O-Ton aus "Drahtseilakrobaten":
""Oh, ich hab’s. Du könntest ein Stück über Emigration schreiben. Darüber, dass junge Rumänien jetzt Erdbeeren pflücken in Spanien wegen der Wirtschaftskrise. Oder noch besser: über die Morde in Italien, das wär doch ein spannender Stoff!" – "Die Morde in Italien?" – "Ja nicht nur darüber, sondern über das Ganze Italiener-hassen-Rumänen-auf-den-Tod-weil-sie-unsere-Frauen-vergewaltigen-Thema."
Der Westen pflegt das Klischee vom Wilden Osten, und der junge rumänische Autor Emil soll es erfüllen, dabei will er eigentlich nur über Liebe schreiben. Peca Stefan, Autor von mehr als zwanzig Stücken, kennt diese Erwartungshaltung – und unterläuft sie in "Drahtseilakrobaten" geschickt. Seine Miniatur-Szenen sind Momentaufnahmen, die aber wie verdichtete Traum-Spiele wirken: mit doppeltem Boden, voller Aufbrüche und Abstürze, angesiedelt irgendwo zwischen Kaurismäkis Witz und Tarantinos Wut.
Nino Haratischwili, gebürtige Georgierin, bestätigt in ihrer Eingangsrede zum Stückemarkt die Erfahrung, mit einer osteuropäischen Biografie in Geiselhaft genommen zu werden. Doch nicht nur der Hunger nach authentischer Ost-Ware erhöht den Druck auf die Autoren:
""Durch die Vielzahl der Festivals und Fördermöglichkeiten muss sich das Pensum an neuen Stücken steigern. Das Schreiben braucht aber seine Zeit, man kann ja auch nicht unaufhörlich kreativ sein. Hinzu kommt die extreme Mode, die von vielen Theatern gepflegt wird, die Mode der Uraufführungen. Aber man schreibt ja nicht, um nur ein Mal gespielt zu werden."
Die Situation wird dadurch verkompliziert, dass Jungdramatiker aus Osteuropa dort überhaupt erst wahr genommen werden, wenn sie vom europäischen Festivalzirkus geadelt wurden:
O-Ton Haratischwili: "Fast jeder meiner KollegInnen beklagte sich darüber, dass die Ostler die eigenen Künstler erst dann zu schätzen beginnen wenn die Westler diese als wertvoll eingestuft und schon mal durch die Förder- bzw. Festivalmaschinerie gejagt haben."
Auch deutsche Autoren haben aus der Not eine Tugend gemacht und beliefern den Theaterbetrieb mit Stücken, die ihn auf der Metaebene kritisch reflektieren. Nis-Momme Stockmann und Oliver Kluck, die Preisträger des letzten Jahres, haben das schon vorgemacht. Wolfram Lotz setzt dem Trend jetzt die Krone auf, indem er in "Der große Marsch" sämtliche Theater-Diskurse von RAF bis Hartz IV in die Tonne kloppt, in einer ziemlich unspielbaren Revue, um am Ende – aber nur vielleicht – der Anarchie der Kunst zu ihrem Recht zu verhelfen. Gut, dass er jetzt erstmal ein neues Stück schreiben muss.
Eine zweite Diskussion dreht sich um "Welthaltigkeit" versus "Nabelschau" - das eine wird von den Jungautoren gefordert, das andere in ihren Stücken vehement verurteilt. Der "Stückemarkt" hatte dieses Problem nicht: Ekat Cordes' "Ewig Gärt" ist ein Missbrauchsstück, aber schon wegen seiner Splatter-Elemente keine Befindlichkeitsprosa. Julian van Daals "Alles ausschalten" betreibt zwar Nabelschau, untersucht aber auch präzise die Sprache der 90er Krisengeneration. Sein Text wird demnächst im Deutschlandradio Kultur als Hörspiel produziert.
O-Ton "Ausschalten":
"Bonze wirst du nicht, Bonze bist du. Für uns bleibt nur Ausbildung." – "Hör mir auf mit Ausbildung, damit nervt mich mein Vater schon genug. Das ist so beschissen. Meine Schwester, die hängt auch nur rum, aber die hat’n Baby und ist voll stolz auf ihr Kindergeld. Da rast’ ich aus, ey! Die drückt n Kind ausm Arsch und ist Jesus und ich? Ich kann kein Kind kriegen." – "Das ist echt ungerecht…" – "Und was soll ich denn arbeiten, da hab ich kein Bock drauf. Einer von den Sklaven, die den ganzen Tag von ihrem Chef rumgescheucht werden. – Aber ne Ausbildung zum Chef gibt’s ja nicht."
Und Claudia Grehns preisgekrönte "Ernte" verdichtet die Situation der polnischen Arbeitsmigrantin Anna und ihrer Familie zu Minidramen, die poetisch sind und nah dran am Leben.
Bleibt die Frage: Gibt es wirklich zu viel Förderung junger Dramatik? Ist der Betrieb eine heiß laufende Textproduktionsmaschine geworden, die ihre Autorinnen und Autoren nach erfolgter Uraufführung achtlos als Altmaterial entsorgt? Die Ausrichter der vielen "Stückemärkte" in Deutschland sehen das naturgemäß nicht so. Und Iris Laufenberg, die Leiterin des Theatertreffens, fordert Nachhaltigkeit in den Theatern.
"Man kann durchaus an einen Autor und seine Stücke glauben, ihn an das Haus binden, mal Kontinuität herstellen und auch einen Bezug. Wenn jedes Stadttheater nur an einen Autor glaubt, dann haben wir doch sofort Gegenwartsdramatik nachhaltig. Dass man einfach einen längeren Arbeitsprozess beginnt, das müssen nur drei, vier, fünf Jahre sein, aber das ist natürlich viel wertvoller."
