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Zwei-Grad-Ziel
"Wir sollten jetzt den ersten Schritt machen"

Seit dem Klimagipfel von Kopenhagen ist das offiziell erklärte Ziel, die Erderwärmung auf unter zwei Grad Celsius zu begrenzen – verglichen mit dem vorindustriellen Zeitalter. Bei aller Diskussion darüber, ob jene zwei Grad überhaupt zu erreichen seien und zudem genügen, gerate das schnelle Handeln leicht aus dem Blick, sagte Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich, im DLF.

Reto Knutti im Gespräch mit Ralf Krauter | 08.12.2015
    Ausgetrocknete Böden im Vordergrund, dahinter Wasserdampf aus Kohlekraftwerken.
    Reto Knutti: "Wir sollten uns nicht verzetteln über das Ende des Jahrhunderts, was dann ist, sondern wir sollten jetzt den ersten Schritt machen." (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Ralf Krauter: Das Zwei-Grad-Ziel wurde ja 2009 zum offiziellen Ziel der globalen Klimapolitik erhoben - und zwar im Rahmen des gescheiterten Klimagipfels in Kopenhagen. Wenn man so will, war das damals das einzig Positive, was unterm Strich stand, das war der politische Minimalkonsens, der damals möglich war. Aber wie ist das Zwei-Grad-Ziel eigentlich heute zu bewerten, mit etwas Abstand zu seiner Geburt? Professor Reto Knutti von der ETH Zürich hat sich dazu aus aktuellem Anlass - Stichwort Paris - gemeinsam mit Kollegen mal Gedanken gemacht, die er heute im Fachmagazin "Nature Climate Change" beschreibt. Ich habe ihn vorhin gefragt, wie sinnvoll das Zwei-Grad-Ziel aus der Sicht des Klimaforschers heute ist.
    Reto Knutti: Für diese Grenze spricht sicherlich, dass wir einiges vom Klimasystem verstehen, und wir wissen, dass die Auswirkungen heute schon spürbar sind des Klimawandels. Der Mensch ist verantwortlich dafür. Wir wissen, dass die Auswirkungen von zwei Grad in vielen verschiedenen Bereichen - sei es Gesundheit, Ökosysteme, Landwirtschaft, Wasser - schon relativ dramatisch sein würden. Auch das Ansteigen des Meeresspiegels: Grönland schmilzt wahrscheinlich bei zwei Grad. Es gibt also schon vieles, was für eine Schwelle ungefähr bei zwei Grad spricht, vielleicht aber sogar noch tiefer. Es kann gut sein, dass wir in ein paar Jahrzehnten sagen müssen, zwei Grad ist zu hoch, wir sollten noch tiefer gehen.
    Krauter: Deshalb argumentieren ja zum Beispiel auch die Vertreter von Inselstaaten in Paris dafür, sich auf ein 1,5-Grad-Ziel zu einigen.
    Knutti: Das ist richtig. Viele von den Inselstaaten, gerade wegen dem Meeresspiegel-Anstieg, sagen, zwei Grad ist zu gefährlich für uns, und drängen auf ein tieferes Ziel im Wissen, dass natürlich ein tieferes Ziel noch schwieriger zu erreichen ist als das Zwei-Grad-Ziel.
    Krauter: Das Erreichen ist ein ganz wichtiges Stichwort. Der IPCC, der Weltklimarat, hat vorgerechnet: Wenn man das Zwei-Grad-Ziel wirklich erreichen will, dann müsste man die globalen CO2-Emissionen bis 2050 um 50 bis 80 Prozent verringern und bis zum Ende des Jahrhunderts sogar ganz auf null herunterfahren. Das ist schon sehr sportlich. Glauben Sie, Hand aufs Herz, überhaupt noch, dass das zu schaffen wäre, wenn man wollte?
