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Zwei plus zwei gleich vier

E.T.A. Hoffmann hat Mozarts "Don Giovanni" als "Oper aller Opern" bezeichnet. Für das zeitgenössische Musiktheater ist die schillernde Verführergestalt Quell unerschöpflicher Interpretationen: vom virilen Frauenheld zum melancholischen Mann am Abgrund. Unter dem Motto: "Lust ist der einzige Schwindel, dem ich Dauer wünsche" hat die Kunsthalle Wien das Thema aufgegriffen und rund zwanzig Videokünstler zum zeitgenössischen Vollzug in Sachen Lust und Verführung aufgefordert. Ausstellungsort sind die Ursula Blickle-Stiftung in Kraichtal und die Kunsthalle Wien.

Von Wolf Schön |
    Don Giovanni in vier Minuten, natürlich geht das und ist nicht einmal ein Sakrileg. Schließlich hat der unersättliche Frauenverschlinger selbst ein rasantes Tempo vorgelegt. Die vielgeliebte Champagner-Arie ist Belcanto-Kurzprogramm: keine Zeit für überflüssigen Zierrat und ausschweifende Kantilenen. Schon bei Mozart hieß es: Zur Sache, Schätzchen, denn die Damen in der Warteschleife haben keine Engelsgeduld. McDon, Begründer der erotischen Fastfood-Genüsse, ist demnach der ideale Partner für Videokünstler, die zumeist in Gruppen auftreten und das Zeitbudget ihres Publikums unter sich aufteilen müssen.

    In der Kraichtaler Ursula-Blickle-Stiftung sind es bald zwanzig an der Zahl. Mit ebenso vielen Streifen belichten die das Phänomen Don Juan, unterstellt dem paradoxen Kabarettistenmotto "Lust ist der einzige Schwindel, dem ich Dauer wünsche". Prägnanter wirkt auch hier die Zarathustra-Kurzform "Alle Lust will Ewigkeit", was die zur Eile angehaltenen Kunstfilmer aber keineswegs in heillose Verwirrung stützt. Der Zielkonflikt fällt aus, weil die ernüchterte Mehrheit sich einig ist, dass die zynische Personifizierung wahlloser Fleischeslust auch ohne Steinernen Gast im Orkus der Moral- und Sozialgeschichte gelandet ist.

    So inszeniert die Künstlergruppe "Rimini Protokoll" auf einer Theaterbühne vor rotem Samtparkett den Höllensturz des skrupellosen Frauenjägers als Rollentausch zwischen Täter und Opfern. Am Telefon kümmert sich die Chefin von Deutschlands erster Seitensprung-Agentur um ihr lukratives Geschäft. Grüne Witwen ordern männliche Abwechslung, die maskuline Ware liefert die "Bild"-Zeitung über die Annonce "Männer, meldet euch". Trauriger noch klingt die Ballade eines serbischen Sängers, die Zoran Naskowski mit authentischen Bildern des Playboy-Präsidenten John F. Kennedy unterlegt, der die Traditionsreihe aristokratisch auftrumpfender Virilität als Erotomane im Weißen Haus fortsetzt.

    Ganz schlicht kommt dagegen die kritische Botschaft des minimalistischen Filmemachers Erwin Wurm daher. Ein Mädchen leckt die Rippen eines Heizkörpers ab, was sagen will, dass die warme Epidermis des Liebhabers zu einem banalen Gebrauchsobjekt erstarrt ist. Mehr Schwung in die Entsinnlichung der modernen Apparatewelt bringen Lili & Lola. Eine nach Liebe dürstende Schwester Donna Elviras betritt die Einrichtungsabteilung eines Kaufhauses, worauf Möbel, Teppiche und Tapetenrollen zum Leben erwachen und das Zärtlichkeitsdefizit nach Kräften auszugleichen versuchen. So macht es dem Couchtisch Marke "Sevilla" im Werbeclip ja Meister Proper vor, wenn er auf dem Etikett des Flüssigwaschmittels aktiv und zum besten Helfer der Hausfrau wird.

    Absurde Blüten treibt der weibliche Machtanspruch im archaischen Geschlechterkampf: Eine Schönheit in Rot wird von einem Lastkraftwagen verfolgt, dann läuft der Film rückwärts, und aus der Gejagten wird eine Jägerin. In einem Restaurant ist ein Liebespaar auf Kollisionskurs, doch die Kamera zeigt auf der Tischdecke nur die nervösen Finger des Mannes. Alles bewegte, auch bewegende Kommentare zum Thema Maskerade, Lebensgier, Unterwerfung, Betrug und Todesverachtung: Harmlose Hollywoodszenen werden mit drastischen Untertiteln versehen, Fundstücke aus dem Pornoshop markieren die Auflösung der Konvention in orgiastischer Anarchie. Metaphorisch reduziert, symbolisch verdichtet und ironisch distanziert, können die filmischen Variationen nicht mehr als optische Fußnoten zur vierhundertjährigen Interpretationswut des Don-Juan-Mythos sein. Mehr als dreitausend Bearbeitungen des schillernden Stoffes mit seinem unauflösbaren Amalgam aus Faszination und Abscheu sind verbürgt.

    In Wien, wo in der Kunsthalle die Videoschau parallel und zeitgleich aufgeführt wird, möchte Klaus Pobitzers Paraphrase über den Serienverführer wohl gerne die letzte sein. In einer großbürgerlichen Privatwohnung versprechen drei käufliche Liebesdienerinnen flüchtigen Genuss ohne Reue. Doch die Hormone des einst strahlenden Eroberers reagieren nicht mehr. Eine Strumpfmaske verzerrt die Gesichtszüge des ausgebrannten Wüstlings, der sich die Ohren zuhält, weil er Mozarts betörende Musik nicht mehr erträgt. Aber keine Angst, Don Juan ist nicht tot. Als Projektionsfläche unserer Sehnsüchte und Begierden, versichert der Ausstellungskurator Gerald Matt, erfindet er sich immer wieder aufs Neue.

    Die Ausstellung ist bis 23.4. geöffnet.