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Zwei Jahre nach der Sprengung der Havel-Deiche

Am 21. August 2002 wurden an der Unteren Havel Deiche gesprengt, um einen Teil der Elbeflut ins Westhavelland ablaufen zu lassen. Brandenburg und Niedersachsen blieben so von größeren Hochwasserschäden verschont. Zwei Jahre danach investiert der Bund nun rund 20 Millionen Euro an der unteren Havel, um den 90 Kilometer langen Flussabschnitt bis zur Mündung in die Elbe zu renaturieren, also in einen naturnahen Zustand zurück zu führen.

Von Maren Schibilsky |
    Schwarzer Rauch steht am Himmel über Strodehne. Die Luft riecht nach verbrannter Erde. Anderswo werden Deiche in aller Eile hochgezogen. Hier sprengt man sie in die Luft. Wir waren schockiert. Wir konnten es gar nicht fassen, dass alle Deiche, die eigentlich zu unserem Schutz waren, plötzlich gesprengt wurden.

    Havelbauer Karsten Klingbeil aus Strodehne steht an der Stelle, wo am 21. August 2002 der Sprengsatz der Bundeswehr detonierte. Heute ist auf dem Schafhorst-Polder-Deich nichts mehr zu sehen. Doch damals liefen seine 850 Hektar großen Flächen hinterm Deich wie eine Badewanne mit Elbewasser voll, das über die Havelmündung in die Elbe hierher kam. Er opferte 2002 seine gesamte Grünland-, Mais- und Getreideernte - für die Elbanlieger in Niedersachsen und Brandenburg.

    Gedankt wurde ihm das mit einer Entschädigung. Teures Futter musste er davon kaufen, um seine 2000 Zuchtrinder satt zu bekommen.

    Zwei Jahre danach laufen durch seine Futtermaschine immer noch zugekauftes Gras, Getreide und Mais. Dem Hochwasserjahr folgte das Dürrejahr 2003. Die Futtervorräte in den Silos sind komplett aufgebraucht. Bei Karsten Klingbeil liegen die Nerven blank. Nun beginnt in diesem Jahr Deutschlands größtes Flussrenaturierungsprojekt vor seiner Haustür. Er hat Angst - um sein Grünland vor dem Haveldeich:

    Die Tiere werden ernährt von Futter, das auf den Flächen gewonnen wird, die links und rechts der Havel liegen und die auch im Zuge der Renaturierung unterschiedlichen Wasserständen ausgesetzt werden.

    Christian Unselt von der Naturschutzbund-Stiftung "Nationales Naturerbe" versichert, dass kein einziger Hektar Bauerngrünland durch das Renaturierungsprojekt an der unteren Havel Schaden nimmt. Auf einer Wandkarte zeigt der Projektleiter, was genau am Flussabschnitt zwischen Rathenow und Havelberg passieren soll in den nächsten 15 bis 20 Jahren:

    Der Gesamtbereich, der in die Renaturierung einbezogen werden soll, ist knapp 90 Kilometer lang. Auf Teilbereichen werden Altarme wieder angeschlossen. Es werden Deckwerke an den Ufern zurückgebaut. Es werden dadurch neue Inseln entstehen, auf denen sich Auwald entwickeln können soll. Insgesamt betrachten wir ein Projektgebiet von 480 Quadratkilometern.

    Und das sei auch ein Gewinn für den Hochwasserschutz. Denn an einigen Stellen sollen auch Deiche versetzt werden, um neue Überflutungsräume zu schaffen. Angeblich nur dort, wo kein Bauer wirtschaftet. Solche Flächen soll es im dünn besiedelten Westhavelland genug geben. Christian Unselt erklärt, warum sich die untere Havel für die Renaturierung so gut eignet:

    Man muss sehen, dass bei der unteren Havel die Bedeutung als Wasserstraße entfallen ist durch die zwischenzeitlich gebauten Kanäle. Auch mit der neuen Kanalbrücke bei Magdeburg ist die Schifffahrt heute nicht mehr auf die Havel angewiesen. Sie kann heute direkt über die Kanäle von Hamburg nach Berlin fahren.

    Bundesumweltminister Jürgen Trittin ist davon so begeistert, dass er 20 Millionen Euro für das Vorhaben spendieren will.
    Den Rest des insgesamt 25 Millionen Euro schweren Projektes wollen neben der Stiftung "Nationales Naturerbe" die beteiligten Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt aufbringen. Denn das größte Kapital des Westhavellandes ist seine Natur - meint Umweltreferent Joachim Franke vom betroffenen Landkreis Stendal:

    Es sind ja jetzt schon viele Touristen hier, die angelockt werden durch diesen Artenreichtum, durch Biber, Seeadler und den nordischen Gästen, die wir jeden Herbst und Frühjahr hier haben. Das lockt sehr viele Menschen an und das ist auch vom Wasser aus zu sehen.