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Zwei Jahre Papst Franziskus
"Extrem radikal und selbstbewusst"

Papst Franziskus hat in seiner zweijährigen Amtszeit mit seinem unkonventionellen Stil schon einiges bewirkt, findet ARD-Rom-Korrespondent Tilmann Kleinjung. Zwar sei er kein großer Kirchenreformator - auch falle ihm seine "Hemdsärmeligkeit" immer wieder auf die Füße -, jedoch habe er eine Agenda, die er fleißig abarbeite, sagte Kleinjung im DLF.

Tilmann Kleinjung im Gespräch mit Andreas Main | 13.03.2015
    Papst Franziskus bereitet sich anlässlich der Gebetswache auf die Bischofssynode zur Familie auf dem Petersplatz in der Vatikanstadt am 4. Oktober 2014 vor.
    Papst Franziskus bereitet sich anlässlich der Gebetswache auf die Bischofssynode zur Familie auf dem Petersplatz in der Vatikanstadt am 4. Oktober 2014 vor. (imago/xim.gs)
    Andreas Main: Herr Kleinjung, beginnen wir an der Oberfläche. Der Papst wohnt immer noch im Gästehaus, verzichtet auf Dienstwagen der Oberklasse. Vor allem für seine volkstümliche zupackende Art wird er geliebt, gerade auch Kirchendistanzierte bejubeln ihn. Was aber hat Franziskus bisher nach innen bewirkt? Ist er aus Ihrer Sicht ein Reformpapst, oder überwiegen die Ankündigungen?
    Tilmann Kleinjung: Ich bin nicht einverstanden damit, ihn nur auf diese Symbolik zu reduzieren, vor allem weil ich glaube, dass diese Symbolik auch sehr viel schon bewirkt hat. Ob man das jetzt Reformen nennt oder einen Bewusstseinswandel benennt, ob man das einen Imagewandel nennt, das lasse ich mal dahin gestellt sein. Aber wenn ein Papst einen Kleinwagen fährt, wenn ein Papst sich einen Plastikregenponcho umwirft und Wind und Wetter auf den Philippinen trotzt, dann finde ich schon, dass das eine gewaltige Aussagekraft hat und dass diese Aussagekraft auch etwas ist, was Veränderung in der katholischen Kirche und darüber hinaus bewirkt. Es sind also Gesten, vielleicht sagt man besser ein Stil, hinter den seine Nachfolger nicht mehr zurück können. Dieser Stil hat auch im weltlichen Bereich schon einiges bewirkt. Hier gibt es einen neuen Staatspräsidenten; und der fährt auch nur noch Panda und macht seine Flüge in der Linie und nicht mit der Präsidentenmaschine. Also von daher hat das einen gewissen Vorbildcharakter, der dann tatsächlich auch mehr hat als nur Symbolik.
    Main: Schauen wir mal an einem Punkt genauer hin. Er macht Bischöfe zu Kardinälen, die überwiegend aus der südlichen Hemisphäre kommen. Viele sind aus Lateinamerika, Afrika, auch Asien. Die werden auch seinen Nachfolger wählen. Was bringt diese Akzentverschiebung: weg von Europa?
    Kleinjung: Die bewirkt zunächst einmal eine Neujustierung des Kardinalskollegiums, wo es ja bisher so war, dass die übergroße Mehrheit der Kardinäle aus der sogenannten Alten Welt kamen, also aus Europa, vor allem aus Italien, vor allem auch aus Nordamerika. Wenn man bedenkt, dass allein die Deutschen beim letzten Konklave sechs Kardinäle gestellt haben. Das ist ein Ungleichgewicht gegenüber beispielsweise einem Land wie allein Brasilien, das viel mehr Katholiken hat, das nur fünf Kardinäle im Konklave stellte, oder Nigeria, das nur zwei Kardinäle stellte, dann sieht man, dass da was neu justiert werden muss. Das geht Franziskus konsequent an und will natürlich auch auf diese Weise Fakten schaffen für das nächste Konklave. Er sucht sich aber nicht nur jetzt Kardinäle aus in Ländern, wo ein starker katholischer Bevölkerungsanteil ist, sondern er geht tatsächlich an diese Ränder der Welt und der Gesellschaft, an die Kapverden, nach Tonga, wo es eben so viele Katholiken gar nicht gibt, wo er aber ein starkes Zeichen setzt, dass ihm diese Ränder sehr, sehr wichtig sind. Wo er gleichzeitig auch ein ganz starkes Signal an die Europäer sendet: Ihr seid nicht so wichtig, wie ihr glaubt.
    "Zielstrebig, eifrig und sehr, sehr fleißig"
    Main: Die Weltöffentlichkeit liebt diesen Papst - zumindest zum aller größten Teil. In der Kurie allerdings hat er offenbar mächtige Feinde. "Franziskus unter Wölfen" heißt zum Beispiel ein Besuch des Vatikankorrespondenten Marco Politi. Gehen Sie - wie er - auch davon aus, dass wir es mit einem progressiven Papst zu tun haben, der mehr verändern will, als vielen Kardinälen lieb ist?
