Selangor, Westmalaysia. Kaum 50 Kilometer entfernt von der Skyline Kuala Lumpurs verlässt Förster Muhamad bin Murad ein Büro der Forstbehörde und geht auf gelbem, sandigem Lehm einer Erschließungsstraße in den dunkelgrün leuchtenden Regenwald hinein; Murad deutet auf immer neue Blumen mit fremden Namen, auf einen 30 Meter hohen Baum, umwickelt von einer Würgefeige, die ihn langsam, aber sicher erstickt; ein klassischer Tod im Regenwald. – In diesem 150 Hektar großen Waldstück hat ein dafür lizenziertes Unternehmen vor zwei Jahren eingeschlagen, das heißt, nach bestimmten Kriterien ausgewählte Bäume gefällt, sagt Murad und faltet eine Karte auf.
"Bevor der Einschlag erfolgt, wird – wie Sie auf dieser Karte sehen – zunächst das Einschlagsgebiet genau festgelegt. Anschließend machen wir eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Bäume, auf deren Basis wir festlegen, wie viele und welche Bäume gefällt werden dürfen. Diese Bäume werden markiert und in unser Bewirtschaftungsbuch eingetragen."
Um, im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung, den Wald möglichst wenig zu schädigen, gelten für den Einschlag strenge Vorschriften. Für deren Einhaltung sind Murad und seine Kollegen verantwortlich. Der Mindestdurchmesser der geschlagenen Bäume ist ebenso vorgeschrieben wie deren Fallrichtung und die Menge mit schwerem Gerät befahrbarer so genannter Rückewege. Tiger, Tapire und Krokodile sollen möglichst ungestört, die Uferböschungen der Bäche intakt bleiben. – Nach dem Einschlag bleibt ein Waldgebiet 30 Jahre weitgehend sich selbst überlassen – und den Ureinwohnern des Waldes, die in West-Malaysia Orang Asli genannt werden und rund ein Prozent der Bevölkerung stellen. – Im Waldbüro des Försters Muhamad Murad haben sich Bim Anasamun und Norvi Ali eingefunden – zwei kleine kraushaarige Orang Asli, die bis vor kurzem für eine Einschlagsfirma gearbeitet haben. Jetzt putzen sie ihre zwei Meter langen Blasrohre, aus denen sie mit Hartholzpfeilen auf 50 Meter sicher treffen.
"Das Gift für unsere Pfeile gewinnen wir aus dem Harz eines Baumes, den wir Ippo nennen. Wir kochen das Harz und bringen es auf die Pfeilspitze auf. Treffen wir später einen Affen oder ein Wildschwein mit dem Pfeil, stirbt das Tier binnen 15 Minuten. Unsere Pfeile schnitzen wir übrigens aus einem leichten Hartholz, das wir Bratam nennen, die Pfeilspitze aus einem noch härteren Holz."
Auf dem Tisch der Büroveranda haben Bim und Norvi bizarr geformte Wurzeln ausgebreitet – frisch gesammelte Medizin.
"Sind wir krank, steht eine Frau vor der Niederkunft oder hat ein Mann Potenzprobleme, gehen wir in den Wald und suchen bestimmte Pflanzen – Ubidaga, Kachip Fatima und Tonkat Ali zum Beispiel. Diese Pflanzen trocknen wir, kochen sie und essen sie so lange, bis es uns wieder gut geht."
"Dies ist die Wurzel von Brutam, einer Palmenart. Sie wirkt gegen Rückenschmerzen. Die Lendei-Wurzel dort ist gut gegen Nierenproblem; und zusammen machen die beiden dich unübertrefflich stark im Bett – noch stärker als Tonkat Ali."
Die Orang Asli benutzen etwa 600 Heilpflanzen, erklärt in Kuala Lumpur Lim Hin Fui, Soziologe am staatlichen Waldforschungsinstitut. Das Wissen über die Kräfte der Pflanzen vererben sie von einer Generation zur nächsten – und machen inzwischen auch Geschäfte damit. Das in Form getrockneter Chips verkaufte Potenzmittel Tonkat Ali ist auch in Malaysias Städten populär; Kachip Fatima gilt als "Viagra für die Frau". – Die Orang Asli indes machen nur wenig Gewinn mit dem Pflanzenhandel; und ansonsten beschert ihnen die Begegnung mit der so genannten Zivilisation vor allem Probleme – meint Lim Hin Fui.
