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Zuspitzung der Liebe mit Verknappung

Die Leidenschaft spielt in den Texten von Jürg Amann eine große Rolle. In seinem neuen Roman geht es um eine Liebe, die sich zwischen Bologna und Triest abspielt und schließlich in einem Dorf in Kalabrien auf ungewöhnliche Weise vollendet wird.

Von Bettina Hesse | 19.04.2010
    Es ist heiß, eine italienische Bilderbuchlandschaft gleitet am Fenster des Regionale vorüber und im Abteil duftet es nach Zitrusfrüchten. Als eine Mitreisende fragt, wohin Emma unterwegs sei, antwortet sie: "Zu meinem Verlobten nach Kalabrien. Als ob es die selbstverständlichste Sache der Welt wäre." Mit dem schlichten Nachsatz erhält die Liebesgeschichte ihre Exposition, zugleich zieht seine Möglichkeitsform die Andeutung in Zweifel und baut eine dramatische Grundspannung auf.

    Kennengelernt hat Emma den attraktiven Lorenzo 14 Jahre zuvor in einer Bologneser Diskothek. Obwohl sie findet, dass der jüngere Mann wie ein Verbrecher aussieht, hofft sie auf seinen Anruf. Er ruft an. Schnell werden sie ein Paar, teilen den Alltag, vor allem das Bett miteinander. Zwischen ihrem Unterrichten und seiner Arbeit als Kellner und kleinen Drogengeschäften lieben sie sich leidenschaftlich. Doch Emma merkt, dass er ihr nicht allein gehört. Als sie aus dem alljährlichen Sommerurlaub auf Sardinien kommt, ist das Fremde zwischen ihnen spürbar.

    Weil Lorenzo nicht Bestandteil ihres Lebens wird, bindet Emma sich an Carlo. Ein Lyriker, nachdenklich und schwierig, und in vielem das Gegenteil von Lorenzo. Aber seine Feinfühligkeit gefällt ihr, sie lässt sich auf ihn ein und nach Triest versetzen, wo er leben möchte. Bald kommt eine Tochter zur Welt, Carlo bleibt zu Hause, um das Kind zu versorgen, während Emma unterrichtet. Doch wird er zunehmend trübsinnig, droht gar mit Selbstmord. Leben kann sie mit dem Mann nicht, zu erdrückend ist seine Schwere – die Liebe ist verschwunden.

    Das ist nun einige Jahre her und erscheint wie aus einem anderen Leben. Emma kommt nach langer Reise im kalabresischen Dorf an und wird feierlich von Lorenzos Familie empfangen – alle sind erschienen. Sie wird durchs Haus geführt, in Lorenzos Zimmer mit den vielen Fotos, die er von ihr gemacht hat, und nach dem Festmahl für die Braut zieht sich jeder zur Siesta zurück. So erwartungsvoll die Stimmung in dieser süditalienischen Welt ist, so sehr steigt die Neugier des Lesers auf die Geschichte zwischen Emma und Lorenzo: Nach zehn Jahren, aus dem Nichts, hat er plötzlich in Triest angerufen und alles verändert.

    Jörg Amann verschränkt die beiden Handlungsstränge und lässt sie aufeinander zulaufen. Abwechselnd erzählt er von der leidenschaftlichen Liebe, von Emmas Zwiespalt zwischen Familie und Liebhaber, ihrer Not, "ein Fleisch" zu sein mit dem einen, dem anderen jedoch entfremdet, und von der Reise nach Kalabrien, was so weit entfernt ist von Triest, wo ihr "Gefühl eine andere Zeit hat".

    Die Frage, warum er für die Geschichte eine weibliche Perspektive gewählt hat, beantwortet Jürg Amann so:

    "Ja, das ist ganz einfach zu sagen, weil sie mir aus der weiblichen Perspektive erzählt worden ist."

    Hellhörig geworden auf das ihm Anvertraute, suchte er die poetologische Herausforderung, die er zwar aus dem Umgang mit Frauenperspektiven in einem früheren Text kennt:

    "Aber diesmal war es natürlich eine andere Situation, weil die Frau, die mir ihre Geschichte geschenkt hat, ja lebt, und das war eigentlich die wirkliche Herausforderung, es war nicht so sehr das sich Einfühlen in die andere Perspektive, sondern dieser Perspektive, die sie ja durch sich selber vertreten hat, gerecht zu werden."

    Amanns Sprache verzichtet weitgehend auf das Epische, erzählt, oft indirekt, die Zuspitzung der Liebe mit Verknappung:

    "Ich kann gar nicht anders, ich bin einfach als Autor so beschaffen, dass ich immer die kürzestmögliche Wendung suche, für jede Geschichte, die ich beschreiben will."

    Temporeich und konzentriert gewinnt die Sprache durch ihre genaue Rhythmik ein hohes Maß an Poesie. Und die literarische Analyse der Paarstrukturen entbehrt nicht eines gewissen Humors.

    So lebensbestimmend die Leidenschaft zwischen Emma und Lorenzo ist, sie gerät in eine Pattsituation: Sie kann ihre Familie nicht verlassen, er versucht sich zu schützen, indem er Emma zurückweist und Verhältnisse mit anderen Frauen eingeht. Lorenzo erträgt es nicht zu erfahren, wie sehr ihm alles Lebenswerte fehlt. So bleibt ihre Liebe am Ende unerfüllt – vielmehr sie vollendet sich auf ungewöhnliche Weise.

    Dass Lorenzo abwesend ist, als Emma endlich in seine Heimat kommt, erhöht die Spannung. Seine Leerstelle erzeugt jene andächtig verhaltene Atmosphäre, die man gegenüber dem unwiederbringlich Abwesenden einnimmt.
    "Alles sei plötzlich voll Tod gewesen. Von gestern auf heute." Mutmaßungen über das Schicksal des Geliebten werden erst ganz am Ende geäußert. Lorenzos Sich-Entziehen scheint die Konsequenz und die Erfüllung ihrer Liebe zu sein – diesen metaphysischen Übersprung hat Jürg Amann im Roman brillant komponiert. Mit dem Todesmotiv und stilistischer Konzentration, Amanns Markenzeichen, erweist sich "Die Kalabrische Hochzeit" als präziser Epilog auf die "selbstverständlichste Sache der Welt".

    Jürg Amann: "Die kalabrische Hochzeit".Roman,
    126 Seiten, Arche Verlag, 18 €Euro