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"Zwei Monate ungewollte Ferien und jetzt einen ziemlichen Stress"

Nach den Demonstrationen für eine Reform des Bildungssystems in Chile sei wieder etwas Ruhe eingekehrt, berichtet Johanna von Hellfeld, die derzeit als Austauschstudentin in Viña del Mar studiert und die Proteste miterlebt hat. Dafür würden jetzt alle Prüfungen nachgeholt, die sich während der Streiks aufgestaut hatten.

Johanna von Hellfeld im Gespräch mit Regina Brinkmann | 23.08.2013
    Regina Brinkmann: In Chile gab es vor einigen Monaten landesweit Massendemonstrationen für ein gerechteres Bildungssystem. Inzwischen hat sich die Lage dort scheinbar wieder beruhigt. Warum das so ist - darüber habe ich mit Johanna von Hellfeld gesprochen. Sie studiert in dem schmalen Streifenstaat an der Westküste Lateinamerikas seit einem Semester Jura. Und zwar in einer Hochschule in Viña del Mar. Das ist nicht nur ein Ferienort am Strand, sondern wie die Nachbarstadt Valparaíso auch eine Studentenstadt, in der es massive Studentenproteste gab. Und ich habe die Münsteraner Austauschstudentin zunächst gefragt, wie sie die Proteste erlebt hat.

    Johanna von Hellfeld: Ja, die Proteste waren schon ziemlich präsent im alltäglichen Leben. Dann wurde die Stadt Valparaíso großteils abgesperrt, weil eben den ganzen Tag lang protestiert wurde und wirklich Riesen-Menschenmassen rumgezogen sind. Das öffentliche Leben stand für einen Tag mindestens still. Außerdem habe ich mit zwei Chilenen zusammengewohnt, die ganz persönlich davon betroffen waren, also zwei Monate lang überhaupt keinen Unterricht hatten und im Grunde gar nicht so richtig wussten, wie sie den Tag verbringen sollen.

    Brinkmann: Inwieweit war denn Ihre Hochschule betroffen von den Streiks?

    von Hellfeld: Meine Hochschule selber war nicht von den Streiks betroffen, weil das eine komplett private Hochschule ist. Das Bildungssystem in Chile ist so ein bisschen zweigeteilt: Da gibt es ganz private Hochschulen und so halb-staatliche, und die ganz privaten streiken grundsätzlich nicht oder manchmal solidarisch mit, aber meine nicht.

    Brinkmann: Und das ist oder war ja auch ein Kritikpunkt in diesen Streiks, dass es eben einerseits diese staatlichen, schlechten Hochschulen gibt und die privaten, sehr elitären Hochschulen, zu denen halt nicht alle Zugang haben.

    von Hellfeld: Ja, genau. Also die Uni, auf der ich bin, ist eben eine sehr, sehr teure Uni, die sich nicht alle leisten können und wo auch nur die absolute Oberschicht hier in Chile dann eben ist. Das merkt man auch, das ist ein weniger gemischtes Bild, als ich das von zu Hause, von der Uni Münster gewohnt bin. Andererseits ist es aber auch nicht so, dass alle staatlichen Unis schlecht sind. Also zum Beispiel die Universität, auf der meine Mitbewohner sind, ist schon eine sehr, sehr gute und renommierte Uni, die auch trotzdem von den Studenten bezahlt werden muss. Und genau da richten sich dann die Proteste gegen, dass sie eben sagen: Wir zahlen hier Geld für, aber das Geld bringt nur einigen wenigen Funktionären der Universität was, die das dann gewinnbringend anlegen, aber unser Unterricht ist schlechter als er sein könnte und das Gebäude ist vielleicht schlecht ausgerüstet. Dagegen protestieren die.

    Brinkmann: Wie leicht oder wie schwer war es denn für Sie, an so eine elitäre Hochschule in Chile heranzukommen?

    von Hellfeld: Für mich war es ganz einfach, hier in Chile zu studieren, weil die Uni Münster eine Partnerschaft mit meiner Universität hier in Viña hat, und das ist auch die einzige Uni in Chile, mit der diese Partnerschaft besteht. Insofern war das für mich verhältnismäßig leicht oder vermutlich leichter als für so einige Chilenen, hier zu studieren.

