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Zurück zur Natur

Naturschutz. - Kies, Sand und Steine braucht man zum Bauen. Und zwar in großen Mengen. Das Problem dabei: Kiesgruben bleiben als Schandfleck in der Landschaft zurück. Dabei könnten dort neue Lebensräume für Pflanzen und Tiere entstehen. Bloß wie? Im baden-württem-bergischen Landkreis Konstanz läuft gerade ein vielversprechender Pilotversuch.

Von Thomas Wagner |
    LKW und Raupenschlepper bahnen sich ihren Weg durch unwegsames Gelände. Das hat sich, auf Gemarkung der 4500-Seelen-Gemeinde Steißlingen im Landkreis Konstanz, vor fünf Jahren in eine Art Mondlandschaft verwandelt. Unter der beschaulichen Wald- und Wiesenlandschaft waren riesige Kiesvorräte entdeckt worden. Seit der Zeit graben sich die Bagger ins Erdreich ein. Einerseits schaufeln sie den Rohkies auf die bereitstehenden LKW – aber nicht nur. Ein Transporter ächzt unter der Last riesiger Erdreich-Mengen auf dem Kipper:

    Der transportiert das entwickelte Oberbodenmaterial, das über der eigentlichen Kieslagerstätte liegt.

    So Robert Flickinger, Landschaftsplaner im Auftrag des Kiesunternehmens. Er weiß auch, was es mit dem riesigen Geflecht auf sich hat, das auf dem Kipper eines zweiten LKW auftaucht:

    Das waren Wurzeln. Wenn man einen Waldboden ausbaut, dann kann man nicht nur Boden ausbauen, sondern da sind ja auch die Wurzeln der Bäume drin. Die werden im Ausbau des Bodens entfernt und ebenfalls auf die zu rekultivierende Fläche wieder aufgebaut

    Erdreich und Wurzelgeflechte, die von einer Seite der Kiesgrube zur anderen gekarrt werden – das ist der Kern eines Pilotversuches zur ökologischen Renaturierung einer Groß-Kiesgrube. Wichtig bei dem Verfahren: Das Erdreich, das auf der einen Seite abgetragen wird, tragen die Fachleute sogleich in dem Teil der Kiesgrube wieder auf, der bereits ausgebeutet worden ist – ohne Zwischenlagerung. Und genau darin liegt ein wesentlicher Vorteil des neuen Verfahrens, meint Hans-Michael Peissinger, Leiter des Staatlichen Forstamtes Radolfzell im Landkreis Konstanz:

    Der Hauptfehler war, dass wir früher diesen Oberboden viel zu lange zwischengelagert haben. Bevor er dann wieder bepflanzt wurde, so dass der Boden eigentlich nicht mehr ein lebendes Organ war, sondern tot war und die Pflanzen dann schwierigste Bedingungen hatten, anzuwachsen. /

    Bei dem neuen Verfahren wird der Boden nicht zwischengelagert, sondern unmittelbar zur Renaturierung wieder verwendet – ein lebendes statt eines toten Geflechtes. Und das nehmen die Fachleute auch noch vor dem Abtragen genau unter die Lupe, um zu erfahren, welche Anpflanzungen sich für die Rekultivierungsflächen besonders eignen. Robert Flickinger:

    Bevor die Pflanzenauswahl getroffen wird, wird ein Standort-Gutachten erstellt, in dem die Bodenparameter genau festgehalten werden. Und aufgrund der Ergebnisse dieses Standortgutachtens kann man mit unserem Wissen genau sagen, welche Baumarten wachsen und welche wachsen nicht.

    Im Falle des Pilotprojektes im Landkreis Konstanz pflanzen die Fachleute trockenresistente Waldbäume und Sträucher an.

    Wer an jene Stelle gelangen will, an der der Feldversuch vor einigen Jahren begann, lenkt die Schritte über eine urwaldähnliche, dichtbewachsene Fläche. Kaum zu glauben, dass hier noch vor gar nicht allzu langer Zeit Bagger Kies zutage förderten. Auch hier wurde seinerzeit der noch lebende Boden wieder aufgetragen, auch hier erfolgten die Anpflanzungen nach dem entsprechenden Standortgutachten. Nun, ein paar Jahre später, entfaltet sich großes Artenreichtum, so Landschaftsplaner Robert Flickinger:

    Also man findet hier von den Baumarten Elsbeere, Speyerling, Feldahorn, Spitzahorn, aber auch Weißerle. Man findet diverse Straucharten wie Cornell-Kirsche, Hartriegel, Weißdorn, Schwarzdorn, Liguster und dergleichen mehr.

    Rekultivierung gelungen, und das auch noch naturnah – so lautet das einhellige Urteil von Forstexperten und Naturschützern. Thomas Körner, Regionalvorsitzender Bodensee-Donau beim Naturschutzbund Deutschland:

    So, wie es im Moment läuft, sind wir sogar sehr zufrieden. Es wird ja forstlich nicht nur rekultiviert, sondern sogar renaturiert. Wir sind ja der Meinung, es muss mindestens ein Drittel sein, aus dem mal wieder Wald wird. Und bis der entstanden ist, sind das dann so Offen-Land-Bereiche, die ganz wertvoll sind für viele Rote-Listen-Arten. Und das ist ganz in unserem Sinne.

    Und im Sinne des Kiesgrubenbetreibers. Den kostet das neuartige Renaturierungsverfahren zwar rund 15 000 Euro pro Hektar. Das ist deutlich mehr als die klassische, einfache Rekultivierung. Aber: Diese einfache Rekultivierung nimmt viel mehr Zeit in Anspruch; in der Regel über 20 Jahre. Beim neuen Verfahren ist die Renaturierung schon in fünf bis sieben Jahren abgeschlossen. Und das bedeutet: Die Bürgschaft von etwa 40 000 Euro pro Hektar, die der Kiesgrubenbetreiber bis zum Abschluss der Rekultivierung hinterlegen muss, erhält er viel schneller wieder zurück.