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Zuviel Nitrat im Grundwasser

Bei der Stromproduktion in Biogasanlagen fallen Gärreste an, die als Dünger in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Die Anlagen produzieren jedoch einen Überschuss, sodass vielerorts zuviel gedüngt wird und somit auch zuviel Nitrat ins Grundwasser gelangt. Wissenschaftler fordern Umweltprogramme für Landwirte, um dem entgegenzuwirken.

Von Carolin Hoffrogge | 23.08.2013
    "Unser Betrieb liegt zum größten Teil im Wasserschutzgebiet, 150 Hektar."

    Landwirt Harm Kolloge steht auf seinem frisch gemähten Weizenfeld in Wildeshausen im Landkreis Oldenburg.

    "Bei uns ist es so, dass wir im ökologischen Landbau per se eine breitere Fruchtfolge haben müssen. Wir haben hier fünf verschiedene Früchte, dazu gehört Getreide, eine Leguminose und auch ein Kleegras. Es ist relativ vielfältig."

    Mit seiner breiten Fruchtfolge ist der junge Landwirt allein auf weiter Flur, denn um seinen Hof herum wächst Mais, Mais und noch mal Mais. Schließlich sind in den vergangenen acht Jahren im Landkreis Oldenburg sehr viele Biogasanlagen gebaut worden. Diese werden mit Mais und Gülle gefüttert, sie produzieren nicht nur Strom, sondern hinterlassen auch Gärreste. Genau hier versteckt sich die zusätzliche Belastung des Trinkwassers mit Nitrat, sagt Egon Harms, Ingenieur beim Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband:

    "Wir haben mit Gülle und Gärresten organische Stoffe im Überfluss. Wir haben zu wenig Fläche. Beides zusammen führt dazu, dass offensichtlich oftmals mehr gedüngt wird, als eine Pflanze aufnehmen kann und wenn die Pflanze den Stickstoff nicht aufnimmt, dann bleibt er zunächst im Boden. Aber über den Winter wird er über den Boden ausgewaschen und wir haben die entsprechenden Konzentrationen im Grundwasser."

    Deshalb fordert Professor Harald Grethe als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik im Bundesverbraucherschutzministerium gemeinsam mit vielen weiteren Kollegen heute in Berlin, die Nährstoffe, die auf den Hof gelangen und die Nährstoffe, die ihn wieder verlassen, genau zu dokumentieren.
    "Wir brauchen eine Hoftorbilanz. Hoftorbilanz heißt: Alles, was reingeht in den landwirtschaftlichen Betrieb und alles, was rausgeht, wird erfasst. Um dann den Überschuss errechnen zu können. Dafür braucht es EDV-Voraussetzungen, dafür braucht es rechtliche Voraussetzungen."

    In vielen Regionen Deutschlands ist der Güllepott voll. Beispielsweise im Landesteil Schleswig dürfte heute weder eine weitere Biogasanlage noch ein weiterer Kuhstall gebaut werden, sagt Friedhelm Taube, Professor für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung an der Universität Kiel. Schließlich gäbe hier nicht mehr genügend Flächen, also Pflanzen, die die Düngung durch Gülle oder Gärreste verwerten. Daher sickert der Stickstoff Nitrat bis ins Grundwasser, sagt Friedhelm Taube.

    "Je nach Region 30 bis 40 Kilogramm, die ausgewaschen werden."

    Dieser Überschuss von bis zu 40 Kilogramm Nitrat pro Hektar dringt in die Ökosysteme ein, verändert sie stark, reduziert ihre Artenvielfalt. Der Kieler Agrarwissenschaftler Taube gibt ein Beispiel:

    "Wir arbeiten mit Ornithologen zusammen, weil die Feldvogelpopulation häufig als Indikator für Biodiversität angesprochen wird, weil Feldvögel besonders sensitiv reagieren, wenn bestimmte Habitatstrukturen und dadurch auch Nahrungsgrundlagen aus Insekten nicht mehr vorhanden sind. In diesem Bereich haben gerade Feldvögel einen dramatischen Rückgang um etwa 40 Prozent in den letzten 20 Jahren und leider ist da auch keine Umkehr in Sicht."

    Diese Umkehr - so fordern Professor Taube und seine Kollegen aus den wissenschaftlichen Beiräten für Agrarpolitik und Düngungsfragen sowie dem Sachverständigenrat für Umweltfragen muss in den nächsten Jahren stattfinden. Wie? Die Tierhaltung und der Ackerbau sollen wieder stärker zusammengeführt werden, damit auf Fehmarn nicht nur Raps wächst und im Südoldenburgischen nicht nur Mais.

    "Das bedeutet, dass wir breitere Fruchtfolge bekommen. Mehr Arten, also Winterung und Sommerung. Da macht es sehr viel Sinn, wenn zum Beispiel Mais in einer Ackerbauregion angebaut wird. Dann ist das eine Auflockerung sehr enger Fruchtfolge und umgekehrt genauso, wenn in Futterbauregionen wieder Getreide angebaut wird."

    Neben breiteren Fruchtfolgen sollen die Landwirte auch ihre Gülle und Gärreste genau managen. So erproben Wissenschaftler derzeit in einer Versuchsanlage im Weser-Ems-Gebiet, wie sich die festen von den flüssigen Stoffen in der Gülle trennen lassen, dass sie transportfähig sind. Denn, sagt Egon Harms vom Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband, ab 15 Kilometer sei der Transport von Gülle unrentabel, da sie zu 90 Prozent aus Wasser besteht.

    "Gülletourismus ist eigentlich ein hässliches Wort, weil die Idee, die dahinter steckt, ist sehr positiv, auch im Sinne des Grundwasserschutzes. Wenn es hier Betriebe gibt, die Nährstoffüberschüsse haben und es gibt weiter südlich Betriebe, die Nährstoffbedarf haben, dann macht das doch Sinn, die Gülle und Gärreste, die Nährstoffe also in diese Regionen zu bringen."

    Außerdem fordern die wissenschaftlichen Beiräte und der Sachverständigenrat für Umweltfragen von der Politik mehr finanzielle Anreize für die Landwirte; also Geld für Agrarumweltprogramme, die die Landwirte zu mehr Vielfalt auf den Äckern bewegt. Professor Harald Grethe:

    ""Zum Beispiel kann man fördern den Erhalt von Obstwiesen. Man kann fördern einen verspäteten Schnittzeitpunkt im Grünland, sodass Wiesenbrüter dort brüten können. Man kann fördern Ackerrandstreifen, wo Blühmischungen eingepflanzt werden. Man kann fördern eine geringere Düngung, dass es zu weniger Nährstoffausträgen kommt."

    Sollte dieses Maßnahmenpaket in den nächsten vier Jahren umgesetzt werden, erhoffen sich die Wissenschaftler eine weitaus bessere Situation für die Nitratwerte im Trinkwasser in allen landwirtschaftlich intensiv genutzten Regionen Deutschlands.