Ganz anders gehen Arcadi Volodos und die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Seiji Ozawa an Tschaikowskis Dauerbrenner heran. Mit viel mehr Wucht lässt sich hier das gut disponierte Orchester hören; auffallend im direkten Vergleich auch das schnellere Tempo, mit dem Solist und Orchester dem ja auch nicht ganz unumstrittenen Werk gleich von Anfang an jede Sentimentalität und jedes falsche Pathos auszutreiben versuchen.
Es war gerade dieser Beginn, der im Visier der Kritik stand, denn Tschaikowsky benutzte dieses fulminante Thema nur als Eröffnungs-Donnerschlag, danach wird es weder im ersten Satz noch im weiteren Verlauf des Konzerts wieder aufgegriffen oder variiert. Solche Materialverschwendung bezeichneten manche als "kompositorischen Unfug", dadurch werde das formale Gleichgewicht gestört und das Konzert gerate in Schieflage. Man kann diese Introduktion aber auch als eine Art Theater-Vorhang verstehen, der vor dem eigentlichen Geschehen in die Höhe geht, und für die Balance im Großen sorgt Tschaikowsky mit einem ganz ähnlichen zweiten Thema im letzten Satz, das ebenfalls in Des-Dur und im Dreivierteltakt steht und sozusagen den Schlussvorhang darstellt. Dazwischen ist Platz für vielerlei Gedanken und Motive, für feingliedrigen, manchmal fast schon impressionistischen Klangzauber, für vielerlei Gespräche zwischen Soloinstrument und dem Orchester oder einzelnen seiner Instrumente.
Hauptbild Das diesem angeregten Dialog zugrunde liegende Thema des 3. Satzes hat, wie auch das folgende Hauptthema des 1. Satzes, seinen Ursprung in der ukrainischen Volksmusik, wodurch dieses Klavierkonzert eine gewisse östliche Färbung erhält.
Aber auch westliche Volksmusik scheint in Tschaikowskys Klavierkonzert auf. Im ansonsten ruhigen, sehr gefühlsreichen 2. Satz steht in der Mitte ein dazu scharf kontrastierender schneller Abschnitt über die französische Chansonette "Il faut s'amuser, danser et rire - Man muss sich vergnügen, tanzen und lachen". Dieses lustige Lied bildet sozusagen den Mittelpunkt des ganzen Konzertes, die Spiegelachse einer Symmetrie, auf deren linker und rechter Seite dann die ruhigen Teile des 2. Satzes und in den Ecksätzen unter anderem jeweils die Melodien aus der Ukraine und ganz außen die beiden erwähnten "Vorhänge" stehen.
Ohne Zweifel ist diese Einspielung mit Arcadi Volodos und den Berliner Philharmonikern unter Seiji Ozawa die packendere; Olga Kern und Christopher Seamans Rochester Philharmonic Orchestra können da nicht mithalten. Beide CDs bieten, da Tschaikowskys Klavierkonzert nur etwa 40 Minuten dauert, noch weitere Werke: Bei Harmonia mundi spielt das Rochester Philharmonic Orchestra noch Tschaikowskys sinfonische Fantasie "Francesca da Rimini" in einer spannungsarmen, vor allem in den Streichern arg schwächelnden Interpretation, während bei Sony der Solist Gelegenheit für weitere solistische Bravourstücke erhält, die allesamt von Sergej Rachmaninow stammen.
Die Neue Platte - heute mit Peter Tschaikowskys 1. Klavierkonzert in Interpretationen von Olga Kern und Arcadi Volodos. Zuletzt hörten Sie noch Arcadi Volodos mit einer von ihm arrangierten Concert Paraphrase über die "Polka italienne" von Sergej Rachmaninow.
Discografische Angaben
Titel: Peter Tschaikowsky - Klavierkonzert Nr. 1
Solistin: Olga Kern, Klavier
Orchester: Rochester Philharmonic Orchestra
Leitung: Christopher Seaman
Label: Harmonia mundi France
Labelcode: LC 07045
Bestellnr.: HMU 807323
Titel: "Volodos" - Tschaikowsky - Klavierkonzert Nr. 1
Solist: Arcadi Volodos, Klavier
Orchester: Berliner Philharmoniker
Leitung: Seiji Ozawa
Label: Sony
Labelcode: LC 06868
Bestellnr.: SH 93067 0