    Knutti: Das ist eine schwierige Frage. Wer kann wirklich voraussagen, wie sich unsere Gesellschaft in 100 Jahren entwickelt und welche Technologie wir in 100 Jahren haben? Der Weltklimarat sagt, es ist erreichbar und es ist bezahlbar und wir haben viele von den technischen Möglichkeiten. Andere sind da ein bisschen kritischer und sagen, es ist schon fast zu spät. Aber der Punkt, den wir in diesem Artikel zu machen versuchen, ist, dass es eigentlich gar keine Rolle spielt, was das genaue Ziel ist. Wir sollten uns nicht verzetteln über das Ende des Jahrhunderts, was dann ist, sondern wir sollten jetzt den ersten Schritt machen. Egal ob 1,5 Grad oder zwei Grad, was heute geschehen muss, ist immer dasselbe: Wir müssen die CO2-Emissionen sofort so schnell als möglich reduzieren, und das ist eigentlich die Hauptaussage.
    "Das CO2 muss weg aus allen Bereichen der Gesellschaft"
    Krauter: Und Sie sagen, sich dieses Ziel zu setzen, hilft, die Richtung klar zu machen und dann auch den ersten Schritt zu gehen?
    Knutti: Unbedingt! Dieser erste Schritt ist entscheidend. Es ist ein bisschen, wie wenn Sie um einen Tisch herumsitzen mit mehreren Leuten und debattieren, ob Sie die Treppe nehmen wollen oder den Fahrstuhl, wenn das Haus brennt, aber im gleichen Moment stehen Sie nicht auf und tun etwas. Und wenn das Haus wirklich brennt, dann sollte man irgendwie doch versuchen, möglichst schnell den Ausgang zu finden und nicht zu debattieren, was man dann tut am Ende von diesem ganzen Prozess. Wirklich der erste Schritt ist entscheidend und der muss jetzt möglichst schnell geschehen.
    Krauter: Nun gibt es aber auch andere Fachleute, die sagen, na ja, welchen Sinn macht es denn, der Politik oder auch den Menschen ein Ziel vorzuhalten, was sie wahrscheinlich gar nicht mehr erreichen können. Das kann ja auch demotivierend wirken. Wenn wir uns die freiwilligen Zusagen anschauen, die in Paris derzeit auf dem Tisch liegen, landen wir in einer 2,7-Grad-Welt ungefähr bis zum Jahr 2100. Das reicht, das reicht hinten und vorne nicht. Könnte dieses Ziel als Vorgabe nicht verpuffen, wenn allen klar wird, wir schaffen es gar nicht?
    Knutti: Natürlich sind im Moment die Zusagen nicht genügend. Das ist völlig richtig. Aber das Ziel ist ja auch nicht eine exakte Grenze, so wie ein Tempolimit auf der Autobahn nicht eine exakte Grenze zwischen Leben und Tod ist, sondern es ist einfach so: Je höher man kommt, desto schlimmer wird es. Und es kann sein, dass wir am Schluss vielleicht bei 2,5 landen statt bei zwei, aber das ist immer noch besser als vier oder fünf Grad, wenn wir gar nichts tun.
    Krauter: Was ist Ihr Wunsch, Ihre Forderung nach Paris? Was müsste da herauskommen, damit der Gipfel ein Erfolg wird, retrospektiv gesehen?
    Knutti: Es ist nicht die Aufgabe der Wissenschaft, Politik zu machen und zu sagen, was der Wunsch ist. Unsere Aufgabe ist, vor allem die Grundlagen zu liefern. Aber es ist klar: Die Gesellschaft hat entschieden, zwei Grad soll das Ziel sein im Moment. Auch wenn das Ziel ein bisschen anders ist, ändert das nichts an der Aufgabe, dass wir einfach diese Dekarbonisierung einleiten müssen. Das heißt, das CO2 muss weg aus allen Bereichen der Gesellschaft, und das muss sehr schnell gehen. Wenn wir eine Chance haben wollen, dieses Ziel zu erreichen, das wir uns gesetzt haben, dann muss wirklich jetzt ein Abkommen unters Dach, wo alle Länder dabei sind. Vielleicht werden die Zahlen am Anfang nicht ausreichen, aber hoffentlich können wir das in den nächsten Jahren und Jahrzehnten dann weiter verstärken.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.