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Zusammenrücken in der Medizin

Das Verwaltungsgericht München hat der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) eine bittere Pille verordnet. Auf Grund einer einstweiligen Anordnung muss die Medizinische Fakultät zusätzliche Medizinstudenten aufnehmen. Das Gericht sah mehr Kapazitäten als die Hochschule selbst, 130 zusätzliche Plätze werden unter 615 Klägern verlost.

Von Birgit Fenzel |
    Rein geographisch gesehen, könnte man die Geschichte als Nachbarschaftsstreit betrachten. Nur wenige hundert Meter vom Hauptsitz der Münchner Uni entfernt hat der Rechtsanwalt Rudolf Riechwald seine Kanzlei. Bei seiner Klage gegen die ehrwürdige Nachbarin ging es allerdings um etwas weitaus Komplexeres als Maschendrahtzäune oder Schneeräumen. Riechwald ist der Vertreter einer Reihe von Bewerbern, die in München gerne Medizin studiert hätten, von der Uni aber abgewiesen wurden mit dem Hinweis auf Platzmangel in der Anatomie. Dagegen war der Verwaltungsrechtsexperte juristisch ins Feld gezogen - übrigens nicht zum ersten Mal:

    "Wir behaupten seit Jahrzehnten, dass es keinen Engpass in der Anatomie gibt. Man könne nämlich auch die Kurse anders organisieren. Das Bundesverfassungsgericht fordert effektive Ausnutzung - ganztägig und ganzjährliche Nutzung der Ausbildungsressourcen."

    Seit über 25 Jahren klagt er gegen die Münchner Uni und andere Hochschulen im Lande vor Gericht, um abgewiesenen Bewerbern doch noch den ersehnten Studienplatz zu verschaffen. Über die einstweilige Anordnung, die jetzt vom Verwaltungsgericht im Eilverfahren erteilt wurde, freut er sich ganz besonders. Schließlich sind 130 zusätzliche Plätze schon fast ein rekordverdächtiges Ergebnis. Wer allerdings einen der begehrten Plätze bekommt, entscheidet das Los unter den 615 Klägern. Doch auch dabei scheint das Glück auf seiner Seite, beziehungsweise auf der seiner Klienten:

    "Elf Mandanten hatten Glück bisher. Es kann natürlich noch der eine oder andere nachrücken, falls Plätze nicht angenommen werden."

    Beendet ist der Rechtsstreit damit aber noch lange nicht. Zwar hat der Anwalt gerade eben von der Uni die Nachricht bekommen, dass sie gegen die einstweilige Anordnung keine Beschwerde einlegen wird, aber dafür soll die Sache auf juristischem Wege in einem langwierigen Hauptverfahren vor dem Verwaltungsgericht München geklärt werden. Für die Losgewinner bedeutet das ein Restrisiko, aber nicht wirklich einen Grund zur Sorge:

    "Die könnten wieder herausfliegen, aber sie können ja jetzt wie andere Studierende auch voll studieren und haben dann anrechenbare Leistungen, und selbst wenn sie wieder exmatrikuliert würden, könnten sie dann an anderen Universitäten oder auch nach der bisherigen Erfahrung an der gleichen Universität wieder weiter studieren."

    Mehr Sorgen macht man sich seitens der Uni - speziell bei den Anatomen, denn um diese drehte sich der Rechtstreit ja eigentlich. 130 zusätzliche Studierende zu den regulären 717 stellen die Fakultät vor eine gewaltige Aufgabe, meint Professor Reinhard Putz, Prorektor der LMU und Vorstand der Anatomischen Anstalt.

    "... weil die Gruppengrößen nicht mehr beherrschbar werden von uns und die Raumsituation es für die Studenten sehr schwierig machen wird, eine geordnete Ausbildung mitzuerleben.""

    Rein rechnerisch möge das Verwaltungsgericht ja Recht haben, meint Putz. Möglicherweise passten tatsächlich wie vom Gericht festgestellt 40 weitere Tische in den Präpariersaal. Doch fehlten damit immer noch die Dozenten. Denn das eigentliche Problem sei die Kapazitätsverordnung, die als Grundlage dieser Berechnungen diente. Die geltende Regelung des Leistungspensums von Universitätslehrern ziele an der Realität vorbei. Schließlich habe man auch noch im internationalen Forschungswettbewerb zu bestehen.

    "Gerade die Theorie der medizinischen Fakultät der LMU hat sich international auf dem Forschungsgebiet hervorragend positioniert. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir hochspezialisierte Fachleute als akademische Mitarbeiter aufnehmen müssen. Und es müsste eigentlich jedem klar sein, dass extreme Spezialisten nicht beliebig im Unterricht einsetzbar sind."

    Auch wenn sie eine Reihe von Problemen mit sich bringen, muss keiner der eingeklagten Studierenden mit Ressentiments rechnen. Es wird auch so hart genug am Anfang. Denn trotz Eilverfahren haben sie schon einiges im laufenden Semester verpasst, das es nachzuholen gilt.

    "Sie müssen ihre Grundausbildung im kommenden Wintersemester beginnen, und sie werden also auf dem Papier einen Verlust von ein bis zwei Semestern hinnehmen müssen, der unausweichlich ist trotz bester Organisationsbemühungen. Das ist einfach nicht mehr drin."

    Doch einen Zeitverlust von zwei Semestern nehmen wohl die meisten der frischgebackenen Medizinstudenten mit Vergnügen hin. Schließlich war die Klage für viele von ihnen der letzte Versuch, überhaupt noch an einen Medizinstudienplatz zu kommen.