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Zwei Medien - unauflösbar ineinander verhakt

Skulpturen sind oft schwer und sperrig. Man muss selber hinfahren, um sie zu sehen. Oft muss man sich mit Fotos behelfen. Aber was bei Gemälden schon problematisch ist, wird bei Skulpturen nahezu unmöglich: die Vermittlung einer Vorstellung durch einfaches Ablichten.

Von Christian Gampert | 04.03.2011
    Es ist ganz einfach: ohne Fotografie keine Kunstgeschichte. Ein jeder von uns möge sich fragen, welche Bilder er schon einmal im Original (und im Original-Format) gesehen hat und welche er nur von Reproduktionen kennt. Und siehe: Walter Benjamin hatte recht - trotz überbordender Ausstellungs-Programme hat das Original sehr schwache Karten ... Bei der Skulptur ist das Verhältnis noch schlechter: die schwer transportablen Kunstwerke sind uns eher als Fotografien geläufig. Auf welche Weise diese Artefakte fotografiert (und inszeniert!) sind, das allerdings prägt unsere Auffassung der Skulptur ganz erheblich, sagt der Züricher Kurator Tobia Bezzola.

    "Die Frage ist ja ganz allgemein: wie verändern sich die bestehenden Medien, wenn ein neues Medium in die Welt tritt. Also: die gedruckte Presse ist nicht mehr dieselbe, seit das Internet erfunden wurde. Und die Skulptur ist nicht mehr dieselbe, seit die Fotografie in die Welt kam. Das beginnt früh, mit der ganzen Abbildung und Verbreitung. Zuerst rasen die Fotografen um die Welt, dokumentieren die nicht transportablen plastischen Bestände in Mesopotamien, Ägypten, Griechenland, Italien. Das wird dann gedruckt verbreitet, und man lernt, man sieht, erkennt Skulptur eigentlich erst durch die Fotografie."

    In der Frühphase der Fotografie trugen die Kunsthistoriker also ihre Foto-Mappen in die Vorlesung. Und die Züricher Ausstellung zeigt nun Artefakte fremder Kulturen, aber auch den "Engel der Auferstehung" auf dem Dach von Notre Dame, so wie ihn Charles Nègre 1853 ablichtete, oder mythische Figuren in Versailles und Saint Cloud, wie sie Eugène Atget um 1900 sah.

    Ziemlich bald aber erkannten die Bildhauer selber den Wert des Mediums Fotografie. Rodin ließ noch fotografieren, er engagierte die Druet und Steichen; doch er selbst war der Inszenator, der seine Volumina geheimnisvoll schräg ins Licht schob. Brancusi dagegen fotografierte in den 1930iger Jahren schon selbst, und ein in Lichtreflexen schimmerndes, glattpoliertes abstraktes Ei wie "das Neugeborene" ist als Fotografie noch einmal ein eigenes Oeuvre, eine spiegelnde Transsubstantiation.

    Brancusi stellte für seine Fotografien auch einzelne Werkgruppen wie Installationen zusammen - die Fotografie selber wird nun zur Plastik, das ist die These der Ausstellung.

    "Und das große Scharnier ist dann Duchamp. Mit Duchamp ändern sich die Regeln. Das Ready-Made operiert ja eigentlich wie eine Fotografie. Das Prinzip ist: auslesen statt kreieren. Das macht auch die Fotografie: sie geht durch die Welt."

    In Zürich sehen wir, wie plötzlich aus Krümeln und Staubkörnern Plastiken werden, wie politische Denkmäler von Passanten in Besitz genommen werden oder mit Reklameschildern konkurrieren müssen, wie die vom Sockel geholte Friedrich-Engels-Statue hilflos vor dem Berliner Fernsehturm schwebt. Aktions- und Performance-Künstler bedienen sich (ab den 1960iger Jahren) der Fotografie zu dokumentarischen Zwecken; Maurizio Cattelan und Joseph Beuys haben sogar Leibfotografen, ohne die sie nicht können: Armin Linke und Ute Klophaus. Und ein Gebäude-Zerstörer wie Gordon Matta-Clark, der in den 1970iger Jahren ganze Einfamilien-Häuser zersägt, um den Abgrund in der gut eingerichteten Bürgerlichkeit konzeptuell sichtbar zu machen, geht noch einen Schritt weiter; er montiert und collagiert die Fotos seiner Aktionen zu verwirrenden Ensembles.

    Schließlich: der Umgang mit dem Körper. Für Bruce Nauman oder Valie Export war der eigene Leib Werkzeug und Medium - die Gegenwart einer Kamera ruft ganz neue Posen hervor. Verschnürungs- und Verstümmelungs-Künstler wie Hans Bellmer schocken mit grotesken Perspektiven. Die Surrealisten verfremden und verpuppen den Körper in bösen Séancen. Und in der Gegenwart legt Erwin Wurm arme Menschen unter Koffer oder Stühle.

    "FotoSkulptur" bietet Werke der besten Fotografen, von Walker Evans bis Lee Friedlander, und die Einsicht, dass hier zwei Medien unauflösbar ineinander verhakt und aufeinander angewiesen sind. Dass dies eine neue Qualität ergibt, belegt diese weiträumig gehängte Schau auf's Schönste.