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Zwangsprostitution und Menschenhandel

Rund 40.000 Frauen arbeiten in Spanien als Prostituierte, schätzt die spanische Polizei, und oftmals sieht sie brutale Menschenhändler am Werk. Dennoch sind nur wenige der Opfer bereit, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Denn als Einwanderinnen ohne Papiere halten sie sich meist illegal im Land auf, fürchten die Abschiebung genauso wie die Repressalien ihrer Peiniger. Die spanische Regierung hat jetzt eine Gesetzesnovelle vorgeschlagen, die das ändern soll.

Von Hans-Günter Kellner |
    "Club" oder "Molino Rojo" - "rote Mühle" - blinkt es auf großen Neonlettern von den unzähligen Bordellen den Autofahrern auf der A5 von Madrid durch die La Mancha entgegen. Filme haben solche Schauplätze, von denen es entlang der spanischen Autobahnen viele gibt, schon als romantische Kulissen gezeigt. Doch die Realität hinter den roten Gardinen ist oft grausam, sagt Marta González, Rechtsanwältin beim Projekt Hoffnung, das vor den Zuhältern geflohenen Prostituierten hilft:

    "Sehr viele der Frauen müssen sich dort gegen ihren Willen prostituieren. Sie wurden nach Spanien gebracht, um sie zu Sex-Sklavinnen zu machen. Sie können sich nicht für oder gegen die Prostitution entscheiden, sie haben kein Geld, können sich nicht mit ihren Familien in der Heimat in Verbindung setzen, entscheiden, wann sie arbeiten oder ihre Kunden aussuchen. Die Leute müssen wissen, dass viele der Prostituierten dort absolut versklavt werden."

    Das "Projekt Hoffnung" hilft Prostituierten, den Zuhältern zu entfliehen. Wer das geschafft hat, spricht nicht gerne über seine Erlebnisse. Damit diese Schicksale dennoch bekannt werden, haben die Sozialarbeiterinnen Gespräche mit Betroffenen dokumentiert. Frauen aus Brasilien, der Ukraine oder Rumänien schildern darin, wie ihnen in ihrer Heimat Arbeit als Haushaltshilfen versprochen wurde, erzählen von den Schlägen und Drohungen der Zuhälter in Spanien. Marta González ordnet das knallharte Geschäft ein:

    "Für die Vereinten Nationen ist es das einträglichste illegale Geschäft nach dem Drogen- und dem Waffenhandel. Wir reden von Sklaverei, mit der die Händler große Gewinne machen. Wir kennen Fälle, in denen die Zuhälter die Frauen wie eine Ware mit Gewinn weiterverkauft haben."

    Aus ihren Heimatländern bringen die Frauen oft auch Angst vor der Polizei mit. Dabei suchen die spanischen Beamten bei ihren Razzien in den Bordellen vor allem die Zusammenarbeit der Opfer bei der Strafverfolgung der Täter. Trotzdem wollen die meisten Betroffenen nichts von der Polizei wissen, erzählt Carlos Garrido, Leiter der Sondereinheit sexuelle Gewalt bei der spanischen Guardia Civil:

    "Wir müssen eine Frau, die der Polizei extrem misstraut, relativ schnell davon überzeugen, dass wir ihr helfen können. Dass wir ihr nicht noch mehr Schmerz zufügen. Die Banden haben ihr ja die ganze Zeit eingeredet, dass die Polizei nichts anderes machen wird, als sie auszuweisen oder ins Gefängnis zu bringen. In weniger als einem Tag ist kaum Zeit, sie vom Gegenteil zu überzeugen."

    Rund 15.000 Prostituierte hat die Einheit von Carlos Garrido im Jahr 2007 befragt. Nur zwei Prozent davon wollten gegen die Menschenhändler aussagen. Gegen die übrigen muss die spanische Polizei ein Abschiebeverfahren einleiten, wenn sie sich illegal im Land aufhalten. Auch Garrido hält das nicht für angemessen. Er begrüßt darum eine neue Initiative der spanischen Regierung: Den Zwangsprostituierten soll jetzt eine vierwöchige Bedenkzeit eingeräumt werden, die sie in Frauenhäusern von Hilfswerken betreut verbringen. Sagen sie dann aus, kommen sie in ein Zeugenschutzprogramm, bekommen eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. Davon erhoffen sich die Ermittler mehr Erfolg bei der Bekämpfung des Menschenhandels. Zumal die Banden sich inzwischen umorganisieren:

    "Diese Gruppen haben auf den Druck unserer Ermittlungen reagiert. Sie prostituieren die Frauen immer mehr in Wohnungen. Das erschwert unsere Arbeit sehr. Denn um eine Wohnung zu betreten, benötigen wir einen Durchsuchungsbefehl, für den wir zuerst nachweisen müssen, dass in der Wohnung tatsächlich eine Straftat begangen wird."

    Die Besitzer der Clubs erklären, die Frauen würden sich freiwillig prostituieren. - Der Polizist meint nachdenklich: Wenn auch nicht jede Prostituierte Todesdrohungen erhalte, nutzten die Schlepperbanden deren soziale Notlage in den Heimatländern doch aus und brächten die Frauen illegal nach Spanien, um sie dort sexuell auszubeuten. Nicht immer kann Carlos Garrido das, was er als schreiendes Unrecht empfindet, auch strafrechtlich verfolgen. Doch mag der 41-jährige Capitán der Guardia Civil nicht mehr trennen zwischen Arbeit und Privatleben.

    "Wenn ich nach Hause komme, kann ich nicht einfach wie jeder andere nach Fußballergebnissen suchen. Ich schalte dann den Computer ein und suche weiter in Zeitungen anderer Länder nach Informationen zum gleichen Thema. Wir haben hier mit Menschen zu tun. Du sprichst mit ihnen über ihre Probleme. Es ist unmöglich, sich selbst dabei auszublenden."