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Zwei Jahre nach dem Krieg

Zwei Jahre nach dem bewaffneten Konflikt um Südossetien ist das Verhältnis zwischen Georgien und Russland angespannt. Während Russland Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten anerkannt hat, betrachtet Georgien die beiden Gebiete nach wie vor als sein Staatsgebiet. Der georgische Präsident Micheil Saakaschwili setzt auf Konfrontation mit dem großen Nachbarn.

Von Gesine Dornblüth |
    Zu Besuch bei einer Familie im georgischen Kazbegi. Khatuna und Jago Kazalikaschwili haben gerade gegessen. Gemeinsam mit der Oma trinken sie Tee. Kazbegi liegt in den Bergen des Kaukasus. Es ist der letzte Ort vor der russischen Grenze. Vor zwei Jahren, als die russische Luftwaffe Georgien bombardierte, war Khatuna Kazalikaschwili gerade in der Hauptstadt Tiflis. Sie arbeitet dort als Ärztin. Ihr Mann und die Kinder waren hier, in Kazbegi.

    "Es herrschte Mobilmachung. Wir Ärzte mussten uns bereithalten. Niemand wusste, ob und wann die russischen Soldaten in Tiflis einmarschieren würden. Dann geschah etwas Komisches.

    In Georgien glauben die Kinder, dass es Regen gibt, wenn sie einen Marienkäfer fangen und der dann nicht auf dem Finger nach oben krabbelt und wegfliegt, sondern sich tot stellt. Hier in Kazbegi konnten die Leute zusehen, wie die russischen Kriegsflugzeuge über die Berge flogen, und welchen Kurs sie nahmen, um Bomben zu werfen. Da hat mein Sohn mich in Tiflis angerufen und mir gesagt: Mama, ich habe gerade einen Marienkäfer zerdrückt, bestimmt ziehen gleich Wolken auf."

    Der Junge wollte sie mit diesen Worten beruhigen. Bei bewölktem Himmel, dachte er, würden die Russen nicht angreifen können. Kurz vor Tiflis machten sie damals tatsächlich kehrt. Khatuna Kazalikaschwili wischt sich die Tränen aus den Augen.

    Der Krieg mit Russland hat die Georgier schockiert. Viele Menschen sind verunsichert: über ihre Regierung und insbesondere über den außenpolitischen Kurs ihres Landes. Präsident Micheil Saakaschwili hält auch nach dem Krieg an dem Ziel fest, sein Land in die NATO und in die EU zu führen. Er und seine Regierung betrachten Russland als Aggressor und Besatzer. So auch Giorgi Baramidze, Minister für die europäische Integration Georgiens. Russland wolle die Sowjetunion wieder herstellen, wird er nicht müde zu betonen.

    "Es würde ja schon reichen, wenn Russland ganz einfache Dinge respektieren würde: internationales Recht, internationale Grenzen, die Souveränität seiner Nachbarn, Menschenrechte.

    Natürlich können wir nicht erwarten, dass Russland sich über Nacht aus den Gebieten zurückzieht, die es in Georgien besetzt hat. Aber es wird das tun, wenn wir die Russen davon überzeugen, dass kein Staat auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion je in die russische Einflusssphäre zurückkehren wird - erst recht nicht Georgien."

    Baramidze setzt auf die EU. Die westlichen Regierungen sollten den Druck auf den Kreml erhöhen, damit Russland sich aus Südossetien und Abchasien zurückziehe.

    Das werde nicht funktionieren, meinen einige georgische Oppositionspolitiker. Sie suchen mittlerweile Kontakt mit der russischen Regierung. Zurab Noghaideli zum Beispiel. Er war mal unter Saakaschwili Premierminister. Mittlerweile zählt er zu den schärfsten Kritikern des Präsidenten. In den letzten Monaten war er mehrfach in Moskau.

    "Ich will Georgien die Chance für eine Wiedervereinigung mit Abchasien und Südossetien eröffnen. Seit dem Krieg im August 2008 ist klar, dass die konfrontative Politik gegenüber Russland dazu führt, dass die Landesteile sich noch weiter voneinander entfernen, anstatt sich einander anzunähern.

    Natürlich müssen wir zuallererst mit den Abchasen und den Südosseten verhandeln. Dazu aber müssen wir Russland einbeziehen."

    Noghaideli hat in Moskau diverse Regierungsvertreter getroffen und sogar eine Kooperationsvereinbarung mit der Putin-Partei "Einiges Russland" unterzeichnet. Die russische Regierungspartei ist nicht gerade für ihre demokratische Vielfalt berühmt. Bei vielen Georgiern weckt Noghaidelis Vorstoß denn auch Misstrauen. Doch eines ist vielen klar: Es kann nicht so weitergehen wie bisher zwischen Georgien und Russland. Das meinen auch die Kazalikaschwilis in Kazbegi. Sie haben große Angst, dass sich ein Krieg wiederholen könnte.

    "Solange Putin und Medwedew an der Macht sind, werden die Spannungen andauern. Und Saakaschwili. Die muss man alle drei auswechseln. Wir brauchen neue, vernünftige Leute in der Regierung, hier und dort. Wir sind doch Nachbarn. Wir müssen miteinander auskommen."


    Programmtipp

    Bruderzwist im Kaukasus - Georgien und das schwierige Verhältnis zu Russland ist am 31. Juli 2010 Thema der Sendung "Gesichter Europas".