Freitag, 19. April 2024

Archiv

Zwangsadoptionen
Die gestohlenen Kinder der DDR

Kinder von politisch auffällig gewordenen Eltern wurden in der DDR zur Zwangsadoption freigegeben. Viele Eltern wissen bis heute nichts über ihre Kinder. Die "Interessengemeinschaft Gestohlene Kinder der DDR" fordert staatliche Unterstützung bei der Aufklärung der Verbrechen.

Von Manfred Götzke | 05.04.2018
    Portrait von Andreas Ley vor einem Straßenzug
    1988 wurde Andreas Ley und seiner Frau der damals drei Monate alte Sohn weggenommen und einer regimetreuen Familie übergeben (Deutschlandradio / Manfred Götzke)
    24 Jahre lang hat Andreas Ley gesucht, geklagt, recherchiert - bis er zum ersten Mal in seinem Leben mit seinem Sohn sprechen konnte.
    "Wir hatten telefoniert - ja, wie soll es gewesen sein. Sehr schwer, von beiden Seiten, weil der Weg der Verständigung erst mal gegangen werden muss. Als die Staatsanwaltschaft die Adoptiveltern mit in das Boot gesetzt hat, ist der Kontakt dann wieder abgebrochen."
    Von Ende 1988 bis 2013 wussten Ley und seine Frau nicht, was mit ihrem Sohn geschehen war, bei wem er lebt, ob er gesund ist - was er so macht. Sie wussten nur eines: Er wurde der Familie im Kinderkrankenhaus in Dresden weggenommen. 1988 ein Jahr vor Jahr der Wende. Da war er drei Monate alt.
    "Am 2.12. musste das Kind mit einem angeborenen Leistenbruch in die Klinik eingewiesen werden - und von da an verlieren sich sämtliche Spuren."
    Sohn wurde einer regimetreuen Familie übergeben
    Ley saß damals im Gefängnis als politischer Häftling ein, er hatte fünf Jahre wegen versuchter Republikflucht bekommen. Und das war auch der Grund, warum ihm und seiner Frau der Säugling weggenommen wurde, wie er heute weiß.
    "Ich bin politisch Verfolgter der ehemaligen DDR - durch meine Aktivitäten im Raum Dresden war das für das System ein Anhaltspunkt, diese Familie auseinanderzureißen. Und genau das hat man letzten Endes gemacht."
    Heute weiß er aus Stasi-Akten, dass sein Sohn einer regimetreuen Familie übergeben wurde, die ihn auch nach der Wende großzog. Ley wurde direkt nach dem Fall der Mauer amnestiert und setzte alle Hebel in Bewegung, um seinen Sohn wieder zu finden und die Adoption rückgängig zu machen. Vergeblich.
    Einsicht in Adoptionsakten wurde immer wieder verwehrt
    "Wir haben jahrelang geklagt, geklagt, aber es kam nichts raus. Im Jahr 2013 hatten wir dann einen Anruf, wo man uns fragte, ob wir einen Markus Richter kannten. War für uns natürlich nicht nachvollziehbar. Als diese Dame dann sagte, sagt ihnen der Name Ley, Dennis etwas - da war dann der Groschen gefallen."
    Bis heute fühlt er sich von den Behörden nicht unterstützt - was er über seinen Sohn in Erfahrung bringen konnte - hat der 60-Jährige selbst recherchiert, die Einsicht in Adoptionsakten war ihm immer wieder verwehr worden.
    "Seit 2013 versuchen wir diese Adoption rückgängig zu machen, aber man sagt schlicht und einfach, diese Adoption sei nicht rückgängig zu machen. Die Oberstaatsanwaltschaft Dresden zeigt sich da nicht erkenntlich. Wir konnten selbst nachweisen, dass das Kind eine Zwangsadoption ist, aber leider wird sich die Rechtsprechung da schwer tun - deshalb sind wir heute hier. Damit wir unsere Kinder zurückbekommen."
    "Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR"
    Ley ist an diesem Vormittag aus seinem heutigen Wohnort Stuttgart nach Berlin gekommen - gemeinsam mit etwa hundert weiteren Eltern, die nichts oder wenig über ihre Kinder wissen.
    Am Schloss Charlottenburg im Berliner Westen fahren immer mehr Autos auf den Schloss-Vorplatz, mit Kennzeichen aus ganz Deutschland. Gleich wollen sie im Bundestag eine Petition überreichen. Sie fordern bessere rechtliche Möglichkeiten, ihre - heute erwachsenen – Kinder zu finden. Vor allem Einsicht in Adoptionsakten, sagt Katrin Albrecht-Gericke, die Ko-Vorsitzende der "Interessengemeinschaft gestohlene Kinder der DDR".
    "Wir wollen erreichen, dass das Adoptionsgesetz geändert wird, dass Adoptierte mit dem 16. Lebensjahr automatisch erfahren, dass sie adoptiert wurden. Und dass eine unabhängige Clearingstelle eingerichtet wird für die Fälle in der DDR, die aufklären soll, ob die Kinder nun wirklich tot geboren sind, oder ob sie gestorben sind."
    "Fälle größtenteils noch nicht aufgeklärt"
    1.500 betroffene Eltern haben sich in den vergangenen Monaten und Jahren bei ihrem Verein gemeldet und es werden immer mehr. Einigen wurde damals in der DDR mittgeteilt, dass ihre Kinder von Fremden adoptiert wurden. Andere Eltern, so lautet der Vorwurf, seien vom Regime belogen. Man habe ihnen erklärt, ihre Kinder seien direkt nach der Geburt gestorben. Sie sollen dann an SED-treue Familien weitergegeben worden sein.
    "Die Fälle sind größtenteils noch nicht aufgeklärt, gerade was die vermeintlichen Säuglingstode betrifft, da ist eigentlich gar nichts aufgeklärt. Wir finden immer wieder welche, aber das sind Einzelfälle. Und man lässt die Leute nicht exhumieren und stellt die Eltern dann noch als psychisch krank hin: Man sagt, die Eltern hätten sich das eingebildet, dass ihr Kind nicht im Sarg lag. Aber in diesem Moment können Eltern auch meistens nichts machen."
    Andreas Ley hat seinen Sohn nach all den Jahren noch immer nicht treffen können. Nachdem er ein paar Mal mit ihm telefoniert hatte - haben sich die Adoptiveltern eingeschaltet und alles abgeblockt. Doch im August wollen sie sich sehen. Zum ersten Mal nach fast 29 Jahren.
    "Wir wollen aufklären, was wirklich im sozialistischen System abgelaufen ist. Wir möchten nur den Kindern die Wahrheit nahelegen, wir wollen sie nicht rausreißen aus den Familien, sondern, dass sie wissen, dass es eine Herkunftsfamilie gibt. Seine leibliche Mutter ist leider Gottes 2014 verstorben. Ich hatte ihr aber am Sterbebett versprochen, dass ich mich diesbezüglich kümmern werde."