"Schlägt eine Firma im Einzugsgebiet eines Orang Asli-Dorfes Holz ein, greift sie auf vielfältige Weise in das Leben der Bewohner ein: Die Firma verschmutzt die Bachläufe, die den Orang Asli dann kein sauberes Trinkwasser mehr liefern; sie verjagt die Tiere – mit der Folge, dass die Waldbewohner nichts mehr zum Jagen haben. Positiv wirkt, dass die Firma in der Regel einigen Orang Asli Arbeit gibt. Außerdem haben die Dorfbewohner durchaus Anspruch auf Schadenersatz – wenn, zum Beispiel, Arbeiter einen von den Vorfahren eines Orang Asli gepflanzten Fruchtbaum fällen oder Schwerlaster die Wege des Dorfes verwüsten."
In der alltäglichen Wirklichkeit haben die stets unter Zeitdruck stehenden Holzfäller wenig übrig für die Anliegen der Orang Asli. Es interessiert sie nicht, dass die nach der Geburt eines Orang Asli-Kindes gepflanzten Bäume dessen Existenz sichern sollen; dass der Wald für die Ureinwohner heilig ist – auch spirituelles Zuhause und Teil ihrer Identität. Ein Eigentumsrecht der Orang Asli am Wald wird nicht anerkannt. – Kein Wunder, dass es häufig Streit gibt mit Holzfirmen und den Behörden – wobei die Ureinwohner meist den Kürzeren ziehen. Immer mehr verlassen den Wald und ziehen in die so genannte Zivilisation – was Thang Hooi Chiew, ein hemdsärmelig wirkender Direktor bei der Forstbehörde, als "positive Entwicklung" bezeichnet. Schadenersatzverhandlungen mit Waldbewohnern sind für Chiew eine höchst überflüssige Übung und das traditionelle Leben der Orang Asli im Wald ein abzuschaffendes Dasein in bitterstem Elend.
"Wir müssen diesen Menschen, im Sinne der gesellschaftlichen Entwicklung Malaysias, das Recht geben, sich für eine Lebensweise zu entscheiden: dafür, weiter im Wald zu leben und von Moskitos gestochen zu werden, oder dafür, Teil der zivilisierten malaysischen Gesellschaft zu werden. Die Politik unserer Regierung ist es natürlich, die Menschen zu letzterem zu ermutigen."
Bim Anasamun und Norvi Ali lebten bis vor 20 Jahren von der Jagd und den Früchten ihrer Bäume, von ein wenig Handel mit Bambus und Rattan. Jetzt haben die beiden nur dann Arbeit, wenn eine Holzfirma Aushilfskräfte sucht; und mit ihren Familien leben sie in einer Siedlung, die die Regierung irgendwo im Niemandsland gebaut hat: in modernen Betonhäusern mit fließend Wasser. Unter deren Zinkdach wird es allerdings so heiß, dass Bim und Norvi Bambushütten im Stile ihrer Ahnen angebaut haben. – Ganz bewusst habe die Regierung solche Siedlungen weit weg vom Wald gebaut, sagt Hugh Blackett vom "Tropical Forest Trust", einer Initiative der internationalen Holzindustrie, die zwischen Industrie und Umweltschützern vermittelt. Indem die Regierung außerhalb des Waldes Häuser und soziale Leistungen kostenlos bereitstelle, wolle sie die Orang Asli von ihrem Wald und ihren Ansprüchen auf seine Ressourcen abschneiden. Die Ureinwohner des Waldes würden ihrer Identität beraubt und zu traurigen Randfiguren der Gesellschaft degradiert.
