Donnerstag, 09. Mai 2024

Artensterben
Zwei Millionen Arten weltweit gefährdet - in Europa jede fünfte

Weltweit sind rund zwei Millionen Tier- und Pflanzen-Arten gefährdet - und damit doppelt so viele wie bislang angenommen. In Europa ist ein Fünftel aller untersuchten Arten entweder gefährdet oder sogar vom Aussterben bedroht. Besonders stark betroffen sind Pflanzen und wirbellose Tiere.

09.11.2023
    Wiedehopf (Upupa epops)
    Ein Wiedehopf (Upupa epops). Es gibt nur noch wenige Brutpaare in Deutschland. (pa/CHROMORANGE/McPHOTO/Rolf Müller)
    Als größte Bedrohung wird die intensive wirtschaftliche Nutzung von Landflächen und Meeren angesehen. Die neuen Schätzungen zum Artensterben gehen auf eine internationale Studie zurück, die im Fachmagazin "PLOS One" veröffentlicht wurden.

    Süßwassermolusken besonders gefährdet

    Demnach sind rund 27 Prozent der in Europa heimischen Pflanzen, 24 Prozent der Wirbellosen Tiere und 18 Prozent der Wirbeltiere bedroht. Besonders gefährdet sind nach Aussage des deutschen Biologen und Mitautoren der Studie, Axel Hochkirch, Süßwassermollusken. Dabei handelt es sich um Weichtiere wie Muscheln und Schnecken. Fast 60 Prozent der Art seien in Gefahr. Bei Libellen seien es dagegen nur 15 Prozent der Arten, sagte Hochkirch dem Deutschlandfunk. Zitat: "Arten, die sich gut ausbreiten können, wie Vögel, sind oft weniger gefährdet, weil sie leichter auf neue Lebensräume ausweichen können."

    Neue und genauere Datenlage

    Dass sich die geschätzte Zahl der bedrohten Arten weltweit verdoppelt hat, erklären die Forscher mit neuen und genaueren Informationen. Bislang habe es große Datenlücken gegeben, die immer noch nicht alle geschlossen seien. Viele Arten, vor allem unter den Wirbellosen, sind demnach noch gar nicht beschrieben worden.
    Eine genaue Beurteilung des Zustandes ist oft schwierig: Gibt es in einer Region nur noch sehr wenige Exemplare, sind diese in Feldstudien kaum auffindbar. Josef Settele, Mitautor des letzten Artenschutzberichtes-Berichtes aus dem Jahr 2019, sagte: "Es gibt Arten, die wir schneller vernichten, als wir sie erforschen können."

    Gefahr durch wirtschaftliche Nutzung von Land und Meeren

    Die Ursachen für das Artensterben sind vielfältig. Die Forscher sehen als größte Bedrohung die intensive wirtschaftliche Nutzung von Landflächen und Meeren an, die zum Verlust von Lebensräumen führt. Die Übernutzung biologischer Ressourcen sowie durch den Klimawandel verursachte Extremwetterlagen gefährden die Artenvielfalt demnach massiv.
    Der Biologe Hochkirch führte auch den Verlust von kleinbäuerlichen Strukturen als Ursache an. Kleine Äcker und ihre Randstreifen, die keinen guten Ertrag bringen, wüchsen zu - und damit gehe der "Offenlandcharakter" verloren, den viele Pflanzen, Schmetterlinge und Heuschrecken brauchten.

    Neuansiedlung ist möglich

    Doch die Forscher sehen auch Grund zur Hoffnung: Neuansiedlungen von Tierarten und ein besonderer Schutz können helfen, die Artenvielfalt zu erhalten. Die Forscher verwiesen auf die Ausbreitung früher gefährdeter Arten wie Schwarzstorch, Seeadler, Wanderfalke, Uhu und Fischotter. Sie drängen auf weitere Maßnahmen und verlangen mehr Unterstützung aus der Politik. Hochkirch sagte: "Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Landschaft wieder diverser wird."
    Die Forscher hatten alle knapp 14.700 Tier- und Pflanzenarten in die Studie aufgenommen, die Ende 2020 auf der Roten Liste für Europa standen. Das sind zehn Prozent der Arten des Kontinents. Auf diese Liste stellt die Weltnaturschutzunion (IUCN) die Arten, deren Bestand analysiert ist. Sehr viele sind nicht oder gering gefährdet, andere aber vom Aussterben bedroht oder gar schon ausgestorben.
    Das ganze Interview mit Axel Hochkirch hören Sie in der Sendung "Forschung aktuell" um 16.35 Uhr im Deutschlandfunk.
    Diese Nachricht wurde am 09.11.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.