""Oh, ich hab’s. Du könntest ein Stück über Emigration schreiben. Darüber, dass junge Rumänien jetzt Erdbeeren pflücken in Spanien wegen der Wirtschaftskrise. Oder noch besser: über die Morde in Italien, das wär doch ein spannender Stoff!" – "Die Morde in Italien?" – "Ja nicht nur darüber, sondern über das Ganze Italiener-hassen-Rumänen-auf-den-Tod-weil-sie-unsere-Frauen-vergewaltigen-Thema."
Der Westen pflegt das Klischee vom Wilden Osten, und der junge rumänische Autor Emil soll es erfüllen, dabei will er eigentlich nur über Liebe schreiben. Peca Stefan, Autor von mehr als zwanzig Stücken, kennt diese Erwartungshaltung – und unterläuft sie in "Drahtseilakrobaten" geschickt. Seine Miniatur-Szenen sind Momentaufnahmen, die aber wie verdichtete Traum-Spiele wirken: mit doppeltem Boden, voller Aufbrüche und Abstürze, angesiedelt irgendwo zwischen Kaurismäkis Witz und Tarantinos Wut.
Nino Haratischwili, gebürtige Georgierin, bestätigt in ihrer Eingangsrede zum Stückemarkt die Erfahrung, mit einer osteuropäischen Biografie in Geiselhaft genommen zu werden. Doch nicht nur der Hunger nach authentischer Ost-Ware erhöht den Druck auf die Autoren:
""Durch die Vielzahl der Festivals und Fördermöglichkeiten muss sich das Pensum an neuen Stücken steigern. Das Schreiben braucht aber seine Zeit, man kann ja auch nicht unaufhörlich kreativ sein. Hinzu kommt die extreme Mode, die von vielen Theatern gepflegt wird, die Mode der Uraufführungen. Aber man schreibt ja nicht, um nur ein Mal gespielt zu werden."
Die Situation wird dadurch verkompliziert, dass Jungdramatiker aus Osteuropa dort überhaupt erst wahr genommen werden, wenn sie vom europäischen Festivalzirkus geadelt wurden:
O-Ton Haratischwili: "Fast jeder meiner KollegInnen beklagte sich darüber, dass die Ostler die eigenen Künstler erst dann zu schätzen beginnen wenn die Westler diese als wertvoll eingestuft und schon mal durch die Förder- bzw. Festivalmaschinerie gejagt haben."
Auch deutsche Autoren haben aus der Not eine Tugend gemacht und beliefern den Theaterbetrieb mit Stücken, die ihn auf der Metaebene kritisch reflektieren. Nis-Momme Stockmann und Oliver Kluck, die Preisträger des letzten Jahres, haben das schon vorgemacht. Wolfram Lotz setzt dem Trend jetzt die Krone auf, indem er in "Der große Marsch" sämtliche Theater-Diskurse von RAF bis Hartz IV in die Tonne kloppt, in einer ziemlich unspielbaren Revue, um am Ende – aber nur vielleicht – der Anarchie der Kunst zu ihrem Recht zu verhelfen. Gut, dass er jetzt erstmal ein neues Stück schreiben muss.
Eine zweite Diskussion dreht sich um "Welthaltigkeit" versus "Nabelschau" - das eine wird von den Jungautoren gefordert, das andere in ihren Stücken vehement verurteilt. Der "Stückemarkt" hatte dieses Problem nicht: Ekat Cordes' "Ewig Gärt" ist ein Missbrauchsstück, aber schon wegen seiner Splatter-Elemente keine Befindlichkeitsprosa. Julian van Daals "Alles ausschalten" betreibt zwar Nabelschau, untersucht aber auch präzise die Sprache der 90er Krisengeneration. Sein Text wird demnächst im Deutschlandradio Kultur als Hörspiel produziert.
O-Ton "Ausschalten":
"Bonze wirst du nicht, Bonze bist du. Für uns bleibt nur Ausbildung." – "Hör mir auf mit Ausbildung, damit nervt mich mein Vater schon genug. Das ist so beschissen. Meine Schwester, die hängt auch nur rum, aber die hat’n Baby und ist voll stolz auf ihr Kindergeld. Da rast’ ich aus, ey! Die drückt n Kind ausm Arsch und ist Jesus und ich? Ich kann kein Kind kriegen." – "Das ist echt ungerecht…" – "Und was soll ich denn arbeiten, da hab ich kein Bock drauf. Einer von den Sklaven, die den ganzen Tag von ihrem Chef rumgescheucht werden. – Aber ne Ausbildung zum Chef gibt’s ja nicht."
Und Claudia Grehns preisgekrönte "Ernte" verdichtet die Situation der polnischen Arbeitsmigrantin Anna und ihrer Familie zu Minidramen, die poetisch sind und nah dran am Leben.
Bleibt die Frage: Gibt es wirklich zu viel Förderung junger Dramatik? Ist der Betrieb eine heiß laufende Textproduktionsmaschine geworden, die ihre Autorinnen und Autoren nach erfolgter Uraufführung achtlos als Altmaterial entsorgt? Die Ausrichter der vielen "Stückemärkte" in Deutschland sehen das naturgemäß nicht so. Und Iris Laufenberg, die Leiterin des Theatertreffens, fordert Nachhaltigkeit in den Theatern.
"Man kann durchaus an einen Autor und seine Stücke glauben, ihn an das Haus binden, mal Kontinuität herstellen und auch einen Bezug. Wenn jedes Stadttheater nur an einen Autor glaubt, dann haben wir doch sofort Gegenwartsdramatik nachhaltig. Dass man einfach einen längeren Arbeitsprozess beginnt, das müssen nur drei, vier, fünf Jahre sein, aber das ist natürlich viel wertvoller."