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Zuwanderungsland Deutschland?

Die Geschichte der Migration in Deutschland seit 1500 und ihre inhaltliche Gestaltung in Neuzeit und Gegenwart hat eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin zum Thema. Und so heißt sie denn auch: "Zuwanderungsland Deutschland – Migrationen 1500 – 2005".

Von Carsten Probst |
    Lange vor allen Hartz IV-Protesten beginnt in Europa der mobile Arbeitsmarkt zu prägen, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Mit der zunehmenden Mechanisierung der Produktion machen sich schon am Beginn der Neuzeit immer wieder große Züge von Wanderarbeitern auf den Weg über Ländergrenzen hinweg, und schon früh hatte die konservativ-seßhafte Ständegesellschaft dieser Zeit damit ihr "Boot-ist-voll"- Problem. Man zog die Stadtmauern hoch, schuf neue Gesetze und Strafen, um sich die Wirtschaftsflüchtlinge vom Hals zu schaffen und sie nach Möglichkeit zu kriminalisieren, was meist auch gut gelang, wenn die Einwanderergruppen überschaubar oder im Volk bereits einschlägig zu Sündenböcken gestempelt waren, wie die Zigeuner.

    Mitte des 16. Jahrhunderts siedelten sich italienische Wanderhändler aus der Region um den Comer See in Frankfurt am Main an, das schon damals als wohlhabende Stadt bekannt war.
    Man sah sie nicht gern, hielt sie in der Bürgerschaft außen vor, und wer bei ihnen kaufte, wurde schief angesehen.

    Das Millerntor in Hamburg, heute eher bei Fußballfans bekannt, war spätestens seit Beginn des 18. Jahrhunderts der einzige Zugang, den Juden in die Stadt nehmen durften, davor waren ein Vogt und ein Jude "zum Aufpassen bettelhafter Fremden bestellt", wie es in einer Beschreibung aus jener Zeit heißt. Dass man Juden zum "Aufpassen" über "Ihresgleichen" abstellte, war schon damals eine beliebte Praxis in deutschen Städten, die gerade deshalb so gut funktionierte, weil selbst die Juden, die ihren Wohnsitz bereits in der Stadt hatten, von der Bürgerschaft ausgegrenzt waren und sich deshalb von ihren mittellosen Glaubensbrüdern zu distanzieren suchten.

    Anders war die Lage in Grenzregionen, als es infolge der Reformation immer wieder zu glaubenspolitischen Kriegen kam, etwa in Böhmen, wo es nach der Schlacht am Weißen Berg im 17. Jahrhundert zu einer Rekatholisierungswelle kam und Protestanten ausgewiesen wurden. Sie fanden jenseits der Grenze in Sachsen ein Exil, gründeten dort mitunter sogar eigene Ortschaften, sehnten sich nach der Rückkehr in ihre Heimat und wurden vielleicht auch aufgrund ihrer Zweisprachigkeit und ihrer mitunter vornehmen Herkunft nicht primär als Bedrohung wahrgenommen. Gleichwohl lebten auch diese Vertriebenen in allerärmlichsten Verhältnissen.

    Anders sah es im niederrheinischen Wesel aus, das Ende des 16. Jahrhunderts zum wichtigen Zufluchtsort für Calvinisten aus den Spanischen Niederlanden wurde und ein bemerkenswertes Beispiel für Integration ist. Zeitweise stellten die Glaubensflüchtlinge zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung, was schließlich zu einer Assimilation von lutherischer und calvinistischer Lehre in Wesel führte.

    Die Ausstellung versammelt eine Fülle von europäischen Migrantenschicksalen aus fünf Jahrhunderten in einem der lichtlosen Kabinette des Pei-Baus, dazu auf äußerst gedrängtem Raum, als wolle sie schon dadurch die beengte Existenzform der Einwanderer illustrieren. Zwingend notwendig ist der Erwerb des Kataloges, um mehr über die oft dramatischen Hintergründe der Wanderungsbewegungen zu erfahren. Die Präsentation selbst beläßt es eher bei symbolischen Ausstellungsstücken, historischen Dokumenten, Stadtansichten oder anderen Objekten aus Zuwanderungsgemeinschaften, und natürlich spielt gerade auch das Bild des Fremden in der jeweils zeitgenössischen Kunst eine Rolle, wie etwa die zwei grandiosen Bettlerfiguren aus der Werkstatt des Südtiroler Bildhauers Simon Troger aus dem 18. Jahrhundert zeigen.

    In früheren Überblicksausstellungen über epochale Prozesse hat sich das DHM auch schon einmal ganz auf künstlerische Zeugnisse verlassen und ist damit nicht schlecht gefahren. Denn gerade die Kunst früherer Jahrhunderte erweist sich oft genug als Grenzmedium zwischen Dokumentation und Imagination, sie bildet herrschende Gesinnungen gleich mit ab.

    Vielleicht ein wenig zu ostentativ und ausführlich werden dagegen am Ende dieser Ausstellung etliche Zeitzeugnisse aus der deutschen Nachkriegszeit ausgebreitet, deren Realität mit sogenannten Gastarbeitern und Zuwanderungsgesetzen noch am ehesten als bekannt angenommen werden kann. Die Abteilung zur Nazizeit, dem absoluten Kulminationspunkt des deutschen und europäischen Rassismus, leidet dagegen besonders schwer unter dem musealen Platzmangel.

    Vielleicht hätte es dieser Ausstellung doch weitergeholfen, noch mehr auf das Thema der Imaginationen und Projektionen, der Ängste und der Bilder zu setzen, die man sich durch die Jahrhunderte vom Fremden gemacht hat, insbesondere in der Kunst – und dabei noch deutlicher zu machen, dass sich weniger die Bilder und Ängste ändern, als die Intensität, mit der sie geschürt und ausgelebt werden.