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Zurück zu Zucht und Ordnung

Vor dem Hintergrund der jüngsten Jugendunruhen in Großbritannien hält der britische Premierminister David Cameron eine Reform des Erziehungswesens für nötig. Disziplin und Strenge sollen wieder den Lehrplan dominieren. Die britische Lehrergewerkschaft ist empört.

Von Jochen Spengler |
    Geht es nach dem konservativen britischen Premierminister, dann ist die Erziehungsschlacht ein für alle Mal geschlagen.

    "Standards oder Strukturen? Lernen durch Pauken oder Spiel? Elitetum oder alle gewinnen lassen? Offen gesagt, ich glaube diese Debatten sind vorbei – denn es ist klar, was funktioniert."

    Und es ist klar, dass er es weiß. Disziplin, Strenge, Schulfreiheit, hohe Erwartungen. Man wolle ein Erziehungssystem schaffen, sagt David Cameron, das auf wirklicher Vorzüglichkeit gründe und auf einer völligen Unduldsamkeit gegenüber Misserfolg.

    Den Lehrergewerkschaften graust es angesichts solcher Worte. Sie befürchten eine Rückkehr in viktorianische Zeiten, als die Zöglinge einen engen und rigiden Stundenplan absolvieren mussten und Kinder mit Problemen eben zurückblieben. Dazu passe, dass die Hilfen für benachteiligte Schüler und staatliche Erziehung generell demontiert werden.

    Doch im Gegenzug bringt die Regierungskoalition in diesem Monat ihr bildungspolitisches Hauptprojekt auf den Weg: Freie Schulen, staatlich finanziert, aber privat organisiert:

    "Natürlich werden freie Schulen Geld von existierenden staatlichen Stadtteilschulen abzweigen – ebenso Schüler. Und das wird das System destabilisieren", kritisiert die Gewerkschafterin Christine Blower.

    "Die Freien Schulen haben keine Verbindung zu den demokratisch gewählten Gemeinderäten. Das ist der falsche Weg."

    Vorerst 24 solche freien Schulen gibt es - neben den 20.000 staatlichen, den kirchlichen und den elitären Privatschulen. Die neuen Einrichtungen sind aber nur Teil einer konservativen Kulturrevolution, die David Cameron als Heilung der Gesellschaft umschreibt. Heilung gleich in mehrfacher Hinsicht. Zunächst ökonomisch:

    "Ich glaube daran, dass Auswahl und Wettbewerb keine verpönten Worte in der Erziehung sein sollten. Wir müssen ehrgeizig sein, wenn wir in der Welt bestehen wollen. Wenn China durch eine Erziehungsrenaissance geht, wenn Indien Naturwissenschaftler reihenweise produziert, wäre jegliche Selbstgefälligkeit völlig verhängnisvoll für unsere Wirtschaftsperspektive."
    Britische Schulen stehen laut OECD im internationalen Vergleich nur auf Rang 43. Durch Konkurrenz und Leistungsdruck sollen sie besser, das Establishment von Pädagogen und Bürokraten soll aufgescheucht werden.

    Teil der Kulturrevolution ist auch, dass der Staat nur noch Studienfächer wie Mathematik, Ingenieurwesen, Physik und Chemie finanziert, nicht mehr dagegen Fächer wie Sozialwissenschaft oder Kunst.

    Die Ökonomisierung der Bildung ist das eine; die Reform soll aber auch den Verfall moralischer Werte stoppen.

    "Wir müssen ebenfalls ehrgeizig sein, wenn wir unsere zerrissene Gesellschaft heilen wollen. Denn Erziehung gibt Menschen nicht nur die Mittel an die Hand für ein gutes Auskommen, sondern bildet den Charakter, um ein guter Bürger zu sein. Der wichtigste Wert, den wir in die Klassen zurückbringen müssen, ist Strenge. Wenn der Lehrer glaubt, dass er ein Kind körperlich bändigen muss, dann soll er das tun dürfen. Wir müssen dringend Ordnung und Respekt im Klassenzimmer wieder herstellen."

    Noch stehen die Reaktionen auf solche bildungspolitischen Vorstellungen aus und noch ist unklar, ob und wie Cameron seine Ziele durchsetzen wird.

    "Wir brauchen Eltern, die sich wirklich für die Disziplin ihrer Kinder einsetzen. Und die wirkliche Konsequenzen spüren, wenn ihre Kinder sich dauerhaft schlecht benehmen."

    Denkbar sei, Eltern von Schulschwänzern die Sozialhilfe zu kürzen. Ein Vorschlag, der auf rechtlich mindestens ebenso wackligen Füßen steht, wie die medienwirksam verkündete Absicht, Eltern von Randalieren die Staatshilfen wegzunehmen.