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Zwangsprostitution im EU-Land Rumänien

Eigentlich dürfte es das in der EU nicht geben: der Handel mit Zwangsprostituierten. In Rumänien sehr wohl. Von 1000 rumänischen Mädchen jährlich sprechen die, die sich um die Opfer kümmern - von wenigen Fällen die Regierung. Keno Verseck hat einen Zufluchtsort für Zwangsprostituierte besucht.

Von Keno Verseck | 25.05.2012
    Die Mädchen räumen ihre Zimmer auf. Die Psychologin Iana Matei geht über den Flur, schaut in einige Räume, bleibt überall auf ein paar Worte. Auch bei Dana. Die 22-Jährige, die beinahe kindlich wirkt, fällt ihr um den Hals und klammert sich mit aller Kraft an sie. Nach einer Weile löst sich Iana Matei aus der Umarmung. Später, im Büro, holt sie tief Luft und empört sich.

    Es gebe einen sehr verbreiteten Handel mit minderjährigen Mädchen, die sich zwangsweise prostituieren müssen, sagt die 52-Jährige. Kaum jemand unternehme etwas dagegen, nicht in Rumänien und auch sonst nicht in Europa. Nach offiziellen Angaben gibt es in Rumänien einige Dutzend derartiger Fälle pro Jahr, doch Iana Matei spricht von Tausenden rumänischen Mädchen, die als Sexsklavinnen quer durch Europa verkauft würden.

    Auch Dana war eine von ihnen.

    Hier, in einem großen Landhaus in der Nähe der südrumänischen Stadt Piteşti, kommen Opfer dieser Verbrechen unter, versteckt vor Menschenhändlern und Zuhältern. Deshalb soll ihr genauer Aufenthaltsort geheim bleiben. Zurzeit wohnt hier ein gutes Dutzend Mädchen, ihr Alter liegt zwischen 15 und 23 Jahren. Jede von ihnen hat einen Leidensweg hinter sich: Verschleppung, systematische Misshandlungen, monate- oder jahrelange Zwangsprostitution.

    Seit zwölf Jahren betreut die Psychologin Iana Matei Mädchen, die auf diese Weise missbraucht wurden.

    "Zu Anfang traf ich nirgendwo auf Verständnis, vor allem nicht bei Behörden und Sozialeinrichtungen. Immer kam die Frage: `Wie? Zwangsprostitution?! Die Mädchen hätten sich doch weigern können! Vielleicht wollten sie es ja!´ Auch, dass es um Minderjährige ging, wurde ignoriert. Das war für mich der größte Schock - zu sehen, dass es Kinder in einer Krisensituation gibt und Erwachsene sich weigern, ihre Not wahrzunehmen, und ihnen stattdessen vorwerfen, sie seien selbst schuld."

    Auch Dana macht sich indirekt Vorwürfe für das, was ihr widerfahren ist. Sie sei in schlechte Gesellschaft geraten, erzählt sie stockend und beschämt, habe sich in den Falschen verliebt.

    "Er hat mich betrogen. Er hat mich vor fünf Jahren nach Italien gebracht, er hat gesagt, er würde mitkommen, und im letzten Moment hat er gesagt, er habe noch andere Sachen zu tun, ich solle mit seinen Freunden fahren, er würde bald nachkommen. Er ist dann nicht mehr gekommen. In Italien wurde ich festgehalten, bedroht, geschlagen ... naja, und solche Sachen."

    Fünf Monate dauerte Danas Martyrium. Bei einer Razzia befreite die italienische Polizei sie. Dana ist froh, im Heim von Iana Matei untergekommen zu sein. Sie hat ihr Abitur nachgeholt und will Psychologie studieren. Ihre Mutter verstarb früh, der Vater ist streng religiös. Über das, was ihr angetan wurde, kann sie mit ihm nicht sprechen. Außer ihrem älteren Bruder hat sie nur Iana Matei als Vertraute. Das ist für sie umso wichtiger, als sie eine Zeugin in einem Prozess gegen Menschenhändler sein wird. Leider, sagt Iana Matei, würden solche Kriminellen meistens noch immer viel zu milde bestraft.

    "Es gibt Plakate gegen Menschenhandel, Präventionskampagnen, man geht an Schulen, spricht mit Schülern, aber wenn wir das Problem wirklich lösen wollen, dann müssen Menschenhändler sehr, sehr lange ins Gefängnis kommen und ihre Vermögen konfisziert werden. Doch weder in den Ursprungs- noch in den Zielländern werden drakonische Maßnahmen ergriffen. Die Händler sitzen ein, zwei Jahre im Gefängnis, und die Polizei in Europa kooperiert nicht genug bei der Aufklärung dieser Straftaten. Es scheint, als ob das Thema uns als Gesellschaft einfach nicht so interessiert."