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Zwei Jahre nach dem Tankerunfall der Prestige

Zwei Jahre ist es her, dass vor der westspanischen Küste der mit 77.000 Tonnen minderwertigem russischem Rohöl beladene Tanker Prestige SOS funkte. Das Schiff hatte ein Loch im Rumpf und wollte von der Seenotrettung in einen Hafen geschleppt werden. Die spanischen Behörden wollten einem auslaufenden Öltanker keinesfalls Zuflucht gewähren, sondern befahlen statt dessen, ihn so weit aufs offene Meer wie nur möglich zu schleppen. Die weitreichende Verseuchung der Küste wurde damit nicht verhindert. Der "Fall Prestige" war die bisher schlimmste Ölpest in Spanien. Heute sind die meisten Strände in Galicien zwar wieder weiß. Aber immer noch sind viele Fragen offen: Die Schuldfrage ist nicht geklärt, niemand weiß, warum der Tanker eigentlich leck schlug, und strittig ist auch, wieviel Öl eigentlich noch im Rumpf der gesunkenen Prestige ist.

Von Hans-Günter Kellner |
    Die nehmen uns auf den Arm. Die Regierung informiert uns einfach nicht. Das kann doch nicht sein, hier gab es schon so viele Tankerunglücke, und genau das Gleiche wird auch wieder passieren.

    Das sagte eine spanische Fischersfrau in der galizischen Hauptstadt Santiago de Compostela vor fast genau zwei Jahren auf einer der vielen Kundgebungen gegen die Ölpest. Inzwischen hat es in Spanien einen Regierungswechsel gegeben, aber die offiziellen Verlautbarungen zum "Fall Prestige" klingen wie damals. So hat ein großer spanischer Mineralölkonzern angeblich bis auf einen kleinen Rest von 1,6 Tonnen sämtliches Rohöl aus dem in 3.700 Metern Tiefe liegenden Wrack abgepumpt. Das behaupten der Konzern und die Regierung. Unabhängige Wissenschaftler bezweifeln das jedoch. Der spanische Physiker José Luis de Pablos:

    Wenn unsere Berechnungen stimmen, dann sind noch rund 20.000 Tonnen im Schiff. Dieser Rest ist in dem kalten Wasser und unter hohem Druck in der großen Tiefe zu einer gel-artigen Masse geworden. Diese Masse wird mit der zunehmenden Korrosion des Wracks schnell frei werden. Je höher sie dann steigt, um so wärmer und flüssiger wird sie. Das Öl wird dann wieder an die Küsten bis an die Bretagne geschwemmt.

    Die Rechnung der Wissenschaftler ist einfach: Als die Prestige am 19. November 2002 sank, waren noch 50.000 Tonnen Rohöl im Tank. Zieht man davon die beim Sinken entwichene und die später noch aus dem Schiff geborgene Menge Öl ab, bleiben mehr als 20.000 Tonnen übrig, die noch im Schiff sein müssen. Die Wissenschaftler um Physiker de Pablos gehen zudem davon aus, dass sich im Wrack Bakterien befinden, die die Zersetzung des Rumpfs beschleunigen. Schon in vier Jahren könnte von der Prestige selbst nicht mehr viel übrig bleiben.Die Wissenschaftler schlagen der spanischen Regierung deshalb vor, das Öl im Schiff in einen Betonmantel einzuschließen.

    Wir haben vergleichbare Unglücke in Europa untersucht. Niemals konnte sämtliches Öl geborgen werden. Im Fall der vor der deutschen Küste havarierten Pallas wurde das verbleibende Öl isoliert, um ein weiteres Austreten zu verhindern. Ich weiß nicht, warum die Regierung unsere Arbeiten nicht anerkennt. Ich kenne den Einfluss der Mineralölkonzerne auf die deutsche Regierung nicht. In Spanien und Frankreich ist der Einfluss dieser Konzerne jedenfalls sehr groß.

    Doch nicht nur die Prestige in fast 4000 Metern Tiefe ist immer noch ein Problem. Niemand weiß in Spanien so recht, was mit den weit über hunderttausend Tonnen an Gemisch aus Schweröl, Sand, Meereswasser, toten Tieren und Plastikabfällen passieren soll, das bei der Säuberung des Meeres und der Strände angefallen ist. Das Umweltministerium hat das beabsichtigte Recycling vorerst gestoppt. Schließlich will man das minderwertige Rohöl hinterher nicht doch noch mit einem Tanker in die Dritte Welt verschiffen. Bliebe als Alternative die Lagerung als Sondermüll in einer eigens dafür zu schaffenden Deponie.

    Fortschritte gab es immerhin vor allem auf spanischen Druck in der Frage, wie künftig Rohöl auf den Weltmeeren transportiert werden darf. Bis 2010 sollen die gefürchteten Einhüllentanker aus dem Verkehr gezogen werden. Und: Das Meer vor den Küsten von Schottland bis in den Süden Portugals gilt nun als ökologisch besonders sensibles Gebiet. José Luis García von der spanischen Sektion der Umweltstiftung WWF kann sich jedoch nicht so richtig freuen:

    Ursprünglich wollte man verbieten, dass Einhüllentanker überhaupt durch diese Region fahren dürfen. Doch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation hat sich dem widersetzt. Die einzige Einschränkung ist nun, dass Tanker, die Schweröl transportieren, jetzt melden müssen, wenn sie in dieses Gebiet hinein, oder herausfahren.

    So hat man jetzt ein ökologisch sensibles Gebiet, das aber zumindest für eine Übergangsfrist jedes Schiff mit jeder Art Ladung durchqueren darf. An der westspanischen Küste gab es bisher im Schnitt alle zehn Jahre ein Tankerunglück. Die Menschen sind skeptisch, ob die bisher getroffenen Maßnahmen sie wirklich vor einer neuen Umweltkatastrophe schützen können.