Es gibt die Tradition, sich zum Beschauen des Mondes zu verabreden. Sein Silberschein verändert die Wirklichkeit und lenkt auf geheime Kräfte. Die Konturen verschwimmen, alles fließt.
"Fließende Welten" hat auch John Neumeier seine Stücke über japanische Motive betitelt. "Seven Haiku of the Moon" heißt das erste. Zu Musik von Bach und Pärt nähert es sich tatsächlich im Rhythmus von sieben aus dem Off tönenden Haikus, den traditionellen japanischen Kurzgedichten, dem bestimmenden Mond. Thiago Bordin gibt ihm Gestalt. Als weißschimmernde Erscheinung zieht er im Hintergrund vorüber, während eine nachtblaue Tänzergruppe als Spiegelungen des Himmels über den Bühnensee springt.
Alexandre Riabko, der als Betrachter im Boot sitzt, erinnert an den Fährmann über den Totenfluss. Am Ende des Stücks taucht das Boot tatsächlich jenseits der Bühne, ganz weit hinten noch mal auf. Die Lebensreise ist vorüber. So verquickt Neumeier Mythen und findet traumschöne Bilder, die den Versen der Haikus entsprechen.
Die Vanitas-Idee der fließenden Welten bedeutet aber auch: Pflücke den Tag. Schreiend entern die Tänzer die Bühne, zappeln und rotieren, Bordin kehrt in glühendem Rot zurück - der Mond ist auch Beschützer der Liebenden. Tänzerinnen hüpfen freudig erregt auf Spitze und formen sich zu wehendem Geäst, Frühling webt, Riabko hebt Joelle Boulogne ins Glück.
Schon fällt ein rechteckiger Lichtblock auf die Bühne: Der Haiku spricht vom Schatten eines Grabsteins. Riabko umfasst eine fiktive Partnerin, greift ins Leere. Boulogne ist nur noch eine weiße Fee im Hintergrund. "Mein zeterndes Weib, wäre es nur hier" pointiert der Haiku.
Für das zweite Stück, "Seasons – the Colours of Time", wechselt Neumeier ins Humoristische, und dafür hat er in Lloyd Riggins einen idealen Interpreten. Mit Hut und Mantel tastet der sich auf dem Lichtstrahl vor, begegnet seinem inneren Selbst, das nachher in Gestalt des jungen Alexandr Trusch in den Frühling springt. Halbnackte Tänzer rennen ihre Manneskraft heraus. Riggins entdeckt in der weißen Ballerina Anna Polikarpova, die als die Zeit firmiert, zunächst die Mutter, strampelt zu ihr hin, legt seinen Kopf in ihre Hände. Später wird sie seine erste Liebe: Lustig, wie sie aus seinen Augen walzert und er jedes Mal ganz entzückt ist, sie nach der Drehung wiederzusehen.
Am Ende der Jahreszeitenfolge und manchem Ringen mit seinem männlichen Alter Ego Carsten Jung erscheint unserem clownesken Helden der Leiermann aus Schuberts "Winterreise". Man ahnt es schon: Auch in dessen weitem Mantel steckt die Urmutter Zeit. Sie birgt den Wandermüden darin, bevor er in eisigen Nebel taucht und unter dem sinkenden schwarzen Vorhang die Hand ausstreckt zu uns, den Lebenden.
Dass Neumeier zu den wenigen Choreografen gehört, die auch Humor ausdrücken können, zeigt sich hier eindrucksvoll. Ihm gelingt eine melancholische Komödie des Lebens, die gut mit den fließenden Bildern des ersten Teils kontrastiert. Zweimal Fülle des Lebens in mondgleicher Gelassenheit.
Die Stücke entstanden für Jubiläen des Tokyo Balletts und sind nun erstmals in Deutschland zu sehen. Die Figur des Wanderers zu neuen Ufern, die Neumeiers Werke so oft durchzieht, sei es als Gralssucher im "Parzival", als Künstler in "Nijinsky" und Andersens "Meerjungfrau" oder als Getriebener in der "Winterreise" und den abstrakten Mahler-Balletten, sie hat einen neuen Bruder aus einem anderen Kulturkreis bekommen. In Motiven, Farben, Stimmungen schöpft Neumeier diesmal aus der japanischen Tradition, in den Bewegungen meidet er den Exotismus und bleibt ganz zeitgenössisch frei. So zieht er uns aus dem sonnigen Rationalismus hinüber in die Gefühlswelt des Mondes.