    Brinkmann: Und wie erleben Sie Ihr Studium jetzt, so im Unterschied zu Deutschland?

    von Hellfeld: Das Studium hier – ich studiere Jura – ist auf jeden Fall sehr anders als in Deutschland. Es erinnert mich so ein bisschen an die Abi-Zeit auf dem Gymnasium. Es sind wesentlich kleinere Kurse, es ist auch verschulter, also wir haben im Semester öfter Überprüfungen und Tests und müssen schriftliche Abgaben machen. Letztes Semester musste ich mehrere Gruppenarbeiten machen, die dann vorgestellt wurden vor so einem Komitee von Professoren. Das sind ja alles so Aktionen, die im deutschen Jurastudium nicht stattfinden. Da gibt es dann nur eine Abschlussklausur, also schon sehr unterschiedlich. Ich finde es aber eigentlich ganz schön, jetzt hier so eine Kontrolle zu haben und irgendwie auch in engerem Kontakt zu den Professoren, weil wenn man dann auf Spanisch studiert, dann ist das vielleicht leichter, während des Semesters schon so ein bisschen Feedback zu bekommen, wie es denn läuft. Und ja, durch so Gruppenarbeiten lernt man auch ganz schnell andere Chilenen kennen. Das ist schon ganz schön jetzt hier, so wie es ist.

    Brinkmann: Gibt es denn auch spezielle Angebote für ausländische Studierende, sich vielleicht auch leichter in den Unialltag dort zu integrieren?

    von Hellfeld: Ja, die Uni, an der ich bin, hat ein ziemlich ausgebautes Programm so für Austauschstudenten. Wir sind auch relativ viele, weniger aus Europa, sondern mehr aus Amerika, und die bieten uns dann schon Aktivitäten an. Jetzt hat das Semester gerade angefangen, jetzt machen wir bald ein Begrüßungsgrillen, und wir sind da schon ziemlich gut betreut. Es gibt so ein International Office, und bei jeder Frage, die ich habe, helfen die mir da. Also da fühle ich mich schon wirklich gut aufgehoben.

    Brinkmann: Jetzt hat das Semester wieder angefangen. Wie steht es denn um die Streiks? Also aus Brasilien hört man, dass da der Protest so langsam zum Erliegen kommt. Wie sieht es in Chile aus?

    von Hellfeld: Ja, in Chile ist es jetzt auch ruhiger geworden. Das ist ganz verrückt: Die Universitäten stimmen selber über den Streik ab, jede Fakultät beschließt das für sich, und dann muss die Mehrheit der Fakultäten zustimmen, dass gestreikt wird. Das hat im letzten Semester stattgefunden, und jetzt, wo der Protest so ein bisschen abflaut und man irgendwie merkt, dass nichts passiert, aber trotzdem kein Unterricht stattfindet, bestimmt dann wieder jede Fakultät für sich relativ spontan: Ja, und wir gehen jetzt wieder zurück in den Unterricht. Und das hat jetzt so nach und nach stattgefunden, und so weit ich weiß sind fast alle Universitäten mit allen Fachrichtungen wieder dabei. Das ist ganz kurzfristig bekannt gegeben worden, das Semester stand halt sozusagen still, das heißt, sie sind zurückgekommen in den Unterricht, zum Teil mussten sie noch provisorisch andere Klassenräume nehmen, weil die Universität selber noch von anderen Protestlern belagert wurde, und haben dann innerhalb der ersten Wochen ganz viele Klausuren und Kontrollen gehabt, was sich alles aufgestaut hatte, und haben dann jetzt super-stressige Wochen und auch keine Ferien, weil sie da nahtlos ins andere Semester wieder übergegangen sind. Also im Endeffekt hatten sie zwei Monate ungewollte Ferien und jetzt einen ziemlichen Stress.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.