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Zwei Grad mehr haben massive Folgen

2010 wird wohl das wärmste Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen werden, so die Klimaforscher. Wie ernst die Warnungen vor einer weltweiten Erwärmung zu nehmen sind, weiß der Ozeanograf und Klimaforscher Stefan Rahmstorf.

Stefan Rahmstorf im Gespräch mit Georg Ehring | 26.11.2010
    Jule Reimer: Der Winter ist da, so früh kam der Schnee selten über Deutschland, und das drei Tage vor Beginn der Weltklimakonferenz im mexikanischen Cancún. Auch die letzten beiden Winter fielen hierzulande ausgesprochen hart aus. Dennoch sagen Klimawissenschaftler voraus, dass 2010 wahrscheinlich weltweit betrachtet das wärmste Jahr seit Beginn der Temperaturaufzeichnungen sein wird. – Mein Kollege Georg Ehring wird für den Deutschlandfunk aus Cancún berichten. Er fragte den Ozeanografen und Mitverfasser des Weltklimaberichts, Stefan Rahmstorf, wie ernst die Warnungen vor einer weltweiten Klimaerwärmung zu nehmen sind.

    Stefan Rahmstorf: Es ist in den letzten zehn Jahren warmer geworden. Nicht nur waren die letzten zehn Jahre das wärmste Jahrzehnt seit Beginn der Aufzeichnungen, sondern auch innerhalb des Jahrzehnts hat sich der Erwärmungstrend fortgesetzt. was man leider häufig erlebt ist, dass Nebelkerzen dieser Art geworfen werden von Interessengruppen. Das sind dann häufig ganz einfache Bauernfängertricks, indem man darauf verweist, dass zum Beispiel das Jahr 1998 – das war nun mal ein besonders warmes Einzeljahr wegen eines Klimaphänomens, El Nino im Pazifik. Das war aber dann gefolgt von 1999 und 2000 als besonders kalte Jahre, weil diese kurzfristigen Schwankungen letztlich die Wärme im System nur umverteilen. Am Langzeit-Klimatrend ändern solche Schwankungen gar nichts.

    Ehring: Heißt das, dass der Klimawandel als solcher in der Wissenschaft völlig unumstritten ist, oder gibt es da auch Für und Wider?

    Rahmstorf: Die Grundfakten zum Klimawandel sind völlig unumstritten, einmal die Tatsache, dass es wärmer wird seit über 30 Jahren und dass diese Erwärmung weit überwiegend vom Menschen verursacht ist. Das ist einfach so überwältigend gut belegt, dass kein seriöser Klimatologe daran zweifeln würde.

    Ehring: Das zwei Grad-Ziel ist das konkrete Ergebnis von Kopenhagen. Wie ist das wissenschaftlich begründet?

    Rahmstorf: Das ist eine Zahl, die man so ähnlich wie eine Geschwindigkeitsbegrenzung innerorts von 50 Stundenkilometer verstehen kann. Es ist insofern wissenschaftlich begründet, aber man kann nicht sagen, es müssen exakt 50 Stundenkilometer oder 2,0 Grad sein, sondern es ist letztlich natürlich eine Risikoabwägung und man muss sich auf irgendeine runde Zahl einigen, damit man ein Ziel hat. Viele Wissenschaftler, mich selbst eingeschlossen, sehen diese zwei Grad-Grenze als eher zu hoch an, weil ich denke, dass die Folgen auch bei zwei Grad globaler Erwärmung doch sehr massiv sein werden. Zum Beispiel besteht eine erhebliche Gefahr, den grönländischen Eisschild zu destabilisieren, auch bei zwei Grad Erwärmung. Deswegen steht ja auch in dem Copenhagen Accord drin, dass man prüfen muss, ob man dieses Ziel noch verschärfen muss, möglicherweise auf 1,5 Grad. Das war eine Forderung der kleinen Inselstaaten und der am wenigsten entwickelten Länder der Erde.

    Ehring: Auf welchem Pfad bewegt sich denn die Welt momentan? Zwei, drei, vier, wie viel Grad?

    Rahmstorf: Das kann man natürlich jetzt noch nicht sagen, weil es von den künftigen Emissionen sehr stark abhängt. Aber was analysiert worden ist, ist die Verpflichtungen, Selbstverpflichtungen sind es ja, die die Staaten nach Kopenhagen eingegangen sind. Wenn es denn alles umgesetzt wird, wären wir auf einem Pfad in eine Welt mit drei bis vier Grad Erwärmung.

    Ehring: Die Bundesregierung hat ja jetzt ein Energiekonzept verkündet und sieht darin ein besonders ehrgeiziges Konzept auch im Klimaschutz. Teilen Sie diese Einschätzung?

    Rahmstorf: Das liegt immer am Maßstab, an dem man es misst. Ich denke, die deutsche Energiestrategie ist ehrgeizig im Vergleich zu dem, was fast alle anderen Länder machen - das muss man sehr positiv anerkennen -, ist aber wohl noch nicht ehrgeizig genug, wenn man es an dem Ziel misst, die globale Erwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen, und dann herunterbricht, was bedeutet das für einen typischen Industriestaat, denn die Industrieländer müssen ja dabei sicherlich aufgrund ihrer wesentlich höheren Pro Kopf-Emissionen auch stärkere Emissionsreduktionen leisten, bis 2050 eher im Bereich 90, 95 Prozent Reduktion, und ob das mit der Energiestrategie der Bundesregierung zu schaffen ist, ist fraglich.

    Reimer: Georg Ehring im Gespräch mit dem Klimaforscher Stefan Rahmstorf vom Potsdaminstitut für Klimafolgenforschung.