"Fließende Welten" hat auch John Neumeier seine Stücke über japanische Motive betitelt. "Seven Haiku of the Moon" heißt das erste. Zu Musik von Bach und Pärt nähert es sich tatsächlich im Rhythmus von sieben aus dem Off tönenden Haikus, den traditionellen japanischen Kurzgedichten, dem bestimmenden Mond. Thiago Bordin gibt ihm Gestalt. Als weißschimmernde Erscheinung zieht er im Hintergrund vorüber, während eine nachtblaue Tänzergruppe als Spiegelungen des Himmels über den Bühnensee springt.
Alexandre Riabko, der als Betrachter im Boot sitzt, erinnert an den Fährmann über den Totenfluss. Am Ende des Stücks taucht das Boot tatsächlich jenseits der Bühne, ganz weit hinten noch mal auf. Die Lebensreise ist vorüber. So verquickt Neumeier Mythen und findet traumschöne Bilder, die den Versen der Haikus entsprechen.
Die Vanitas-Idee der fließenden Welten bedeutet aber auch: Pflücke den Tag. Schreiend entern die Tänzer die Bühne, zappeln und rotieren, Bordin kehrt in glühendem Rot zurück - der Mond ist auch Beschützer der Liebenden. Tänzerinnen hüpfen freudig erregt auf Spitze und formen sich zu wehendem Geäst, Frühling webt, Riabko hebt Joelle Boulogne ins Glück.
Schon fällt ein rechteckiger Lichtblock auf die Bühne: Der Haiku spricht vom Schatten eines Grabsteins. Riabko umfasst eine fiktive Partnerin, greift ins Leere. Boulogne ist nur noch eine weiße Fee im Hintergrund. "Mein zeterndes Weib, wäre es nur hier" pointiert der Haiku.
Für das zweite Stück, "Seasons – the Colours of Time", wechselt Neumeier ins Humoristische, und dafür hat er in Lloyd Riggins einen idealen Interpreten. Mit Hut und Mantel tastet der sich auf dem Lichtstrahl vor, begegnet seinem inneren Selbst, das nachher in Gestalt des jungen Alexandr Trusch in den Frühling springt. Halbnackte Tänzer rennen ihre Manneskraft heraus. Riggins entdeckt in der weißen Ballerina Anna Polikarpova, die als die Zeit firmiert, zunächst die Mutter, strampelt zu ihr hin, legt seinen Kopf in ihre Hände. Später wird sie seine erste Liebe: Lustig, wie sie aus seinen Augen walzert und er jedes Mal ganz entzückt ist, sie nach der Drehung wiederzusehen.
Am Ende der Jahreszeitenfolge und manchem Ringen mit seinem männlichen Alter Ego Carsten Jung erscheint unserem clownesken Helden der Leiermann aus Schuberts "Winterreise". Man ahnt es schon: Auch in dessen weitem Mantel steckt die Urmutter Zeit. Sie birgt den Wandermüden darin, bevor er in eisigen Nebel taucht und unter dem sinkenden schwarzen Vorhang die Hand ausstreckt zu uns, den Lebenden.
Dass Neumeier zu den wenigen Choreografen gehört, die auch Humor ausdrücken können, zeigt sich hier eindrucksvoll. Ihm gelingt eine melancholische Komödie des Lebens, die gut mit den fließenden Bildern des ersten Teils kontrastiert. Zweimal Fülle des Lebens in mondgleicher Gelassenheit.
Die Stücke entstanden für Jubiläen des Tokyo Balletts und sind nun erstmals in Deutschland zu sehen. Die Figur des Wanderers zu neuen Ufern, die Neumeiers Werke so oft durchzieht, sei es als Gralssucher im "Parzival", als Künstler in "Nijinsky" und Andersens "Meerjungfrau" oder als Getriebener in der "Winterreise" und den abstrakten Mahler-Balletten, sie hat einen neuen Bruder aus einem anderen Kulturkreis bekommen. In Motiven, Farben, Stimmungen schöpft Neumeier diesmal aus der japanischen Tradition, in den Bewegungen meidet er den Exotismus und bleibt ganz zeitgenössisch frei. So zieht er uns aus dem sonnigen Rationalismus hinüber in die Gefühlswelt des Mondes.