    Kleinjung: Ich glaube, er passt nicht in diese doch sehr europäisch dominierten Schemen von "das ist ein Linker", "das ist ein Rechter", "das ist ein Liberaler", "das ist ein Progressiver". Ich glaube, er ist einfach ein extrem radikaler, selbstbewusster Papst, der ziemlich genau weiß, was er will, der eine Agenda hat, der ein Projekt hat, der ein Ziel hat, das er umsetzen will. Das ist teilweise nicht sein eigenes Projekt, es ist teilweise das Projekt, das ihm im Vorkonklave als Auftrag von den Kardinälen mitgegeben wurde. Dass er sich mit diesem Projekt, das er sehr zielstrebig und eifrig und sehr, sehr fleißig umsetzen will, nicht nur Freunde - vor allem in der Kirchenleitung - macht, das wundert mich überhaupt nicht. Aber es gibt beileibe jetzt keine Majorität von Franziskus-Gegnern. Es gibt auf der einen Seite die Unzufriedenen, die sagen: Ja, wir haben doch auch in den letzten Jahrzehnten sehr ordentlich gearbeitet, warum werden wir jetzt von diesem Papst so gebasht, also, warum müssen wir uns das anhören? Zum Beispiel die Rede mit den 15 Krankheiten der Kurie. Warum müssen wir so viel ändern, wo früher doch auch nicht alles schlecht war? Und dann gibt es diejenigen, die tatsächlich Opposition machen. Da gibt es zum Beispiel diesen US-amerikanischen Kardinal Raymond Leo Burke, der ganz offen zu seiner Opposition zu Franziskus steht. Und dann gibt es diejenigen, die hoffen, dass diese Reform vielleicht teilweise Erfolg hat, aber dass sie selber nicht so richtig davon betroffen sind, die also auf diese Weise bremsen. So gibt es ganz unterschiedliche Schattierungen in der Opposition, die oft gar nichts miteinander zu tun haben.
    Main: Zwei Jahre Papst Franziskus - was sind die strukturellen Veränderungen, die sich jetzt schon abzeichnen? Wie wird sich die Kurie verändern?
    Kleinjung: Die Kurie wird sich vermutlich, nachdem, was die Kardinäle, die mit der Reform beauftragt sind, sagen, dahingehend ändern, dass es weniger kleinteilig ist. In den letzten Jahrzehnten haben die Päpste sozusagen für jedes Lieblingsfeld, das sie hatten, eine eigene Einrichtung, einen Päpstlichen Rat gegründet, den Päpstlichen Rat für die Krankenseelsorge, Benedikt XVI. zum Beispiel den Rat für die Neuevangelisierung. Und so hat jeder ebenso seine Lieblingsthemen auch institutionell gesichert und strukturell so verfestigt, dass es dann eben einen Rat gibt mit einem Präsidenten und einem Sekretär und unter dem Sekretär mit dem entsprechenden Unterbau. Das, denke ich, wird sich alle etwas komprimieren. Man wird große Bereiche schaffen, wo dann Dinge, die zusammengehören, auch zusammengebracht werden. Dadurch wird schon etliches effizienter werden. Also, ich kann mir vorstellen, dass der Themenbereich Ökumene, der jetzt in einem eigenen Rat organisiert ist, in irgendeiner Form auch zur Glaubenskongregation wandert und es dann zum Beispiel diese Missverständnisse auf der einen Seite zwischen der Glaubenskongregation und zwischen den ökumenischen Gesprächen so nicht mehr gibt, weil man eben sehr viel enger und sehr viel intensiver zusammenarbeitet und auf diese Weise versucht, Missverständnisse zu beheben. Oder dass auch die Neuevangelisierung in dieses Feld hinüber wandert und nicht da irgendwie eigenständig tätig wird, sondern dass man das eben alles unter einem Dach bündelt - in welcher organisatorischen Form, das ist ja noch völlig offen. Und wer dann da der Chef ist und wer der Unterchef - auch das ist noch völlig offen.
    "Er hat einen Vertrauensvorschuss bei den Menschen"
    Main: Abschließend - ist Franziskus, wie manch ein Spötter meint, der arglose Weltpfarrer oder der Kirchenreformator, der Kirchengeschichte schreiben wird?
    Kleinjung: Das ist eine gute Frage. Also ich glaube, er ist der arglose Weltpfarrer. Die Naivität, auch dieses manchmal Hemdsärmelige, das haben wir jetzt doch in letzter Zeit häufiger gemerkt, dass ihn das manchmal auch ein bisschen auf die Füße gefallen ist, als er zum Beispiel bei den Pressekonferenzen im Flugzeug auf seiner Asienreise davon sprach, dass man, wenn einer seine Mutter beleidigt, auch mal die Faust gebrauchen dürfe, oder man damit rechnen müsse. Und das in Bezug auf islamistischen Terror! Das ist ein etwas missglückter Vergleich. Aber da war er eben der Weltpfarrer, der anschaulich sprechen wollte, der Menschen etwas sagen wollte in ihrer Sprache. Und das kann eben auch mal schief gehen. Das wird diesen Papst, das ist das an sich Erstaunliche, immer wieder auch verziehen. Er hat anscheinend einen solchen Vertrauensbonus, einen solche Vertrauensvorschuss bei den Menschen, dass sie ihm solche suboptimalen Äußerungen, solche wirklich fragwürdigen Äußerungen auch nicht übel nehmen. Auf der anderen Seite würde ich sagen, ist er kein Reformator. Aber er ist nicht der Unbedarfte, der einfach von einer Reform in die nächste stolpert oder ein Projekt nach dem nächsten anreißt, sondern ich glaube schon, dass er möglichst viel anstoßen will, möglichst viel Prozesse anstoßen will, die zu einer Veränderung der Kirche führen. Das liegt teilweise an dem Vorkonklave, wo die Kardinäle dem neuen Papst, der damals noch nicht bekannt war, auf den Weg gaben: Man müsste was machen mit den Finanzen beim Vatikan. Man muss die Kurie reformieren. Man muss was machen für die Weltkirche, dass die deutlich besser repräsentiert ist, und so weiter. Und wir merken peu à peu, wie er Dinge aus diesem Vorkonklave abarbeitet, Stück für Stück. Bestimmt ist auch das Themenfeld "Familie, Ehe" einer von diesen Arbeitsaufträgen aus diesem Vorkonklave vor zwei Jahren.