"Ich glaube nicht, dass die Orang Asli in Malaysias Gesellschaft besonders gut abschneiden. Sie haben bis heute keinen rechten Zugang zum Bildungswesen des Landes gefunden und leben weit außerhalb des Mainstreams. – Sicher, die Regierung hat Siedlungen gebaut für die Orang Asli – mit Gesundheitsstationen und Schulen. Um die Orang Asli allerdings aus ihren Wäldern dorthin zu locken, musste man sie mit allen möglichen Zuwendungen geradezu bestechen. Und jetzt führen sie in den Siedlungen ein elendes Dasein – ohne Arbeit, ohne Würde, in tiefer Depression."
"Bevor der Einschlag erfolgt, wird – wie Sie auf dieser Karte sehen – zunächst das Einschlagsgebiet genau festgelegt. Anschließend machen wir eine Bestandsaufnahme der vorhandenen Bäume, auf deren Basis wir festlegen, wie viele und welche Bäume gefällt werden dürfen. Diese Bäume werden markiert und in unser Bewirtschaftungsbuch eingetragen."
Um, im Sinne einer nachhaltigen Bewirtschaftung, den Wald möglichst wenig zu schädigen, gelten für den Einschlag strenge Vorschriften. Für deren Einhaltung sind Murad und seine Kollegen verantwortlich. Der Mindestdurchmesser der geschlagenen Bäume ist ebenso vorgeschrieben wie deren Fallrichtung und die Menge mit schwerem Gerät befahrbarer so genannter Rückewege. Tiger, Tapire und Krokodile sollen möglichst ungestört, die Uferböschungen der Bäche intakt bleiben. – Nach dem Einschlag bleibt ein Waldgebiet 30 Jahre weitgehend sich selbst überlassen – und den Ureinwohnern des Waldes, die in West-Malaysia Orang Asli genannt werden und rund ein Prozent der Bevölkerung stellen. – Im Waldbüro des Försters Muhamad Murad haben sich Bim Anasamun und Norvi Ali eingefunden – zwei kleine kraushaarige Orang Asli, die bis vor kurzem für eine Einschlagsfirma gearbeitet haben. Jetzt putzen sie ihre zwei Meter langen Blasrohre, aus denen sie mit Hartholzpfeilen auf 50 Meter sicher treffen.
"Das Gift für unsere Pfeile gewinnen wir aus dem Harz eines Baumes, den wir Ippo nennen. Wir kochen das Harz und bringen es auf die Pfeilspitze auf. Treffen wir später einen Affen oder ein Wildschwein mit dem Pfeil, stirbt das Tier binnen 15 Minuten. Unsere Pfeile schnitzen wir übrigens aus einem leichten Hartholz, das wir Bratam nennen, die Pfeilspitze aus einem noch härteren Holz."
Auf dem Tisch der Büroveranda haben Bim und Norvi bizarr geformte Wurzeln ausgebreitet – frisch gesammelte Medizin.
"Sind wir krank, steht eine Frau vor der Niederkunft oder hat ein Mann Potenzprobleme, gehen wir in den Wald und suchen bestimmte Pflanzen – Ubidaga, Kachip Fatima und Tonkat Ali zum Beispiel. Diese Pflanzen trocknen wir, kochen sie und essen sie so lange, bis es uns wieder gut geht."
"Dies ist die Wurzel von Brutam, einer Palmenart. Sie wirkt gegen Rückenschmerzen. Die Lendei-Wurzel dort ist gut gegen Nierenproblem; und zusammen machen die beiden dich unübertrefflich stark im Bett – noch stärker als Tonkat Ali."
Die Orang Asli benutzen etwa 600 Heilpflanzen, erklärt in Kuala Lumpur Lim Hin Fui, Soziologe am staatlichen Waldforschungsinstitut. Das Wissen über die Kräfte der Pflanzen vererben sie von einer Generation zur nächsten – und machen inzwischen auch Geschäfte damit. Das in Form getrockneter Chips verkaufte Potenzmittel Tonkat Ali ist auch in Malaysias Städten populär; Kachip Fatima gilt als "Viagra für die Frau". – Die Orang Asli indes machen nur wenig Gewinn mit dem Pflanzenhandel; und ansonsten beschert ihnen die Begegnung mit der so genannten Zivilisation vor allem Probleme – meint Lim Hin Fui.
