste Schau von Filmen - das ist eine Reihe bei den diesjährigen Kurzfilmtagen gewesen -, Filme aus der Zeit von 1898 bis 1918. Rüdiger Suchsland - das klingt faszinierend.

    Rüdiger Suchsland: Ja, das ist schon faszinierend. Auf der einen Seite ist das echt so, dass man da dann einfach die Welt von gestern sieht, wie Stefan Zweig das genannt hat, das heißt, man sieht, wie es aussah auf den Straßen, man sieht, wie die Leute noch nicht wissen, wie sie sich einer Kamera gegenüber verhalten sollen. Zudem war das so, dass ganz am Anfang natürlich der Film erst mal vor allem eine Dokumentationsfunktion hatte, das heißt, die französischen Pathé-Studios, die haben ganz schnell so ein Korrespondentennetz aufgebaut und hatten dann Korrespondenten sogar in Japan, wo der russisch-japanische Krieg von 1905 aufgenommen wurde. Und das alles, das waren dann erst mal auch so einfach Sensationsbilder, und gleichzeitig ging es natürlich dann auch ziemlich stark um so eine Jahrmarktsattraktion. Es gab ja keine richtigen Kinohäuser, sondern es waren alles so Zelte oder provisorische Hütten, und in diesen Hütten wurden dann Sachen aufgeführt, die erst mal so besonders spektakulär waren, das heißt, Akrobaten, Artisten, auch ganz viel Humor, auch Sachen, über die man teilweise zwar heute noch lachen kann, aber dann teilweise auch nicht. Es ist auch ein bisschen rassistisch manchmal, wie dann Schwarze gezeigt werden im Kino.

    Novy: Heute ist das mit den Genres ja etwas klarer, auf der anderen Seite kann es einen schon überraschen, dass in Oberhausen Spielfilme eine große Rolle spielen. Da denkt man, na ja, Spielfilm und kurzer Film, passt das überhaupt zusammen?

    Suchsland: Ja, das passt schon zusammen, also, Sie sagen das auch ganz richtig, "kurzer Film", weil die meisten der Regisseure, die mögen den Ausdruck Kurzfilm gar nicht so gern. Natürlich gibt es dann immer in Oberhausen auch die klassischen Studentenfilme, aber es gibt eine ganze Menge Regisseure, die im Kurzfilm auch eigentlich die Form gefunden haben, die ihnen am gemäßesten ist und die dann auch Sachen erzählen, die ganz dieser Form angemessen sind.

    Novy: Zum Beispiel?

    Suchsland: Ja, zum Beispiel gibt es natürlich so eine eigene Form in diesem Genre, das heißt, es gibt die sogenannte Found footage, das sind gefundene Bilder, da gibt es so zwei Varianten, das eine sind wirklich gefundene Sachen, also Filmschnipsel, willkürliche, manchmal aus dem Müll geholt, die dann da zusammengesetzt werden und man entwickelt dann sonderbare Geschichten daraus. Das würde nie auf 90 Minuten gehen. Das andere ist zum Beispiel etwas, für das zwei Filmemacher sehr bekannt geworden sind, zwei Deutsche, Matthias Müller und Christoph Girardet, die immer zusammenarbeiten und die aus Klassikern - zum Beispiel Hitchcock gibt es eine ganze Serie, die im Museum of Modern Art lief - eigene Geschichten zusammensetzen und auch so Reflexionen über das Kino. Der neue Film von denen jetzt, der heißt "Maybe Siam", und der erzählt eigentlich etwas über Blindheit und über das Sehen des Blinden im Kino, denn wir sehen die Blinden ja, wenn sie blind sind.

    Novy: Wie erzählt er das?

    Suchsland: Indem er Bilder aus Hollywoodfilmen zusammensetzt zu so Serien, also es ist eine Art von filmischem Strukturalismus, würde ich das nennen, also, man sieht zum Beispiel: So Stereotypen und Klischees werden dann rausgearbeitet, der Stock, der dann gegen irgend so eine Wand immer wieder schlägt, oder Blinde vor dem Spiegel, die gar nicht merken, dass sie vor dem Spiegel stehen. Das haben wir alles schon 1000 Mal gesehen und merken das dann auch in diesem Film.

    Novy: Wie mehrheitsfähig sind solche Filme?

    Suchsland: Die sind zum Beispiel sehr mehrheitsfähig, also, ich glaube, dass ... Natürlich haben die ihr Publikum und man kann insgesamt sagen, dass Kurzfilme, wenn es nicht diese Filmhochschüler-Sachen sind, eigentlich ein bisschen intellektueller sind, verspielter sind, experimenteller auch, da kann man was ausprobieren. Aber gleichzeitig sind es natürlich Sachen, die an den großen Museen laufen und die auch zum Teil Auftragsarbeiten von Firmen ... Die haben zum Beispiel erzählt, der Christoph Girardet, dass die jetzt eine Auftragsarbeit gemacht haben über Eisenbahnen im Kino für so eine Amsterdamer Schnellbahn, die da gebaut wird. Die sind schon mehrheitsfähig. Es ist nur so, dass die Toleranz natürlich im Museum viel größer ist vom normalen Betrachter als im Kino. Das ist vielleicht so ein bisschen der Punkt. Aber dafür haben wir ja Filmfestivals.

    Novy: Und einen populären Zweig gibt es ja auch in Oberhausen, nämlich Musikvideos, ein eigener Zweig eben.

    Suchsland: Ja, und auch beim Musikvideo - das ist aber auch ein gutes Beispiel -, da erlauben die Zuschauer plötzlich Dinge, die sie in einem Spielfilm nie erlauben würden, dass es zum Beispiel keine Dialoge gibt. Musikvideos - es sind eigene Wettbewerbe sowohl deutscher wie auch internationaler. Da gab es zum Beispiel von einem deutschen Filmregisseur ein tolles Video, also, Klaus Lemke, so ein Veteran eigentlich des neuen deutschen Kinos, der hat einen Film gemacht, den ich ganz toll fand, der Film heißt "Andere Leute", wie so ein Song, den er da eben auf vier Minuten kondensiert. Und es ist eine Kompilation von Porträtbildern aus seinen eigenen Filmen, das heißt, wir sehen eigentlich so Stars, zum Teil auch ganz vergessene Gesichter aus den 70er-Jahren, die in einer Form, die dann Sinn ergibt und Rhythmus hat, aneinandergeschnitten sind. Und man träumt sich eigentlich zurück in so eine Zeit, man bekommt auch die verschwundenen Gesichter des deutschen Kinos, die nicht gehaltenen Versprechen des deutschen Kinos zu sehen. Und das war eine ganz wunderschöne Erfahrung.