"Schlägt eine Firma im Einzugsgebiet eines Orang Asli-Dorfes Holz ein, greift sie auf vielfältige Weise in das Leben der Bewohner ein: Die Firma verschmutzt die Bachläufe, die den Orang Asli dann kein sauberes Trinkwasser mehr liefern; sie verjagt die Tiere – mit der Folge, dass die Waldbewohner nichts mehr zum Jagen haben. Positiv wirkt, dass die Firma in der Regel einigen Orang Asli Arbeit gibt. Außerdem haben die Dorfbewohner durchaus Anspruch auf Schadenersatz – wenn, zum Beispiel, Arbeiter einen von den Vorfahren eines Orang Asli gepflanzten Fruchtbaum fällen oder Schwerlaster die Wege des Dorfes verwüsten."
In der alltäglichen Wirklichkeit haben die stets unter Zeitdruck stehenden Holzfäller wenig übrig für die Anliegen der Orang Asli. Es interessiert sie nicht, dass die nach der Geburt eines Orang Asli-Kindes gepflanzten Bäume dessen Existenz sichern sollen; dass der Wald für die Ureinwohner heilig ist – auch spirituelles Zuhause und Teil ihrer Identität. Ein Eigentumsrecht der Orang Asli am Wald wird nicht anerkannt. – Kein Wunder, dass es häufig Streit gibt mit Holzfirmen und den Behörden – wobei die Ureinwohner meist den Kürzeren ziehen. Immer mehr verlassen den Wald und ziehen in die so genannte Zivilisation – was Thang Hooi Chiew, ein hemdsärmelig wirkender Direktor bei der Forstbehörde, als "positive Entwicklung" bezeichnet. Schadenersatzverhandlungen mit Waldbewohnern sind für Chiew eine höchst überflüssige Übung und das traditionelle Leben der Orang Asli im Wald ein abzuschaffendes Dasein in bitterstem Elend.
"Wir müssen diesen Menschen, im Sinne der gesellschaftlichen Entwicklung Malaysias, das Recht geben, sich für eine Lebensweise zu entscheiden: dafür, weiter im Wald zu leben und von Moskitos gestochen zu werden, oder dafür, Teil der zivilisierten malaysischen Gesellschaft zu werden. Die Politik unserer Regierung ist es natürlich, die Menschen zu letzterem zu ermutigen."
Bim Anasamun und Norvi Ali lebten bis vor 20 Jahren von der Jagd und den Früchten ihrer Bäume, von ein wenig Handel mit Bambus und Rattan. Jetzt haben die beiden nur dann Arbeit, wenn eine Holzfirma Aushilfskräfte sucht; und mit ihren Familien leben sie in einer Siedlung, die die Regierung irgendwo im Niemandsland gebaut hat: in modernen Betonhäusern mit fließend Wasser. Unter deren Zinkdach wird es allerdings so heiß, dass Bim und Norvi Bambushütten im Stile ihrer Ahnen angebaut haben. – Ganz bewusst habe die Regierung solche Siedlungen weit weg vom Wald gebaut, sagt Hugh Blackett vom "Tropical Forest Trust", einer Initiative der internationalen Holzindustrie, die zwischen Industrie und Umweltschützern vermittelt. Indem die Regierung außerhalb des Waldes Häuser und soziale Leistungen kostenlos bereitstelle, wolle sie die Orang Asli von ihrem Wald und ihren Ansprüchen auf seine Ressourcen abschneiden. Die Ureinwohner des Waldes würden ihrer Identität beraubt und zu traurigen Randfiguren der Gesellschaft degradiert.
"Ich glaube nicht, dass die Orang Asli in Malaysias Gesellschaft besonders gut abschneiden. Sie haben bis heute keinen rechten Zugang zum Bildungswesen des Landes gefunden und leben weit außerhalb des Mainstreams. – Sicher, die Regierung hat Siedlungen gebaut für die Orang Asli – mit Gesundheitsstationen und Schulen. Um die Orang Asli allerdings aus ihren Wäldern dorthin zu locken, musste man sie mit allen möglichen Zuwendungen geradezu bestechen. Und jetzt führen sie in den Siedlungen ein elendes Dasein – ohne Arbeit, ohne Würde, in tiefer Depression."